Bei einem Solidaritätsbesuch der Mahnwache im Akbelen-Wald in der südwesttürkischen Provinz Muğla sind mehrere Abgeordnete der Grünen Linkspartei (YSP) von der Gendarmerie angegriffen worden. Auf Videos war zu sehen, wie eine Gruppe Menschen, die versuchte, eine von Polizei und Militär aufgestellte Durchgangssperre zu überwinden, zunächst von den Soldaten mit Einsatzschilden, Tritten und Schlagstöcken zurückdrängt wurde. Unter den Betroffenen befanden sich auch Ibrahim Akın, Ko-Sprecher der YSP, und seine Fraktionskollegin Perihan Koca, die an der Spitze der Gruppe standen. Anschließend versprühten die Sicherheitskräfte gezielt und auf kurze Distanz Reizgas und setzten außerdem einen Wasserwerfer ein. Mehrere Personen wurden verletzt. Ibrahim Akın bekam gleich mehrere Ladungen Pefferspray ab.
Die Demonstrierenden weigerten sich, sich zurückzuziehen. Aus Protest gegen den Übergriff haben Akın und Koca mit Unterstützung von Anwohner:innen und Klimaaktivist:innen einen Sitzstreik vor der militärischen Absperrung gestartet. Koca verurteilte in einer kurzen Ansprache die Gewalt gegen die Mahnwache. „Barrikaden sollten zum Schutz der Zivilbevölkerung und ihrer Rechte errichtet werden. Hier aber werden damit Plünderer, Kapitalisten und Umweltverbrecher verteidigt und Abgeordnete, die sich mit dem legitimen Widerstand gegen die Rodung von Akbelen solidarisieren, angegriffen.“
Akbelen-Wald soll für Braunkohle verschwinden
Der an das Dorf Ikizköy grenzende 740 Hektar große Akbelen-Wald im Kreis Milas soll abgeholzt werden, um das von der „Limak Holding“ betriebene Heizkraftwerk Yeniköy-Kemerköy weiter mit Braunkohle zu versorgen. Das Kraftwerk wurde Ende des 20. Jahrhunderts nach polnischen Plänen gebaut und ist eigentlich am Ende der Lebensdauer angekommen. Der türkische Staat verlängerte die Laufzeit auf weitere 25 Jahre, ohne dringend nötige umwelttechnische Renovationen zu verlangen. Mehrere Dörfer in der Region wurden bereits zerstört und damit auch die Lebensgrundlagen von vielen Kleinbäuer:innen. Laut den Plänen der Limak Holding sollen weitere 40 Dörfer den Schaufeln der Kohlebagger weichen.
Zivile Klagen gegen die vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft erteilte Rodungsgenehmigung führten zunächst dazu, dass bis zur gerichtlichen Klärung keine Fakten geschaffen werden dürfen. Im Juli 2021 schickte die Generaldirektion für Forstwirtschaft trotzdem mehrere Fälltrupps in den Akbelen aus – unter dem Deckmantel, Waldbrände zu bekämpfen. Tatsächlich zielte das mit der Kraftwerksfirma koordinierte Vorgehen auf Rodungen im Akbelen-Wald an, die nur durch direkte Aktion der Bevölkerung unterbunden werden konnte.
Der 62-jährige Ibrahim Akın bekam gleich mehrere Ladungen Reizgas ins Gesicht gesprüht
Nach dem Verlust der ersten 30 Bäume entstand ein Zelt- und Hüttendorf im Wald. Durch diesen Widerstand konnten zunächst weitere Abholzungsversuche verhindert und eine permanente Besetzung aufgebaut werden. Seit ein Gericht den Beschluss über den Rodungsstopp im vergangenen Dezember aufgehoben hat, rechnete das Widerstandskomitee Akbelen mit dem Beginn der Rodungen nach den Wahlen im vergangenen Mai. Seither haben Dorfbewohner:innen die Abholzung des Waldes dreimal gestoppt. Seit Anfang der Woche sind sie jedoch mit einem polizeilichen und militärischen Großaufgebot konfrontiert, das nach den Worten eines Besetzers „wie eine Besatzungsmacht agiert“.
Limak Holding Teil der „Fünferbande“
Die Limak Holding ist Teil der sogenannten „Fünferbande“, einem Unternehmenskomplex engster Verflechtung zwischen AKP/MHP-Regime und Konzernen, die massiv aus sogenannten Public-Private-Partnership-Projekten profitieren. Diese fünf Megafirmen haben einen Großteil der Wirtschaft in der Türkei unter sich aufgeteilt und erhalten die Mehrheit der Staatsaufträge. Ob in Akbelen, im Ida-Gebirge, in Wan oder den Nordwäldern, die Fünferbande gilt als größter Zerstörer des ökologischen und sozialen Gleichgewichts in Kurdistan und der Türkei und war auch am Untergang von Hasankeyf (ku. Heskîf) beteiligt.