Griechische Polizei räumt Flüchtlingslager Lavrio

Das selbstverwaltete Flüchtlingslager Lavrio in der Nähe von Athen ist geräumt worden, über fünfzig kurdische Bewohner:innen wurden von der Polizei abgeführt. Die Räumung wird als Teil des NATO-Deals mit der Türkei interpretiert.

Die griechische Polizei hat im Morgengrauen eine Razzia im selbstverwalteten Flüchtlingslager Lavrio in der Nähe von Athen durchgeführt und das Camp zwangsgeräumt. In dem Lager lebten rund 50 kurdische Flüchtlinge aus der Türkei, Syrien und dem Irak, darunter auch 19 Kinder. Die Polizei soll bei der Razzia Zimmertüren aufgebrochen haben.


Das Camp wurde seit langer Zeit von der türkischen Regierung als „terroristisches Ausbildungslager" angefeindet und als Zufluchtsort für Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und anderer verbotener linksgerichteter Organisationen aus der Türkei bezeichnet.
Griechische Medien berichteten, die Razzia sei eine „Geste an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan". Es wird befürchtet, dass einige der kurdischen Flüchtlinge als Folge der Aktion ausgeliefert werden könnten. Das griechische Ministerium für Migration und Asyl hatte im April die schrittweise Schließung des Lagers Lavrio beschlossen, da es angeblich für die Unterbringung von Flüchtlingen ungeeignet sei. Im Rahmen dieses Prozesses wurden etwa 100 der 150 im Lager untergebrachten Menschen bereits in andere Unterkünfte in der Region verlegt.

Camp Lavrio diente nicht nur als Zufluchtsort, sondern auch als Solidaritätszentrum, das den Bewohner:innen Unterstützung bot und ein Gemeinschaftsgefühl förderte. Die Räumung wurde von griechischen NGOs verurteilt. Das kurdische Kulturzentrum in Athen berichtete von unverhältnismäßigem Vorgehen: Das Lager sei von Hunderten Polizist:innen überfallen und die Bewohner:innen mit Gewalt in Busse verfrachtet worden. Dabei handele es sich um ein Ergebnis eines Deals zwischen dem türkischen Staat und der NATO. Die Darstellung des griechischen Migrationsministeriums, dass die Flüchtlinge freiwillig gegangen seien, sei falsch, so das kurdische Kulturzentrum. Die Evakuierung sei erzwungen worden.

Die Räumung des selbstverwalteten Lagers erfolgte kurz nach der Erklärung der neuen rechten Regierung Griechenlands, einen Neubeginn im Verhältnis zur Türkei zu starten. Am 11. und 12. Juli findet ein NATO-Gipfel in Litauen statt, auf dem es erneut um die von der Türkei blockierte Aufnahme Schwedens gehen wird.

Lavrio ist eine Kleinstadt in der griechischen Provinz Attika, ca. 60 Kilometer südlich von Athen. Dort befindet sich eines der ältesten Flüchtlingslager Griechenlands: Erbaut in den 1960er Jahren für Flüchtlinge des Kalten Krieges aus der Sowjetunion, kamen in den 80er Jahren hauptsächlich politische Flüchtlinge aus der Türkei, die dem Militärputsch dort entkommen waren. Lavrio ist seither bekannt als Aufnahmelager für kurdische Flüchtlinge und war Ankara stets ein Dorn im Auge. Ab 2014 kamen vermehrt kurdische Familien aus Rojava/Nordsyrien hinzu, die vor den Angriffen des Islamischen Staates (IS) flüchteten. Zuletzt machten sie die Mehrheit der Bewohner:innen aus, aber auch Kurd:innen aus Bakur, Rojhilat und Başûr lebten im Lager.

Bis vor wenigen Jahren war das Camp offiziell von Athen anerkannt und wurde mit Hilfe des griechischen Roten Kreuzes betrieben. Doch 2017 entzog die Syriza-Regierung dem Lager überraschend die staatliche Unterstützung. Seitdem war Lavrio eine Art Selbstverwaltungszone, finanziert aus Spenden, unter anderem vom Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê). Die Selbstverwaltung des Lagers arbeitete nach dem Prinzip der Demokratischen Autonomie. Es gab Komitees für Sicherheit, Sauberkeit, Gesundheit, Frauen, Jugend und Verwaltung.

Mit Lavrio wurde europaweit etwas Einzigartiges geschaffen. Die Bevölkerung der Kleinstadt Lavrio mit ca. 25.000 Einwohner:innen solidarisierte sich mit den Menschen im Lager, brachten Lebensmittel und andere Sachspenden vorbei und kauften morgens ihre Zigaretten in dem kleinen Kiosk, den das Lager betrieb.