Kommentar: Der Iran, die Kurden und der dritte Weg

Eine strategische Beziehung mit den Kurd*innen auf der Grundlage der Demokratischen Nation aufzubauen ist der Weg, den Iran mit dem geringsten Schaden zu befreien.

Im Mittleren Osten folgen rapide Entwicklungen Schlag auf Schlag aufeinander. Alle politischen Entwicklungen drehen sich weiterhin um den Krieg. Politische Treffen, Abkommen oder entsprechende Schritte dienen dazu zu klären, ob es zum Krieg kommt oder nicht. Es finden Treffen statt, denen einen große Bedeutung beigemessen wird, und es werden Abkommen diskutiert. Am Ende dieser Diskussionen erklären alle beteiligten Parteien: „Es ist super gelaufen, es war sehr produktiv, wir konnten von den Treffen profitieren.“ Leider ist die Realität eine andere, das wissen wir von den unzähligen Angriffen, Rechtsverletzungen und Invasionen, die nach diesen „schönen“ Treffen stattfinden.

Ein möglicher Angriff auf den Iran

Mit der Verschärfung der US-Sanktionen gegen den Iran liegen nun alle Augen auf dem Iran. Es wird über einen möglichen Angriff auf das Land spekuliert. Ein Angriff auf den Iran ist mehr als wahrscheinlich geworden. Nicht nur in der Golfregion haben die Spannungen zugenommen, das Klima im gesamten Mittleren Osten hat sich verschärft. Es ist nicht unmöglich, dass im Falle eines Angriffs auf den Iran, die von ihm organisierten Milizen und bewaffneten Gruppen den ganzen Mittleren Osten zur Explosion bringen. Kein Krieg im Mittleren Osten wird ausreichen, den Iran aus dieser Lage zu befreien. In einer solchen Situation versucht der Iran, seine Nachbarn auf jede erdenkliche Weise dazu zu bringen, sich gegen einen Krieg zu stellen.

Die Bedeutung des dritten Wegs

Die Freiheitsbewegung Kurdistans hat das Ziel, ein gemeinsames Leben aller Völker des Mittleren Ostens auf der Grundlage der demokratischen Nation aufzubauen. In diesem Zusammenhang verfolgt sie in allen Ländern einen „dritten Weg“ mit dem Ziel, sich den Kriegsparteien und Machtblöcken zu verweigern. Der dritte Weg weicht von der klassischen Linie oppositioneller Bewegungen ab, neue Herrschaftsstrukturen gegen faschistische Diktaturen aufzubauen. Der dritte Weg bedeutet, sich von diesen Strukturen ebenso fernzuhalten, wie von den Regimen, denn die Freiheitsbewegung analysiert den Staat und die Herrschaft als Kern des Problems. Statt eine der beiden Herrschaftsformen zu wählen, verfolgt der dritte Weg den einer Lösung der Probleme auf der Grundlage von Demokratisierung und Selbstverteidigung. Der Weg der demokratischen Nation, wie er von Abdullah Öcalan entwickelt wurde, unterscheidet sich nicht nur methodisch. Während sich im Mittleren Osten alle Entwicklungen um den Krieg drehen, ist die Grundlage von Öcalans Herangehensweise eine sich nicht auf den Krieg fokussierende Politikform. Der dritte Weg stellt stattdessen die gesellschaftliche Freiheit in den Mittelpunkt. Es geht darum zu verhindern, dass sich die Völker gegenseitig an die Kehle gehen. Er stützt sich auf die Überzeugung, dass die Völker zusammen auf der Basis demokratischer Grundsätze leben können.

Gegen das Risiko des Abschlachtens

Der Iran verfügt in diesem Sinne über ein starkes Mosaik der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und über einen bedeutenden gesellschaftlichen Reichtum, um den demokratischen Konföderalismus umzusetzen und einen Wandel auf der Grundlage der demokratischen Nation herbeizuführen. So lange nicht eine starke demokratische Selbstverwaltung, die den Reichtum der Gesellschaft repräsentiert, aufgebaut wird, besteht zu jeder Zeit das Risiko, dass es zu einem Abschlachten der Völker untereinander kommt. Das repressive Regime der Islamischen Republik Iran akzeptiert weder die Kurd*innen noch irgendwelche anderen Völker der Region. Das ist offensichtlich. Darüber hinaus wurde ein System der Verwaltung aufgebaut, das strukturell nicht in der Lage ist, jegliche individuellen oder gesellschaftlichen Rechte anzuerkennen.

Tiefgreifender Assimilationsprozess hin zu einer schiitischen und persischen Identität

Die Frauen leiden unter schwerer Unterdrückung im Iran und geben ihr Leben für in anderen Ländern selbstverständliche Dinge, wie kein Kopftuch tragen zu müssen oder ins Fußballstadion gehen zu dürfen. In dieser Situation steht jeglicher Versuch der Schaffung einer freien Frauenidentität wie auch jede Modernisierungsbemühung existentiellen Fragen gegenüber. Obwohl der Iran aus Hunderten verschiedenen Gesellschaften und Kulturen besteht, werden alle in das Muster der persischen Nation gepresst. Auch wenn es so erscheint, als würden manche gesellschaftlichen Unterschiedlichkeiten nicht verleugnet, so wird doch allen eingeimpft, dass sie nur als Schiiten und Perser in Frieden leben können. So findet ein tiefgreifender Assimilationsprozess hin zu einer schiitischen und persischen Identität statt.

Die Türkei wird nicht still danebenstehen

Innerhalb des Iran entwickeln sich immer größere Proteste gegen das Regime. Dass sich der Iran in einer solchen Situation darauf fokussiert, seine ganze Kraft auf die Haltung seiner Nachbarstaaten im Falle eines Angriffs zu verwenden, macht keinen Sinn. Um dies zu verstehen, reicht ein Blick auf das Verhältnis des türkischen AKP-MHP-Regimes zum syrischen Regime. Während die Türkei heuchlerisch von der Einheit Syriens spricht, verletzt sie dessen Grenzen, besetzt seine Städte, führt dort ethnische Säuberungen durch und zerstört die historische und geographische Struktur des Landes. Der AKP-MHP-Faschismus, der so agiert, wie der von ihm unterstützte IS, ist weit davon entfernt, auch nur annähernd so etwas wie nachbarschaftliche Beziehungen aufzubauen. Im Gegenteil, er greift in dem Irrglauben an, nun seine neoosmanischen Träume in Erfüllung gehen lassen zu können. Was der türkische Faschismus dem Iran antun wird, wird schlimmer sein, als das was er in Syrien angerichtet hat. Die Aktivitäten des MIT gegenüber dem Iran deuten bereits darauf hin.

Demokratische Nation ist Ausweg für den Iran

Das Einzige, was den Iran gegenüber einem solchen Angriff vor dem größten Schaden bewahren kann, ist eine strategische Beziehung zu den Kurd*innen und in diesem Sinne der Aufbau einer demokratischen Nation.