Leyla Güven: Ohne Ende der Isolation keine Lösung möglich

Die inhaftierte HDP-Abgeordnete und Ko-Vorsitzende des DTK, Leyla Güven, hat keine Erwartungen an die AKP und die türkische Justiz. Ohne ein Ende der Isolation Abdullah Öcalans könne jedoch keines der Probleme der Türkei gelöst werden.

Leyla Güven ist Ko-Vorsitzende des Demokratischen Gesellschaftskongresses (DTK). Im Juni wurde sie als Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) ins türkische Parlament gewählt. Sie befindet sich jedoch seit Anfang des Jahres in Untersuchungshaft, weil sie die türkische Militärinvasion in Efrîn öffentlich kritisiert hat. Auch nach der Wahl vom 24. Juni wurde sie nicht entlassen.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) hat sie sich zur aktuellen politischen Situation und der Isolation des PKK-Gründers Abdullah Öcalan geäußert.

Zu den Entwicklungen in der Türkei und im Mittleren Osten erklärte Güven: „Der Staat unternimmt alles, damit die Kurden keinerlei Rechte oder einen Status erlangen. So soll selbst der geringste Aufbruch, der die Kurden mit einschließt, verhindert werden. Die AKP-Vertreter reisen durch die Welt und versuchen alle davon zu überzeugen, die Kurden auf keinen Fall anzuerkennen und ihnen keine Rechte zu geben. Das ist die Politik des türkischen Staates. Die AKP-Regierung verfolgt diese Politik mit größtem Nachdruck. Was mit der kemalistisch-nationalistischen Identität nicht geschafft wurde, versucht jetzt die faschistische AKP/MHP-Regierung durch eine religiös-nationalistische Identität zu erreichen.“

Güven machte deutlich, dass die AKP nicht nur die kurdische Bevölkerung, sondern sämtliche oppositionellen Kreise ins Visier genommen hat.

„Durch die Person Öcalan wird die gesamte Gesellschaft isoliert“

Gefragt nach ihrer Inhaftierung, obwohl sie ein Abgeordnetenmandat hat, sagte Leyla Güven: „Die verschärften Isolationshaftbedingungen Abdullah Öcalans werden seit 19 Jahren aufrecht erhalten. Leider kümmern sich Menschenrechtsorganisationen und andere Institutionen weltweit nicht ausreichend um diesen Fall und werden ihrer Verantwortung nicht gerecht. Es ist klar, dass durch die Isolation Öcalans die gesamte Gesellschaft isoliert werden soll. Die Rechtsverletzungen gegenüber Öcalan, die allgemeine Situation in den Gefängnissen und insbesondere der kranken Gefangenen zeigen die Realität in der Türkei deutlich auf. Während all diese Tragödien passieren, wie kann es da überraschen, dass eine HDP-Abgeordnete inhaftiert ist?“

„Auch der CHP wurde eine Botschaft übermittelt“

Güven wies auf die kürzlich erfolgte Freilassung des ebenfalls zum Zeitpunkt der Parlamentswahlen inhaftierten CHP-Abgeordneten Enis Berberoğlu hin: „Mit dieser Freilassung wurden mehrere Dinge bezweckt. Diese Entlassung schwebt wie ein Damokles-Schwert über dem Haupt der CHP. Es ging dem AKP-Regime zum einen darum, das Erdoğan von Katar ‚geschenkte‘ Flugzeug von der Tagesordnung der CHP zu streichen. Zweitens wurde der CHP damit folgende Botschaft vermittelt: ‚Schaut her, die Abgeordneten der HDP sind weiter im Gefängnis, eure lassen wir frei.` Drittens handelt es sich um eine Warnung, dass die CHP bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr einer Allianz mit der HDP fernbleiben soll. Kurz gesagt, es geht darum, dass wenn die CHP irgendetwas macht, was die AKP stört, wird ein entsprechender Beschluss im Parlament verlesen, das Mandat wird aberkannt und Berberoğlu wieder ins Gefängnis gesteckt.“

„Kein Kurde sollte irgendetwas von der AKP erwarten“

Weiter erklärte die HDP-Abgeordnete: „Um in meine Situation zu geraten, reicht es aus, als eine kurdische Politikerin einer demokratischen Tradition zu folgen. Wir haben keinerlei Erwartungen an die AKP und ihre Justiz. Ich bin mir sicher, keine Kurdin und kein Kurde machen sich da Illusionen. Ihr greift alle Werte eines Volkes von Millionen an, ihr schließt seine Institutionen, ihr macht es seinen Politikerinnen und Politikern mit Hilfe der Gerichte unmöglich zu arbeiten, ihr steckt, egal ob Kind oder Alte, alle ins Gefängnis und sprecht dann von der Unabhängigkeit der Justiz. Damit verspottet ihr den Verstand dieser Gesellschaft! Ihr überlasst die Kranken in den Gefängnissen dem Tod und sprecht dann von ‚euren kurdischen Brüdern‘. Dieses Gerede von Geschwisterlichkeit ist eine Riesenlüge. Die AKP hat keine Geschwister außer den Clans, mit denen sie ihre eigenen Interessen verfolgt. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren ganz Kurdistan bereist. Alle Kurden, die ich getroffen habe, verfluchen die AKP-Regierung. Sie sagen: ‚Gott soll denen, die uns unterdrücken, das Tausendfache zufügen.‘“

Güven gibt ein Beispiel für die historische Unterdrückung der Kurden durch den türkischen Staat: „Am 17. Dezember 1959 sind 50 kurdische Intellektuelle inhaftiert worden. Der Jurastudent Emin Batur aus Mêrdîn, der an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Istanbul studierte, wurde in der Zelle schwer krank. Als Blut aus seinem Mund lief, schrieb er damit an die Wand: ‚Anstatt eine Rose im Garten der Gefangenschaft zu sein, ziehe ich es vor, im Garten der Freiheit ein Dorn zu sein‘. Er ist im Gefängnis verstorben. Seitdem sind 49 Jahre vergangen. Wir befinden uns immer noch am gleichen Punkt. Die Unabhängigkeitstribunale, die Sondergerichte, die Schwurgerichte, die Gerichte mit Sonderbefugnissen verurteilen die Kurdinnen und Kurden zu Haftstrafen, die ihre Lebensdauer bei weitem überschreiten. Von dieser Justiz etwas anderes zu erwarten, ist sinnlos. Ich habe keine Erwartungen an eine derart politisierte Justiz.“

„Ohne ein Ende der Isolation…“

Leyla Güven erklärte weiter: „Ohne ein Ende der Isolation von Abdullah Öcalan kann keines der gesellschaftlichen Probleme der Türkei gelöst werden. Öcalan hat zur Schaffung eines gesellschaftlichen Friedens eine große Entschlossenheit an den Tag gelegt und wichtige Erklärungen abgegeben. Deshalb sollten alle Kreise, die sich als demokratisch bezeichnen und für Frieden eintreten, die Friedensaufrufe Öcalans unterstützen. Dazu muss vor allem auch die verschärfte Isolation Öcalans sofort aufgehoben werden. Dafür müssen alle ihre Verantwortung wahrnehmen. Das Antifolterkomitee des Europarats, das hier mal wieder die drei Affen spielt, und alle internationalen Institutionen sind dazu aufgerufen, das Thema ernsthaft zu behandeln und damit aufzuhören, die Kurdinnen und Kurden ihren eigenen Interessen zu opfern.“