Bei den Erdbeben in der Türkei und Syrien sind vorläufigen Angaben zufolge fast 5000 Menschen ums Leben gekommen. Die Hilfe in Nordkurdistan bleibt vielerorts weiterhin aus. Die Menschen haben in Eiseskälte die erste Nacht verbracht. In vielen Orten wie in etlichen Dörfern und Kleinstädten in der Umgebung von Elbistan, Meletî (tr. Malatya) und Amed (tr. Diyarbakır) ist bisher keine oder nur wenig Hilfe eingetroffen. Die Telefon- und Stromnetze sind zusammengebrochen. Währenddessen herrschen eisige Temperaturen und größere Unwetter stehen bevor.
Meletî: „Wir wurden allein gelassen“
Die nordkurdische Provinz Meletî, eine der neben dem Epizentrum Gurgum (Maraş) und Dîlok (Antep) am stärksten von den Erdbeben betroffenen Regionen, ist wie viele weitere Orte weiterhin weitgehend ihrem Schicksal überlassen. Unzählige Gebäude sind zerstört. Viele Tote, aber auch Überlebende werden unter den Trümmern vermutet.
Die Nachrichtenagentur Mezopotamya war in der Provinz Meletî in der Kreisstadt Çelîkan (tr. Yeşilyurt) unterwegs. Die Menschen sind wütend und verzweifelt. Sie fragen sich, wo die staatliche Hilfe bleibt.
Der Journalist Fırat Can Arslan berichtet: „Als wir die Stadt erreichten, fielen uns als erstes die Such- und Rettungsmaßnahmen in einer Pension in Çelîkan auf. Menschen, die trotz Schneefall und eisiger Kälte vor den Trümmern stehen und auf ihre Angehörigen warten, rufen wütend, sobald sie unsere Kameras sehen: ‚Wir werden allein gelassen.‘ Ein Bauarbeiter aus Mêrdîn, der seit den Morgenstunden vor den Trümmern auf seinen Onkel und seine Tante gewartet hatte, kam zu uns und erklärte, dass das für die Träger des Wohnheims verwendete Eisen zu dünn sei, um das Gebäude zu tragen.
Menschen versuchen verzweifelt, sich vor der Kälte zu schützen
Die Menschen versammeln sich um Feuer an selbst gebauten Unterkünften. Das größte Problem der dort versammelten Nachbarschaft besteht darin, dass sie keine Nahrungsmittelhilfe erhalten haben. Die Bewohner:innen des Viertels versuchen, die Nacht direkt neben ihren beschädigten Gebäuden zu verbringen. Diese Gebäude drohen bei jedem Nachbeben weiter einzustürzen.
Unser nächster Halt ist der Emekliler Park im Zentrum der Stadt. Dort gibt es nur zwei Zelte der staatlichen Hilfsorganisation AFAD, in denen, als wir gegen 03.00 Uhr nachts dort waren, etwa 50 Familien untergebracht waren. Die Erdbebenopfer, die die Nacht im Schutz aus Kleiderresten und Ästen unter Bäumen verbringen mussten, sagten, dass sie seit vielen Stunden nur einen Teller Suppe erhalten hätten. Eine schwangere Frau mit zwei Kindern ist verzweifelt. Sie braucht Windeln und Babymilch. Sie ist eine von so vielen Menschen, die seit Stunden keine Grundversorgung erhalten haben.
In der Inönü-Straße versuchen sich Familien, die die keine Zelte erhalten haben, in Bushaltestellen mit Kartons vor der Kälte zu schützen. Gegenüber sind Hunderte von Menschen zu sehen, die in parkenden Bussen der Stadtverwaltung wegen Überfüllung kaum noch Luft bekommen.
200 Meter von den Bushaltestellen entfernt gehen Rettungsarbeiten weiter. Direkt gegenüber dem Gebäude, in dem sich Dutzende von Menschen unter den Trümmern befinden sollen, warten die Familien der Erdbebenopfer voller Hoffnung auf überlebende Angehörige. Nachdem wir die Such- und Rettungsarbeiten eine Weile verfolgt haben, stellen wir fest, dass Dutzende von zerstörten Gebäuden entlang der Straße bisher noch nicht einmal durchsucht oder die Arbeiten eingestellt wurden. Die Menschen fragen sich, nach welchen Kriterien die Ruinen zur Durchsuchung ausgewählt werden. Der größte Wunsch der Menschen in Meletî ist es, nach der ersten Nacht wieder aufwachen zu können.“
Amed: Wut und Verzweiflung
Ähnlich sieht die Situation auch in Amed aus. Die Menschen verbrachten die Nacht in Fahrzeugen oder auf der Straße. Während die Such- und Rettungsmaßnahmen in den Trümmern von sieben vollständig eingestürzten Gebäuden in der Stadt weitergingen, wurden die Menschen, die ihre Häuser nicht aufsuchen konnten, nicht versorgt. Zwar wurden 37 Orte in der Stadt als Notunterkünfte ausgewiesen, doch wurden weder Zelte noch Lebensmittel an diese Orte geliefert. Da die zwangsverwaltete Stadtverwaltung von Amed und die Stadtbezirke den Menschen nicht die notwendigen Dienstleistungen zur Verfügung stellten, waren die Bewohner:innen der Stadt gezwungen, die Nacht auf der Straße, auf leeren Plätzen in der Nähe ihrer Häuser oder in ihren Fahrzeugen zu verbringen.
Die Menschen, die bis zum Morgengrauen an den von ihnen angezündeten Feuerstellen die Nacht zu überstehen versuchten, erklärten, dass sie keine öffentlichen Hilfsleistungen in Anspruch nehmen konnten. Viele sind wütend auf die Regierung.
„Wir haben keine Hilfe erhalten“
Eine Person zeigt auf behelfsmäßige Nylonzelte und sagt: „In einem dieser kleinen Zelte schlafen fünf Personen, in dem anderen vier Personen und wir vier sitzen um das Feuer. Alle Autos, die sie hier sehen, sind voll mit Menschen. Niemand kann die Häuser betreten. Wir haben bisher von niemandem Hilfe erhalten. Den Menschen hätte geholfen werden müssen. Der Rote Halbmond, AFAD oder das Gouverneursamt hätten hier Zelte aufschlagen sollen, aber es gibt sie nicht. In diesem Viertel sind Hunderte von Menschen unterwegs. Wir haben keine Hilfe erhalten.“
„Das Gouverneursamt leistet keine Hilfe“
Einer der Betroffenen, Abdulatif Polat, sagt: „Seit dem Erdbeben sind wir auf der Straße. Bislang gab es niemanden, der sich für uns zuständig fühlte. Wir riefen beim Gouverneur an und baten um Lebensmittel, aber wir erhielten keine Antwort, weder in Form von Lebensmitteln noch in Form von sonstiger Hilfe. Die staatlichen Behörden hätten sich um die Menschen kümmern müssen. Die Probleme mit Nahrung und Unterkunft hätten gelöst werden müssen. Das Gouverneursamt leistet keine Unterstützung. Es heißt, es gäbe Sammelstellen, aber wo immer man hingeht, sind sie voll."