Offener Brief an NRW-Innenminister Herbert Reul

Am 19. Oktober demonstrierten Tausende Menschen in Köln friedlich gegen den türkischen Angriffskrieg in Nordsyrien. Die Polizei forderte sie auf, keine Schusswaffen einzusetzen. Die Veranstalter fragen nach dem Grund.

Im Vorfeld einer Demonstration in Köln gegen die türkische Invasion in Nordsyrien warnten die Behörden von Nordrhein-Westfalen vor Tausenden bewaffneten Jugendlichen und entwarfen damit ein realitätsfernes Schreckensszenario. Die Anmelder der Demonstration haben sich mit einem offenen Brief an den Landesinnenminister Herbert Reul gewandt und das Vorgehen der Behörden verurteilt:

Am Samstag, dem 19.Oktober 2019, nahmen in Köln wie angemeldet ca. 15.000 Menschen friedlich an der Demonstration „Gegen den Angriffskrieg der Türkei, Solidarität mit Rojava” teil. Anmelder der Demonstration war das antifaschistische Aktionsbündnis „Köln gegen Rechts”.

Schon im Vorfeld hatte die Polizei Stimmung gegen die Demonstration gemacht. In einer Pressekonferenz am Vorabend der Demonstration, zu der die Polizei eingeladen hatte kurz nachdem sich Innenminister Reul an die Bevölkerung gewandt hatte, zeichneten der Polizeipräsident Jacobs und der Einsatzleiter der Polizei Rüschenschmidt das Bild drohender erheblicher Ausschreitungen, die zu erwarten seien. Sie sprachen von „tausenden gewaltbereiten Jugendlichen, die mit Messern bewaffnet nach Köln anreisen würden“. Nicht nur die BILD-Zeitung übernahm das rassistische Narrativ der Polizei und hetzte gegen die bevorstehende Demonstration.

Am Tag der Demonstration war die Polizei mit einem Großaufgebot vor Ort. Mehrere Hundertschaften, Wasserwerfer und eine Reiterstaffel waren im Einsatz. Schon auf ihrem Weg zur Demonstration wurden etwa 70 Menschen am Kölner Hauptbahnhof eingekesselt und durchsucht. Gefunden wurde nichts. Unverantwortlich und unhaltbar waren auch die Twitter-Meldungen der Polizei schon vor der Demonstration. In einem dieser Tweets in kurdischer Sprache forderte die Polizei die Demonstranten auf, den Gebrauch von Schusswaffen zu unterlassen! Die Demonstration am Samstag blieb im Gegensatz dazu völlig friedlich.

Wir als Veranstalter verurteilen das unrechtmäßige Vorgehen des Innenministers und der Polizei Köln. Es wurden Menschen davon abgehalten, an der Demonstration teilzunehmen, da auf der Polizei-Pressekonferenz Ausschreitungen als nahezu sicher dargestellt und von vielen Medien unhinterfragt verbreitet wurden.

Der Zeitpunkt der Pressekonferenz am späten Freitagnachmittag vor der Demonstration am Samstag verunmöglichte bewusst eine Korrektur durch die Veranstalter.

Auch die Ankündigung des niedrigschwelligen Einschreitens von Seiten der Polizei führte bei Menschen zu Angst vor Polizeigewalt und hielt sie davon ab, an der Demonstration teilzunehmen.

Im Gespräch mit dem Anmeldeteam nahezu zeitgleich mit der Pressekonferenz wurden trotz mehrmaliger Nachfrage weder angebliche bedrohliche Erkenntnisse, noch deren Quellen benannt. Es wurde massiv mit unspezifizierter „Sorge“ über die Situation den Veranstaltern nahegelegt, die Demonstration abzusagen. Uns wurde für alle Ereignisse inklusive martialischer Polizeieinsätze allein die Verantwortung zugewiesen.

Aussagen wie die Reuls, man müsse am Tag der Demonstration „nicht gerade in der Gegend herumlaufen” und die Jacobs, es würden “tausende gewaltbereite Jugendliche, die vor Straftaten nicht zurückschrecken” nach Köln anreisen, diskreditieren die Proteste gegen den türkischen Angriffskrieg.

Die Aufgabe des Innenministers ist es, dafür Sorge zu tragen, dass alle Polizeikräfte und vor allem der Polizeipräsident Artikel 8 des Grundgesetzes kennen und schützen.

Es ist die Aufgabe der Polizei, eine Versammlung zu ermöglichen, zu schützen und keinesfalls durch ihr Handeln als politischer Akteur einzugreifen. Genau dies ist geschehen.

Uns, Veranstalter der Versammlung, im Vorfeld mit unseriösen Vermutungen über deren Verlauf dazu zu drängen, die Demonstration abzusagen, widerspricht der Aufgabe der Polizei. Dieses Handeln der Exekutive als politische Akteurin ist ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit, zu deren Schutz sie verpflichtet ist.

Verantwortlich dafür sind der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacobs und sein Dienstherr Innenminister Reul. Wir halten beide aufgrund dieses Vorgehens gemessen an ihren verfassungsmäßigen Aufgaben für komplette Fehlbesetzungen.

Klaus Fischer, Anmelder für „Köln gegen Rechts“

Reiner Schmidt, Anmelder für die „Interventionistische Linke“