Kongress zur Demokratischen Moderne in Beirut eröffnet

Gestern hat in Beirut der Kongress „Die Zivilisationskrise im Mittleren Osten und der Aufbau der Demokratischen Zivilisation“ unter der Teilnahme von Vertreter*innen aus dem Mittleren Osten und Europa begonnen.

Gestern begann in Beirut, der Hauptstadt des Libanon, eine Konferenz vieler verschiedener NGOs zum Aufbau einer „Demokratischen Zivilisation“ im Mittleren Osten. Auf dem Kongress wird die Umsetzung der Perspektive der Demokratischen Nation und des Demokratischen Konföderalismus im Mittleren Osten diskutiert. Organisiert wurde die Konferenz von verschiedenen Stiftungen und Selbstorganisierungen im Mittleren Osten, unter anderem der Newroz-Kulturstiftung, dem Mazir-Forschungszentrum, dem Nationalrat der Armenier*innen aus Rojava, dem Ständigen Föderalismuskongress und der Partei der Einheit der Suryoye in Beirut.

Am Kongress nehmen Vertreter*innen aus Ägypten, dem Libanon, Syrien, der Türkei, dem Iran, Europa und allen vier Teilen Kurdistans teil.

Breite Teilnahme am Kongress

Ibrahim Murad von der Syriac Union Party Lebanon (SUL) stellte in seiner Eröffnungsrede die Bedeutung eines demokratischen Zusammenlebens der Völker der Region heraus und kritisierte, dass Herrschaft immer wieder durch das Schüren von Konflikten unter der Bevölkerung hergestellt werde. Insbesondere deswegen sei die breite Teilnahme verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen aus vielen Ländern des Mittleren Ostens von immenser Bedeutung.

Foza Yûsif: „Wir sind am Anfang der Geschichte verborgen“

Als nächstes sprach die Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien Foza Yûsif. Sie eröffnete ihre Rede mit dem Öcalan-Zitat „Die Geschichte ist heute, und wir sind am Beginn der Geschichte verborgen“ und wies darauf hin, man müsse die Geschichte betrachten, um die aktuelle Kriegsrealität begreifen zu können. Sie begann mit dem ausgehenden Neolithikum die Entwicklung der Gesellschaft im Mittleren Osten und der Zurückdrängung der natürlichen Gesellschaft zu analysieren. Sie stellte heraus, dass das erste Verbrechen in der Zivilisationsgeschichte die Versklavung der Frau gewesen sei: „Die Mentalität des Gott-Königs, die Sklavenkriege und eine versklavte Gesellschaft haben ihren Ursprung in der Versklavung der Frau. In anderen Worten, die Gesellschaft wurde dem Verhältnis Herr Sklave und dem Einfluss der Kriege ausgesetzt. In diesem Zusammenhang wurde der Staat unter der Maske des Bedürfnisses der Gesellschaft nach Führung legitimiert.“

Der Mittlere Osten hat sehr viel Leid erfahren“

Yûsif fuhr fort: „Wir sehen, dass die Geschichte nicht auf Zivilisation, dem Staat, Herrschaft oder Krieg um Profit aufbaut. Im Gegenteil, vor zehntausend Jahren hatte die Frau die Leitung in der neolithischen Gesellschaft inne. Dann begann die Geschichte mit den Sumerern. Die Sumerer haben alle Elemente aus der neolithischen Gesellschaft von Ost nach West übernommen. So wurde die Geschichte der Frauen und der Völker nicht geschrieben. Um das, was wir in der Geschichte verloren haben zurückzugewinnen, verlangt die Geschichte und die Zukunft von uns eine Revolution der Mentalität, der Moral und des Wissens.“

Nazan Üstündağ: Öcalans Theorie ist der Weg zur Befreiung der Völker

Als zweite Rednerin sprach die Akademikerin Nazan Üstündağ. Sie sagte: „Es gibt keinen anderen Ausweg aus der Krise als die Theorien Öcalans zur demokratischen Nation umzusetzen.“

Widerstandsgeschichte des Mittleren Osten

Auf dem zweiten Panel mit dem Titel „Die Widerstandsgeschichte des Mittleren Ostens und die Suche nach einer Lösung“ sprach Dr. Cewad Kazim al-Beydani von der Fakultät für Literatur an der Universität Bagdad über das Thema „Religiöser Widerstand und Klassenkrieg im System der zentralistischen Zivilisation".

