Opfer von Polizeiangriff berichten von Folter
Die in Istanbul-Kadıköy festgenommenen kurdischen Arbeiter berichten nach ihrer Entlassung von schweren Misshandlungen durch die Polizei.
Die in Istanbul-Kadıköy festgenommenen kurdischen Arbeiter berichten nach ihrer Entlassung von schweren Misshandlungen durch die Polizei.
Wie bereits berichtet, kam es am Sonntag zu einem rassistischen Polizeiübergriff auf kurdische Jugendliche in Istanbul-Kadıköy. Die Festgenommenen wurden wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ angezeigt und am Montag unter Meldeauflagen entlassen. Vor dem Gericht wurden sie von einer Menschenmenge mit kurdischen Liedern und Applaus empfangen. Gegenüber ANF berichteten die fünf jungen Männer von schweren Misshandlungen vor und nach ihrer Festnahme.
„Wir tanzten nicht und wir hörten auch keine laute Musik“
Entgegen vorherigen Berichten, dass sie getanzt hätten, sagen die Festgenommenen, dass sie beim Eintreffen der Polizei weder getanzt noch laute Musik gehört hätten. Der Bauarbeiter Kadir Gülşen berichtet: „Während wir dort saßen, kamen die Polizeibeamten auf uns zu und führten eine Personenkontrolle durch. Einer der Polizisten zeigte auf unsere Box, die wir zum Musikhören mitgebracht hatten, und fragte, wem sie gehört. Dann konfiszierte er sie und nahm sie mit ins Fahrzeug. Als es dagegen Proteste gab, setzten sie Pfefferspray ein. Ich griff ein, als ich sah, wie die Polizei meinen Bruder angriff, ihm Pfefferspray ins Gesicht sprühte und ihn schlug. Als man mir Pfefferspray ins Gesicht sprühte, habe ich mich in Todesangst verteidigt. Plötzlich holte er [der Polizist] eine Waffe hinter seinem Rücken hervor und begann zu schießen.“
„Mit dem Hausarrest schaden sie nicht nur mir, sondern auch meiner Familie“
Gülşen wurde unter Hausarrestauflage entlassen. Er sagt zu dieser Entscheidung: „Wir sind nach Istanbul gekommen, um Geld für unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir arbeiten auf der Baustelle eines Finanzzentrums. Die Polizei hat uns angegriffen, nur weil wir mit einer Musikbox am Ufer in Kadıköy saßen. Wir hatten mit niemanden Streit. Die Polizei hat uns zu Unrecht angegriffen. Aber die Konsequenzen dafür müssen auch wieder wir tragen. Jetzt wurde ich zum Hausarrest verurteilt. Ich habe hier gar keine Wohnung, ich wohne auf der Baustelle. Das bedeutet, dass ich nach Amed zurückkehren muss und nicht mehr arbeiten kann. Das schadet nicht nur mir, sondern meiner ganzen Familie.“
„Die Polizei hat unsere Box beschlagnahmt“
Der Cousin von Kadir Gülşen, Seyithan Gülşen, berichtet: „Wir hatten die Musik ausgeschaltet, als die Polizei eintraf. Sie überprüften unsere Identität, fragten, wem die Box gehöre, und beschlagnahmten sie. Als wir dagegen protestierten, wurden wir geschlagen und festgenommen.“ Auch er sagt, dass sie im Polizeifahrzeug weiter geschlagen worden seien. In der Türkei müssen Festgenommene ins Krankenhaus zur Kontrolle gebracht werden. Seyithan erzählt: „Als wir zum Krankenhaus kamen, bedrohten uns die Polizisten, sie würden uns ‚noch ganz anders‘ behandeln, wenn wir sagen, dass wir geschlagen wurden. Deshalb konnten wir bei der Untersuchung nicht sagen, dass wir geschlagen worden waren. Aber das hat auch nicht geholfen, denn als wir aus dem Krankenhaus zurückkamen, wurden wir weiter geschlagen.“
Polizist bricht sich beim Prügeln den Finger
Auf der Polizeistation in Kadıköy sei die Folter dann eskaliert, berichtet Seyithan Gülşen und fährt fort: „Als wir auf dem Polizeirevier ankamen, wurden wir von dem Polizisten, der in Kadıköy Pfefferspray eingesetzt und geschossen hatte, so schwer geschlagen, dass er sich dabei seinen Finger brach. Auch dafür gab er uns die Schuld. Er erstattete Strafanzeige gegen uns, so als ob wir ihm den Finger gebrochen hätten. Sie zwangen uns, uns mit dem Gesicht auf den Boden zu legen. Sie nötigten uns, den Mehter-Marsch zu hören und ‚Gott segne die türkische Polizei‘ zu rufen. Während ich mit dem Gesicht nach unten lag, kam ein Kommissar vorbei und trat mir wiederholt mit seinen Schuhen in den Rücken und auf die Victory-Tätowierung auf meinem Arm. Dann hat er mir in die Seite getreten, ich konnte nicht mehr atmen. Als wir wieder ins Krankenhaus gebracht wurden, sagten sie: ‚Verreckt doch, ihr Terroristen.‘“ Gülşen sagt, dass sie Strafanzeige gegen die Polizisten erstattet hätten und erklärt: „Wir hatten einen Sonntag zum Ausruhen, den haben sie uns auch vergiftet.“
„Ich wurde festgenommen, weil ich ein Video aufgenommen habe“
Idris Akpınar wurde festgenommen, weil er den Polizeiübergriff auf seinem Heimweg gesehen und auf Video aufgezeichnet hat. Der Kurierdienstfahrer erzählt: „Auf dem Heimweg vom Kadıköy-Ufer sah ich, wie die Polizisten einer Gruppe junger Leute ihre Box wegnahmen. Nach der Feststellung ihrer Personalien wurde die Box beschlagnahmt. Als die jungen Leute dagegen protestierten, fing die Polizei an, sie zu schlagen. Ich bin dorthin gelaufen und habe gesagt: ‚Was machen Sie da? Hören Sie damit auf.‘ Der Platz wurde plötzlich voll und es herrschte Unruhe. Also begann ich zu filmen. In diesem Moment sagte einer der Polizisten: ‚Filmen Sie etwa? Kommen Sie her.‘ Ich entfernte mich, damit mir mein Telefon nicht weggenommen wird. Ein anderer Polizist sagte: ‚Warum filmst Du uns? Prügeln wir? Dann komm her und wir werden schon sehen‘. Dann schlugen sie mich und nahmen mich fest.“
„Sie zwangen uns ‚Gott schütze die türkische Polizei‘ zu rufen“
Auch Akpınar berichtet von den Drohungen der Polizisten, im Krankenhaus nichts von den Schlägen zu sagen. Er sagt, dass die Misshandlungen nach dem Krankenhaus weitergingen, und bestätigt, dass sich die Festgenommenen mit auf den Rücken gefesselten Händen auf den Boden legen, den faschistischen Mehter-Marsch hören und „Gott schütze die türkische Polizei“ rufen mussten. An Akpınars linkem Auge befindet sich ein großes Hämatom. Er hat ebenfalls Anzeige erstattet.