Kienzle: Keine Waffengleichheit im Stuttgarter PKK-Prozess

Rechtsanwalt Alexander Kienzle verteidigt den kurdischen Aktivisten Kamuran Vesek im PKK-Prozess in Stuttgart. Belastungszeugen treten aufgrund einer Vertraulichkeitszusicherung nicht vor Gericht auf. Kienzle spricht von „Herrschaftswissen“.

Am 1. November 2019 wurde Kamuran Y. Vesek auf Veranlassung bundesdeutscher Strafverfolgungsbehörden am Flughafen Zürich fest- und in Auslieferungshaft genommen. Im Juni 2020 ist er an die Justizbehörden in Stuttgart überstellt worden. Der 34-Jährige befindet sich in Untersuchungshaft in der JVA Stuttgart-Stammheim. Seit dem 8. Oktober 2020 läuft vor dem OLG Stuttgart das Hauptverfahren gegen den Aktivisten nach §§ 129a/b StGB.

Der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. hat mit seinem Verteidiger Alexander Kienzle über den Prozessverlauf gesprochen und das Interview in seinem neuen Infodienst veröffentlicht:

Auf Veranlassung welcher bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörde wurde seinerzeit die Schweiz um die Auslieferung von Kamuran Y. Vesek ersucht?

Das Ermittlungsverfahren wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart betrieben. Sie vertritt die Anklage gegen den Mandanten vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart.

Was wird Ihrem Mandanten konkret vorgeworfen?

Dem Mandanten wird vorgeworfen, 2014 in verantwortlicher Funktion für die Jugendstruktur in Stuttgart tätig gewesen zu sein und hierbei auch junge Menschen angeworben zu haben für den bewaffneten Kampf. 2015 und 2016 soll er dann Gebietsverantwortlicher im Saarland gewesen sein. Es geht hierbei insbesondere – wie in den allermeisten solcher Verfahren – um die Organisation von und Teilnahme an Demonstrationen und Veranstaltungen, die Einwerbung von Spenden und Ähnlichem.

In dem großen Stuttgarter §129a/b-Verfahren gegen vier Kurden und eine Kurdin, das Ende April zu Ende gegangen ist, spielte ein höchst fragwürdiger Kronzeuge eine Rolle, der mit allerlei dubiosen Erzählungen die Angeklagten belastet hat. Dennoch bezogen sich die Ankläger und der Senat des OLG auf dessen Aussagen. Gibt es auch in Ihrem Verfahren Aussagen von zwielichtigen Personen, die Ihren Mandanten belastet haben oder belasten?

Immerhin konnte in dem anderen Verfahren nach meinem Kenntnisstand der Kronzeuge konfrontiert werden. Uns wird das Konfrontationsrecht seitens staatlicher Stellen vorenthalten. Deshalb kann ich zu den Personen, die den Mandanten belasten haben sollen, nur relativ wenig sagen. Hintergrund ist, dass nach polizeilichen Vermerken verschiedene Informanten, denen Vertraulichkeit zugesichert worden sei, den Mandanten belastet haben sollen. Diese Personen dürfen allerdings aufgrund von Sperrerklärungen der staatlichen Stellen nicht vom Gericht geladen und von uns vernommen werden, weil anderenfalls Gefahren für die Informanten selbst oder staatliche Stellen bestehen sollen. Man schafft also Herrschaftswissen, das Verteidigung gegen bestimmte Beweisführungen in Teilen verunmöglicht.

Auch die unmittelbaren Vernehmungsmitschriften werden weiterhin geheim gehalten. In der Hauptverhandlung werden lediglich die Quellenführer der Informanten als Zeugen vom Hörensagen vernommen, die dann „sinngemäß“ das wiedergeben, was ihnen diese Informanten vor mehr als fünf Jahren berichtet haben sollen. Vorbereitet haben sie sich auf ihre Aussagen teilweise mit den Unterlagen, die uns nicht zur Verfügung gestellt werden. Das erfüllt den Anspruch auf eine Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung nicht, wird aber aufgrund geltenden Rechts so hingenommen.

Kamuran Y. Vesek, Postadresse: JVA Stuttgart, Asperger Str. 60, 70439 Stuttgart

Der Prozess dauert seit nunmehr acht Monaten. Auch Sie werden vermutlich das Bestreben der Staatsschutzsenate, möglichst „kurzen Prozess“ zu machen mit den Verfahren gegen kurdische Aktivist:innen, nicht stützen und in Ihren Anträge die vielschichtigen politischen Hintergründe des Kurdistan-Konflikts thematisieren und die völkerrechtlichen Aspekte des bewaffneten Widerstands der Kurdinnen und Kurden darstellen. Können Sie uns berichten, welche weiteren Kritik- und Klärungspunkte Sie in Ihren Anträgen angesprochen haben und wie sich Generalstaatsanwaltschaft und der Senat hierzu verhalten haben?

Wir haben uns bislang – auch aufgrund des Beweisprogramms des Senats – sehr konkret mit der Problematik einer teilweise ausgesprochen schlecht dokumentierten Ermittlungstätigkeit und den Problemen rund um die Informanten der Polizei befasst. Erst in den letzten Wochen spielte der Kurdistan-Konflikt an sich eine größere Rolle. Diese Themen werden wir in dem Verfahren noch intensiv zu thematisieren haben. Schon jetzt kann man aber sagen, dass – etwas überspitzt gesagt – von Seiten der Generalstaatsanwaltschaft und des Senats möglicherweise als ausreichend erachtet wird, die PKK als terroristische Vereinigung im Ausland darzustellen und die verschiedenen als „Anschläge“ gewerteten Ereignisse in die Beweisaufnahme einzuführen, um den Konflikt zu beleuchten. Das kann natürlich noch nicht alles gewesen sein.

Lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt absehen, wie lange der Prozess noch dauern wird?

Das kann man nur ausgesprochen schwer einschätzen. Der Senat signalisiert, mit seinem Beweisprogramm einem Ende zuzugehen. Es wird dann davon abhängen, welche Anträge die Verteidigung noch stellt und wie die Reaktion des Senats hierauf sein wird, ob also noch nennenswert weitere Beweise erhoben werden.

Zum Schluss möchten wir noch nachfragen, wie es Kamuran Vesek geht und wie seine Haftbedingungen sind.

Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Die Haftbedingungen sind aber natürlich schwierig, weil sie – wie wir auch dem Senat gegenüber bereits thematisiert haben – sowohl unter den Einschränkungen eines sog. Terrorismusverfahrens als auch denen der Pandemie zu sehen sind. So finden beispielsweise Besuche nur unregelmäßig statt. Problematisch war bei dem Mandanten außerdem, dass er teilweise sehr lange auf notwendige medizinische Versorgung warten musste. Das hierzu angestrengte gerichtliche Verfahren läuft noch.

Wir bedanken uns sehr für das Gespräch.