Er sagte: „Die Bedingungen des Lebens, die gesellschaftlichen und geographischen Verhältnisse im Irak sind im Vergleich zu anderen Orten sehr verschieden. Die Gesellschaft stellt ein vielfarbiges Mosaik dar. Sie befindet sich aber im Krieg, und das beeinflusst das Leben der Völker im Mittleren Osten. Dieser Krieg hat nichts weiter als Tod, Zerstörung, Flucht und andere schlimme Dinge mit sich gebracht. Was wir heute erleben, ist ein Ausdruck dessen.“ Er hob hervor, dass sich insbesondere die ezidische Religion schon vor langer Zeit in die Berge zurückgezogen habe und Widerstand leiste. So konnte sich dieser Glaube demnach selbst vor den Kriegen und Krisen schützen und seinen Widerstand fortsetzen. Er fügte hinzu, dass der Widerstand der Bevölkerung des Iraks sich gegen die herrschenden Kräfte richte.

Die regionale Rolle des Libanon und die aktuelle Krise

Der Generalsekretär des Ständigen Föderalismuskongresses, Alfred Riachi, sprach im zweiten Teil der Versammlung über „Die regionale Rolle des Libanon und die aktuelle Krise“. Riachi stellte eine kurze Geschichte des Libanon vor und erinnerte an den jahrelangen Bürgerkrieg und den Angriff Israels am 24. Mai 2000 an der Südfront. Er betonte, dass die Auswirkungen des Bürgerkriegs zwischen palästinensischen und christlichen bewaffneten Gruppen immer noch in der Gesellschaft wirkmächtig sind und erklärte, föderale Systeme stellten eine Lösung für Bürgerkriege und konfessionelle und ethnische Kriege dar und ermöglichten eine Kultur des Zusammenlebens.

Demokratische Autonome Selbstverwaltung, ein Muster für den Mittleren Osten

In der zweiten Sitzung wurde die demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien und das Projekt der demokratischen Autonomie als beispielhaft für die Integration aller Komponenten der Gesellschaft als ein gemeinsames Modell der Selbstorganisation angeführt und betont, dass dieses Modell, das auf den Theorien von Abdullah Öcalan aufbaut, sein Funktionieren selbst unter Beweis gestellt habe.

Die Lösung gegenüber dem neoosmanischen Projekt ist das Zusammenleben“

Auf dem dritten Panel sprach der Turkologe und Professor der Universität des Libanon, Prof. Dr. Mihemed Nûredîn, zum Thema „Die neoosmanische Strategie der Türkei und ihre Rolle im Mittleren Osten“.

In der ersten Sitzung bezog sich Prof. Dr. Mihemed Nûredîn auf die Zeit zwischen dem 28. Januar 1920, als der osmanische Misak-i-Milli (Nationaler Pakt) im Parlament beschlossen wurde, bis zum Abkommen von Lausanne, das am 24. Juli 1932 unterzeichnet wurde.

Nûredîn sagte: „Die Phase, in der die Grenzen der Länder neu gezogen wurden, dauerte von 1920 bis 1939. In der Zeit wurde Iskenderun von Syrien weggenommen und der Türkei gegeben. Aber die Grenzen der Türkei und diejenigen, die ihre Ideologie definieren, sind verschiedene.“ Bereits der „Nationalpakt“ (Misak-i-Milli) habe Paragraphen enthalten, welche die anderen Völker innerhalb der Grenzen verleugneten. Er fuhr fort: „Die osmanischen Bestrebungen, Politik und Religion zu vereinen, wurden mit dem Putsch vom 12. September 1980 abgeschlossen. Die türkisch-islamische Ideologie legitimierte das Vorgehen gegen Kurden, Kommunisten und Linke. Diese Situation erreichte in der modernen Geschichte der Türkei mit dem neoosmanischen Selbstverständnis ihren Gipfel.“

Neoosmanismus und der Frühling der Völker

Er fuhr fort: „Die Situation, die mit dem Frühling der Völker entstanden war, stellte für die AKP eine Gelegenheit dar, ihre osmanischen Projekte zu realisieren. Mit dem neoosmanischen Projekt, den USA und den westlichen Ländern, die dieses unterstützten, wollte man die entstehende Lage nutzen, um die Region und die Gesellschaften der Region zu spalten und die Sicherheit Israels zu garantieren.“

