Kundgebung in Nürnberg: Was geschah vor sechs Jahren in Şengal?

Mit einer Kundgebung erinnerte das Medya Volkshaus in Nürnberg an den Angriff der Terrorbanden des sogenannten Islamischen Staats im Şengal vor sechs Jahren. Dabei wurde nicht vergessen, wer Tausende von Ezid*innen rettete, wer weglief und wer schwieg.

Das Medya Volkshaus in Nürnberg rief auf zu einer Kundgebung vor der Straße der Menschenrechte zum Jahrestag des Massakers in Şengal. Neben internationalistischen Aktivist*innen beteiligten sich auch Vertreter*innen der Interventionistischen Linken (il), der Linkspartei PdL und AGIF.

In mehreren Reden wurde an den Völkermord an den Ezid*innen in Şengal vor sechs Jahren erinnert, bei dem 10.000 Menschen getötet, mehr als 7.000 Frauen und Kinder entführt und über 400.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

In einem Redebeitrag hieß es: „Um die Gegenwart zu verstehen, müssen wir wissen, was damals genau geschah. Es gibt viele Erzählungen und viel Propaganda. Wir stützen uns auf Augenzeugenberichte, zum Beispiel des HPG-Kämpfers Êrîş Hewraman, der dabei war, als am 3. August 2014 die dschihadistische Terrormiliz „Islamischer Staat” das Siedlungsgebiet der ezidischen Bevölkerung im Nordirak angriff.

Wer fliehen konnte, zog sich in das Gebirge zurück. Şengal stand damals unter der Kontrolle der irakischen Regierung und der Barzani-Partei PDK. Dort waren etwa 12.000 Peschmerga-Kämpfer der PDK sowie weitere Sicherheitskräfte der südkurdischen Regierungspartei stationiert, ausgestattet mit deutschen und amerikanischen Waffen. Als der IS anrückte, verließen sie Şengal, nahmen sogar noch die Waffen der dort lebenden Bevölkerung mit. Die Ezid*innen sind den IS-Wölfen zum Fraß vorgeworfen worden.

Die vor allem von der Bundesregierung hochgelobten Peschmerga habe keine einzige Kugel zur Verteidigung Şengals abgefeuert. Die gesamte Region ist innerhalb eines Tages dem IS überlassen worden. Die ganze Welt hat geschwiegen. Nur die PKK-Guerilla und die Autonomieverwaltung in Rojava hat reagiert und wollte nicht zulassen, dass die ezidische Bevölkerung dem Tod geweiht wird.

Die ersten vor Ort waren die kurdischen Volksverteidigungskräfte HPG. Eine Handvoll Guerillakämpfer eilte den verzweifelten Menschen auf dem Şengal-Berg zu Hilfe. Obwohl sie nicht vertraut waren mit der Gegend, fanden sie einen Weg, das Eindringen der Dschihadisten zu verhindern und den Eingang zum Gebirge zu schützen. Sie leisteten mehrere Tage gegen die Angriffe des IS Widerstand. Dann kamen die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ aus Rojava und unterstützten die Guerilla. Gemeinsam richteten sie einen Sicherheitskorridor ein, um die zu Hunderttausenden auf den Şengal-Berg geflohenen Ezid*innen nach Rojava zu evakuieren, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Dieser „humanitäre Korridor“ verhinderte ein Massaker. Die YPG/YPJ und HPG beklagten bei der Aktion über 300 Kämpfer*innen, die im Kampf gegen den IS ihr Leben gaben.

Mit der Zeit befreiten die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten alle Gebiete Şengals. Die Bevölkerung bekam die Gelegenheit zu einem neuen Leben. Die ezidische Bevölkerung gründeten eigene Verteidigungskräfte YBŞ und YJŞ. Sie begannen mit der Organisierung einer Autonomieverwaltung. Inzwischen ist Şengal in der Lage, sich selbst zu verwalten und zu verteidigen. Die Guerilla hat sich zurückgezogen, hat aber erklärt, sie stehe bereit, auch künftig Şengal zu verteidigen.“

In anderen Redebeiträgen wurde betont, es gehe jetzt darum, dass Êzîdxan (das Land der Eziden) einen autonomen Status bekommt und dass die Selbstverwaltungsstrukturen anerkannt werden. Außerdem solle endlich das Massaker in Şengal von 2014 als Femizid benannt werden, da vor allem die Frauen und Mädchen unter Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung und Versklavung gelitten haben.