Das Oberlandesgericht Koblenz hat Hüseyin A. zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Sechzigjährige seit August 2015 unter dem Decknamen Çolak das „PKK-Gebiet Mainz“ leitete. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Strafsenat hält in der „Urteilsbegründung“ fest, dass der alevitische Kurde niemals Gewalt angewandt oder Druck ausgeübt hat und nicht an der Planung oder Ausführung von Anschlägen beteiligt war. Eine individuelle Straftat in Deutschland wird ihm nicht zur Last gelegt.
Hüseyin A. ist im Mai 2020 festgenommen worden. Einschlägige Erfahrungen mit der türkischen und bundesdeutschen Justiz hat Hüseyin A. bereits gemacht. So war er, ursprünglich zum Tode verurteilt, wegen seines politischen Engagements 20 Jahre und sieben Monate in türkischer Haft. Hiervon musste er zwei Jahre bei täglicher Folter, deren Zeitpunkt er selbst hat bestimmen müssen, in einer Dunkelzelle im Gefängnis von Maraş zubringen. Außerdem hatte Hüseyin A. bei brutalen Angriffen faschistischer „Grauer Wölfe“, die mit dem Ruf „Tod den Aleviten“ Ende der 1970er Jahre das Haus seines Onkels stürmten, ihn und vier Familienmitglieder töteten, eine Hand verloren.
Nach seiner Haftentlassung im Februar 2001 ist er wegen erneut drohender Festnahme zu seinen in Deutschland lebenden Geschwistern geflohen. Doch verhaftet wurde er wieder, diesmal im Juli 2008 in Deutschland. Die Anklage bezichtigte ihn, sich als angeblicher Sektorleiter „Süd“ und Deutschlandverantwortlicher der PKK in einer – damals noch – „kriminellen“ Vereinigung (§ 129 StGB) betätigt zu haben. Ein Jahr später wurde er vom Staatsschutzsenat des OLG Düsseldorf zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, die er bis zum letzten Tag hat verbüßen müssen. Der „Freilassung“ im April 2012 folgte eine dreijährige Führungsaufsicht.
Pro und kontra Selbstverteidigungsrecht
Was deutsche Anklagebehörden als „Terrorismus“ einstufen und strafrechtlich verfolgen, hat der Kassationshof in Brüssel in einem Verfahren gegen Dutzende kurdische Politiker und Medienschaffende in ein völlig anderes Licht gestellt. Das Gericht stellte fest, dass es sich nach belgischer Rechtsauffassung bei dem Konflikt zwischen der Türkei und der PKK um einen nicht-internationalen Konflikt mit andauerndem Charakter und hoher Intensität handelt. Aufgrund der weit entwickelten Organisation der PKK sowie der HPG müsse das humanitäre Völkerrecht auf diesen Konflikt angewendet werden. Die Kampfhandlungen der PKK jedenfalls könnten nicht als terroristisch eingestuft werden. Das wäre der Fall, wenn diese nicht in einem Zusammenhang mit dem Konflikt stehen würden, was dann wiederum als Kriegsverbrechen geahndet werden müsse, nicht aber als „terroristisches“ Handeln.
Diese gänzlich andere Sicht auf die kurdische Bewegung macht deutlich, dass auch das Urteil gegen Hüseyin A. politisch motiviert und von einer verheerenden Opportunitätslogik deutscher Außenpolitik geprägt ist.