Der IS, al-Nusra und die anderen Terrorgruppen sind die Werkzeuge des Neoosmanismus“

Nûredîn betonte, dass der Türkei jedes Mittel zur Ausweitung ihrer Macht recht sei und sie daher Organisationen wie den IS und al-Nusra als Werkzeug eingesetzt hat, um eine Hegemonie in der Region zu erlangen. Die Türkei habe mit diesem Ziel in Başika (Südkurdistan) eine Basis errichtet und das Dreieck Cerablus, Azaz, Bab und zuletzt Efrîn besetzt und versuche ihre Werkzeuge, die Banden in Idlib, zu schützen. „Das neoosmanische Projekt ist ambitionierter als Misak-i Milli. Misak-i Milli definierte Nordsyrien und den Irak als Teil des türkisch-osmanischen Territoriums. Dieses Projekt steht für die Türkei im Vordergrund. Das zeigt sich an den letzten militärischen und politischen Entwicklungen in Syrien und dem Irak. Anders gesagt, mit den in Astana erreichten Vereinbarungen wurde dem Neoosmanismus der Weg für die Besetzung des Gebietes von Cerablus bis Efrîn und von Idlib geöffnet. Die Türkei hat sich der dauerhaften Stationierung ihrer Kräfte in Başika versichert, und die Drohungen gegen Şengal gehen ebenfalls mit Unterbrechungen weiter. Der politische Krieg ist intensiver als der mit Waffen. Wie können Syrien, der Irak und die arabischen Regionen den Neoosmanismus aufhalten? Demgegenüber fällt uns die Aufgabe zu, dem durch den Neoosmanismus in den Golfstaaten und Nordafrika, in Syrien und dem Mittleren Osten und in der Türkei angerichteten Schaden eine Lösung entgegen zu setzen“, so Nûredîn.

Sykes-Picot und Alternativen

Es folgte der HDP-Abgeordnete Mithat Sancar mit seinem Beitrag: „Was sind die Gründe der Synthese aus weißem und grünen Faschismus in der Türkei, was sind die Folgen für die Bevölkerung und wie sieht eine Lösung aus?“

Sancar stellte die Entwicklungen des letzten Jahrhunderts heraus und bezeichnete die Gründung des türkischen Nationalstaats und die darauffolgenden Massaker an der armenischen, kurdischen und der Suryoye-Bevölkerung als Konsequenzen aus dem Sykes-Picot-Abkommen. Er sagte: „Die Geschichte von Sykes-Picot ist zu Ende – oder wir können sagen, dieses Abkommen ist vernichtet worden. Demgegenüber sollte es eine Alternative geben. Aber was ist diese Alternative und welche Kraft sollte diese umsetzen können?

Es gab viele Vorschläge in dieser Hinsicht. Aber sie waren auf die Restaurierung von Sykes-Picot und den Schutz und der Lebensverlängerung des Nationalstaats ausgerichtet. Die Türkei versucht heute, ihr neoosmanisches Projekt umzusetzen. Aber dieses Projekt hat einen Genozid an den Völkern als Grundlage.“

Öcalans Projekt ist die passendste Alternative“

Sancar erklärte, dass im Angesicht der Krise die Völker des Mittleren Osten das Projekt des Demokratischen Konföderalismus diskutieren müssten. Dieses Modell sei auch für die Palästinafrage aktuell, so könnten die Rechte des palästinensischen Volkes garantiert und ein Ausweg aus der Krise gefunden werden.

Erdoğan ist gegen das friedliche Projekt“

Sancar sagte zu den friedlichen, radikaldemokratischen Projekten, die von Abdullah Öcalan vorgeschlagen wurden: „Die Völker der Türkei hatten dieses Projekt akzeptiert, aber Erdoğan stellte sich für das Präsidialsystem und seine Herrschaft dagegen.“

Sancar schloss mit den Worten: „Gegen Erdoğans Träume gibt es ein weiteres Projekt Öcalans. Das ist das Projekt der Demokratie und Einheit der Völker. Öcalan hat diese Projekte in seinen Verteidigungsschriften genau erklärt. Wir als HDP arbeiten für eine Lösung der kurdischen Frage mit den friedlichen Projekten, gegen die sich die von Erdoğan geführte Regierung stellt.“

Der Kongress schloss mit Diskussionen.