Das türkische Parlament hat eine Erklärung gegen die Sanktionen der US-Regierung wegen des Einsatzes des russischen Raketenabwehrsystems S-400 abgegeben und die Regierung in Washington aufgefordert, den „schwerwiegenden Irrtum“ zurückzunehmen. Eine die Türkei ausschließende Perspektive könne nicht zum „Weltfrieden” beitragen, heißt es in dem am Dienstag verabschiedeten Statement. Zudem würden die Sanktionen am Verhalten der Regierung in Ankara nichts ändern, und sie würden keine Auswirkungen auf die türkische Rüstungsindustrie haben. Als einzige Fraktion hat die Demokratische Partei der Völker (HDP) konsequent gegen den nationalen Schulterschluss gestimmt.
US-Außenminister Mike Pompeo hatte am Montag in Washington mitgeteilt, dass das türkische Direktorat der Verteidigungsindustrie (SSB) mit Sanktionen belegt werde. Das Direktorat ist für die Beschaffung, Produktion und Entwicklung von Rüstungsgütern verantwortlich und untersteht Präsident Recep Tayyip Erdogan. Pompeo sagte, die Sanktionen beinhalteten ein Verbot aller US-Exportlizenzen und -genehmigungen. Etwaige Vermögenswerte von SSB-Chef Ismail Demir und anderen Führungskräften in den USA würden eingefroren, gegen sie würden außerdem Einreisebeschränkungen verhängt.
Abkommen mit Blick auf Efrîn kein gewöhnlicher Vertrag
„Als HDP haben wir vom ersten Tag an gegen das Abkommen über das Langstrecken-Flugabwehrraketensystem S-400 der Türkei mit Russland Stellung bezogen. Wir haben auch kritisiert, dass der inkonsequente Ansatz der AKP-Regierung, die Diplomatie und bilaterale Beziehungen zu den USA auf persönliche Beziehungen zu US-Präsident Donald Trump reduziert, unhaltbar ist”, sagte die Vizefraktionsvorsitzende Meral Danış Beştaş am Dienstag in Ankara. Mit Blick auf den Syrienkrieg und die türkisch-russischen Verhandlungen zu Efrîn, dem ehemals selbstverwalteten Kanton in Nordsyrien, der seit dem Frühjahr 2018 von der Türkei besetzt ist, könne das S-400-Abkommen ohnehin nicht als einfacher militärischer Vertrag betrachtet werden. „Es ist weder aufrichtig noch rational, ein Verhalten zu zeigen das vorgibt, die Anwendung der CAATSA-Gesetze nicht in Erwägrung gezogen zu haben. Seit dem Jahr 2017 erlauben die CAATSA-Gesetze der US-Administration, solche Länder zu bestrafen, die größere Rüstungskäufe in Russland tätigen. Die Sanktionen sind somit keine unerwartete Entwicklung”, so Danış-Beştaş. Von zwölf möglichen Sanktionen, die das Gesetz vorsieht, haben die USA die geringfügigsten ausgewählt und sich vorerst auf einige Vertreter der Rüstungsindustrie beschränkt.
Debatten nur militaristisches Spiel
Sollte die S-400-Krise nicht ernsthaft angegangen werden, könnten sich die Sanktionen über die derzeitigen Grenzen hinaus ausdehnen und ein Niveau erreichen, das die ohnehin schon schwer gebeutelten Menschen in der Türkei wirtschaftlich ruinieren würde, führte Danış-Beştaş weiter aus. „Es ist diese wahrscheinliche Entwicklung in naher Zukunft, die wir unbedingt verhindern müssen”, so die Abgeordnete. Seit Jahren kritisiere ihre Fraktion die Politik der AKP-Regierung und bemühe sich, die Türkei vor einer Situation wie dieser zu bewahren. „Diese Haltung behalten wir auch heute bei. Die Art und Weise, gegen Sanktionen vorzugehen, besteht nicht darin, sich der Politik der Regierung anzuschließen, die das Land in den Abgrund treibt, sondern indem wir uns gegen eben diese Politik stellen und unserer Bevölkerung einen alternativen Ausweg aufzeigen.” Für die HDP seien die Debatten um S-400, F-35, CAATSA nichts weiter als ein „militaristisches Spiel”, das um die „schreckliche Regierungspolitik” herum Gestalt annehme. „Wir sagen noch einmal, dass wir uns an diesem Spiel nicht beteiligen werden.”
Abkommen mit Russland über 2,5 Milliarden Dollar
Die Türkei, ein NATO-Verbündeter, hatte im Dezember 2017 offiziell ein Abkommen über 2,5 Milliarden Dollar mit Russland für das Langstrecken-Flugabwehrraketensystem S-400 unterzeichnet. Dies geschah, obwohl die USA Druck ausübten, da das System die NATO-Sicherheit sowohl aus politischen als auch aus technischen Gründen gefährden würde. Daraufhin wurde die Türkei aus der Entwicklung des Tarnkappen-Mehrkampfflugzeugs F35 ausgeschlossen.