„Mit Zusammenhalt und Solidarität Corona überstehen“

Selçuk Mızraklı ist Arzt und abgesetzter Oberbürgermeister von Amed. Aus dem Gefängnis heraus macht er Vorschläge, wie die Menschen in seiner Stadt mit der Corona-Pandemie umgehen sollen.

Dr. Adnan Selçuk Mızraklı hat über seine Anwälte aus dem Gefängnis in Kayseri Vorschläge unterbreitet, wie mit der Coronakrise umgegangen werden sollte. Der Arzt ist vor einem Jahr zum Oberbürgermeister von Amed (Diyarbakir) gewählt worden. Im August wurde er vom türkischen Innenministerium des Amtes enthoben und durch einen Zwangsverwalter ersetzt. Seit Oktober ist er im Gefängnis, am 9. März wurde er wegen „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation” zu über neun Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anklage basierte auf den fingierten Aussagen einer Kronzeugin, die in zahlreichen Prozessen gegen kurdische Politiker*innen auftritt.

In der Botschaft von Selçuk Mızraklı heißt es:

„Es gibt kein Problem, dass nicht mit Wissen, Überzeugung, Geduld und Solidarität bewältigt werden könnte. Auch die Gefahr des Coronavirus werden wir überwinden, bevor sie sich in ein Weltuntergangssyndrom verwandelt. Wir müssen sie überwinden.

Mit dieser Frage sollten wir nicht panisch umgehen, sondern im Glauben an die Wissenschaft das umsetzen, was geraten wird. Schwierige Zeiten wie diese können nur bewältigt werden, wenn wir uns eine hohe Moral bewahren. Wir werden diese Krise überwinden, indem wir unser Solidaritätsnetzwerk ausbauen.

In Amed und allen anderen Städten müssen Gesundheitskomitees gegründet und zivile Anstrengungen für Solidarität und Aufklärung organisiert werden. In diesen Volkskomitees können Fachleute aus dem Gesundheitsbereich arbeiten, die per Notstandsdekret aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden sind. In Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften können diese Fachleute ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen, um zur Gesundheit der Bevölkerung beizutragen. Wir sollten uns jedoch nicht nur damit begnügen. Lasst uns unser ganzes Potential zusammenbringen, um die Solidarität in allen Lebensbereichen zu fördern. Lasst uns über die sozialen Medien, die Jugend- und Frauenarbeit dafür sorgen, dass alle benachteiligten Gruppen, Arme, Menschen mit Behinderungen und Alte, die notwendigen Lebensmittel und Hygieneartikel bekommen.

Unsere Kulturarbeit sollten wir dazu nutzen, unser Volk mit Straßenmusik und Balkonkonzerten moralisch zu unterstützen. Amed kann mit seinem natürlichen Enthusiasmus zur Hochburg dieser Arbeit werden. Bei diesem Solidaritätsnetzwerk sollten wir auf Mehrsprachlichkeit achten und in ganz Kurdistan Informationen und Erfahrungen austauschen. Das darf natürlich nicht in großen Gruppen stattfinden. Jede Künstlerin und jeder Künstler, jedes Individuum sollte aus eigenem Antrieb mit der Newroz-eigenen Begeisterung Lieder über Freiheit und Solidarität singen und singen lassen. In Amed sind schon immer laute Widerstandslieder gesungen worden und ich bin mir sicher, dass es jetzt auch so sein wird.

Lasst uns gegen das ungesunde Leben, das die kapitalistische Moderne uns auferlegt, für das gesunde Leben der demokratischen Moderne eintreten. Lasst uns Naturprodukte benutzen. Lasst uns zu Hause Essig herstellen, das ist sowohl natürlich als auch hygienisch. Lasst uns diesen Essig nicht nur für das Essen, sondern auch für die Reinigung unseres Umfelds benutzen. Saubere Luft ist unverzichtbar. Lasst uns die geschlossenen Räume, in denen wir uns befinden, häufig lüften. Lasst uns jeden Tag für fünf bis zehn Minuten die Sonne genießen.

Hauptursächlich für Epidemien sind die Lebensumstände, die uns die kapitalistische Moderne auferlegt. Wenn wir dagegen unsere Solidarität organisieren und zusammenhalten, können wir alle Probleme bewältigen. Dieser Appell richtet sich an ganz Kurdistan. Es ist ein Aufruf aus Mesopotamien an Anatolien. Wir sind Menschen. Mit Zusammenhalt und Solidarität, mit Hoffnung und Glauben, mit Arbeit und Gerechtigkeit werden wir kämpfen und diese schwierigen Tage überstehen.“