„Kein Defizit an Abschiebungen, sondern an Menschlichkeit“

Die Zahl der Abschiebungen befindet sich auf dem sehr hohen Vorjahresniveau von 23.617 Abschiebungen. 11.496 Menschen wurden bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres abgeschoben.

Immer wieder bringen Innenminister Horst Seehofer und andere rechte Politiker*innen das Thema zur Sprache, es gäbe zu wenig Abschiebungen aus Deutschland. Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion widerlegt diese Behauptungen und legt erschreckende Zahlen zum Einsatz von Gewaltmitteln bei Abschiebungen vor.

Zahl der Abschiebungen auf Konstant hohem Niveau

Aus der Kleinen Anfrage geht hervor, dass auch im ersten Halbjahr 2019 11.496 Menschen abgeschoben wurden. Damit hält sich die Zahl der Abschiebungen auf dem sehr hohen Vorjahresniveau von 23.617 Abschiebungen. 37 Prozent der Abschiebungen gingen in andere EU-Staaten nach dem sogenannten Dublin abkommen. 1.232 davon gingen nach Italien, wo überstellte Schutzsuchende in vielen Fällen auf der Straße sitzen. In die Erdoğan-Diktatur wurden bereits im ersten Halbjahr 191 Personen abgeschoben, zwölf von ihnen unter 18 Jahre alt, im vergangenen Gesamtjahr waren es 277.

Interessant ist, wenn man die offizielle Zahl der Ausreisen und Abschiebungen mit der Zahl der behördlichen Ausreiseentscheidungen vergleicht. Ab der behördlichen Ausreiseentscheidung besteht für Schutzsuchende dann Ausreisepflicht. Die Zahl der Ausreiseentscheidungen betrug 7.344 Fälle, die Zahl der Abschiebungen und dokumentierten Ausreisen abgelehnter Asylbewerber*innen betrug aber 17.985, also mehr als das Doppelte. Die reale Zahl von Personen, deren Ausreise nicht festgestellt wurde, die aber in ihre Heimat zurückgekehrt sind, dürfte allerdings noch weitaus höher liegen. Damit wird deutlich, dass die Argumentation von einem „Defizit an Abschiebungen“ nicht tragbar ist. Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Ulla Jelpke, erklärte dazu: Diese Zahl widersprechen eindeutig der Annahme erheblicher Vollzugsdefizite im Umgang mit abgelehnten Asylsuchenden. Statt verschärfter Abschiebungsregelungen brauchen wir humanitäre Bleiberechtsregelungen. Es gibt kein Defizit an Abschiebungen, sondern an Menschlichkeit. Die realitätsblinden Rufe nach immer mehr Abschiebungen haben das politische Klima in Deutschland vergiftet. In der Abschiebungspraxis kommen die Grundsätze eines menschenwürdigen Umgangs unter die Räder. Es muss hier ein Umdenken geben, die jüngsten Gesetzesverschärfungen müssen dringend wieder zurückgenommen werden.“

Zahl von Gewalt durch Beamte bei Abschiebungen hat sich verzehnfacht

1060 mal kam es im 1. Halbjahr 2019 zum Einsatz von „Hilfsmitteln körperlicher Gewalt“ durch die Bundespolizei bei Abschiebungen. Dabei kann es sich um Ganzkörperfesselungen oder das Anlegen von Handschellen, aber auch um Schläge und Misshandlungen durch Polizeibeamte handeln. Die Zahl der Einsätze von Gewalt bei Abschiebungen hat sich in den vergangenen vier Jahren verzehnfacht. Erklärbar ist dies unter anderem auch mit der immer verzweifelteren Lage von Schutzsuchenden, die mittlerweile auch nach Afghanistan, in den Irak oder die türkische Diktatur abgeschoben werden. Bei Abschiebungen in die Türkei wurden 16 Schutzsuchende „unmittelbarem Zwang“ ausgesetzt. Ulla Jelpke dazu: „Immer häufiger wird bei Abschiebungen behördlicherseits auf Gewaltmittel gesetzt, Hand- und Fußfesseln, Festhaltegurte, ‚body cuffs‘ und dergleichen. In den letzten vier Jahren hat sich dieser Einsatz polizeilicher Gewaltmittel verzehnfacht, gegenüber dem Vorjahr ist jetzt noch einmal ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Ich finde es unerträglich, dass die Verzweiflung dieser Menschen immer unnachgiebiger mit Gewaltmitteln gebrochen wird, um sie gegen ihren Willen in elendste Verhältnisse in ihren Herkunftsländern oder in Transitstaaten zurückzuschicken. Es gibt immer wieder schockierende Berichte aus der Praxis über brutale Abschiebungen. Die Abschiebepolitik der Bundesregierung spottet jeglicher Humanität– es braucht hier dringend ein Umdenken!“

Die Kleine Anfrage kann unter folgendem Link eingesehen werden: Abschiebungen und Ausreisen im ersten Halbjahr 2019