Geld aus dem EU-Türkei-Deal versickert
Die EU hat den ersten Teil der Zahlungen aus dem EU-Türkei-Abkommen in der Höhe von drei Milliarden Euro abgeschlossen. Nun rügt der EU-Rechnungshof den Umgang der Türkei mit den Geldern.
Die EU hat den ersten Teil der Zahlungen aus dem EU-Türkei-Abkommen in der Höhe von drei Milliarden Euro abgeschlossen. Nun rügt der EU-Rechnungshof den Umgang der Türkei mit den Geldern.
Insgesamt sind im EU-Türkei-Abkommen Zahlungen von sechs Milliarden Euro vor allem zur Versorgung von nach Angaben der türkischen Regierung 3,6 Millionen Schutzsuchenden in der Türkei bewilligt worden. Bisher wurden drei Milliarden Euro gezahlt. Der Bundesrechnungshof stellte nun seinen Prüfbericht zur Verwendung der Mittel vor.
Während der Bundesrechnungshof den dubiosen Umgang der Türkei mit den EU-Geldern mit sanften Worten rügt, lässt sein Bericht dennoch tief blicken. Der Prüfbericht kratzt offensichtlich nur an der Spitze des Eisbergs, hat sich die Türkei doch in vielen Bereichen nicht bereit gezeigt, mit der Überprüfung zu kooperieren. Gerade einmal die Hälfte der aus EU-Mitteln finanzierten Projekte zur Versorgung von Flüchtlingen aus Syrien haben zumindest offiziell die geplanten Ergebnisse erzielt.
8,9 Millionen Euro „Gebühr für Bargeldtransfer“
Was im Prüfbericht als Optimierungspotential beschrieben wird, liest sich im Beispiel wie ein Musterfall der Korruption. So heißt es im Bericht: „Für die Übertragung der Mittel erhält der lokale Durchführungspartner eine ‚Gebühr für den Bargeldtransfer‘ von 8,9 Millionen Euro (berechnet auf der Basis von einem Prozent der insgesamt zu transferierenden Summen). Angesichts der Tatsache, dass die Mittel direkt an die Bank hätten transferiert werden können, ohne sie über den lokalen Durchführungspartner weiterzuleiten, wurde die Notwendigkeit dieser Gebühr von der Kommission nicht ausreichend nachgewiesen.“ Kurz gesagt, hier scheinen 8,9 Millionen Euro wohin auch immer abgeführt worden zu sein. Auch in anderen Bereichen treten ähnliche Unregelmäßigkeiten auf. So kritisiert der Rechnungshof, dass Ausgaben zu „hoch und nicht ausreichend gerechtfertigt“ seien. Ohne ausreichende Begründung seien häufig Maximalbeträge abgerufen worden, zudem ist die Höhe der Vorauszahlungen nicht an die tatsächlichen Mittelabflüsse der Projekte angepasst worden. Es wurden also offensichtlich immer wieder unangemessen höhere Vorauszahlungen verlangt. Insbesondere bei „externen Partnern“ anfallende Nebenkosten seien sehr hoch und kaum begründet worden, so der Rechnungshof.
Bargeldhilfe nicht ausreichend transparent
Das betrifft vor allem auch Projekte der Bargeldhilfe. So moniert der Rechnungshof, dass die türkischen Behörden nicht bereit sind, die 1,2 Millionen angeblich mit Bargeldzahlung unterstützten Flüchtlinge zu benennen, sondern nur anonymisierte, von den türkischen Behörden selbst generierte Nummern vorlegen. Das bedeutet letzten Endes: Es ist nicht überprüfbar, wohin das Geld geflossen ist und ob und wie vielen Schutzsuchenden es überhaupt zugutekam. Auch hier ist somit nicht überprüfbar, wohin Geldwerte im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich geflossen sind.
Bedarfsanalyse ausschließlich aufgrund von Daten türkischer Behörden
Der Rechnungshof kritisiert ebenfalls, dass keine valide Datengrundlage für eine Bedarfsanalyse der Türkei vorliegt. Das bedeutet, fast alle Daten stammen von türkischen Behörden. Zu dem zugrundeliegenden Primärdatenmaterial wurde den EU-„Beratern“ der Zugang verweigert. Daher „konnten sie die geschätzten Kosten der Maßnahmen, die erforderlich waren, um den Bedürfnissen der Flüchtlinge und der Aufnahmegemeinschaften Rechnung zu tragen, nicht validieren.“ Die Bedarfsanalyse stützte sich auf Datenmaterial aus dem Jahr 2013 und beschäftigte sich ausschließlich mit syrischen Flüchtlingen.
Türkische Regierung blockiert Arbeit von NGOs für Flüchtlingsschutz
Mehrere Projekte zum Thema Flüchtlingsschutz und Schutz von Frauen und Mädchen wurden von der türkischen Regierung dem Bericht zufolge blockiert. So heißt es im Bericht über ein geprüftes Projekt zum Schutze besonders gefährdeter Schutzsuchender: „Die Durchführungspartner hatten von Anfang an Schwierigkeiten, von den türkischen Behörden die Genehmigungen für die Arbeit an den anfangs geplanten Standorten (Gaziantep, Ankara und Sanliurfa) und die für die Arbeit mit lokalen NRO erforderlichen Kooperationsgenehmigungen zu erhalten. Folglich wurde das Projekt von 13 auf 22 Monate verlängert, die Aktivitäten wurden neu strukturiert und das Budget wurde um 20 Prozent gekürzt, da der Durchführungspartner in Ankara nicht arbeiten konnte.“
Projekt zum Schutz von Frauen und Mädchen per Vollzugsanordnung eingestellt
Ein Projekt, das den Zugang für Frauen und Mädchen zu Dienstleistungen fördern sollte, wurde wegen einer staatlichen Vollzugsanordnung gegenüber einem lokalen Träger eingestellt. Um welchen lokalen Träger es sich dabei handelt, bleibt zu recherchieren. Auf jeden Fall soll die Finanzierung bis zum Finden eines neuen Partners zunächst fünf Monate ebenfalls eingestellt werden, heißt es bei der UN. Darüber hinaus blockiert der türkische Staat „aufgrund von Meinungsverschiedenheiten“ die Informationen über „Indikatoren für die Messung der Fortschritte im Hinblick auf sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Schulabbrecher oder den Schutz von Kindern“. Dies ist vor allem aufgrund der massiven Ausbeutung hunderttausender Flüchtlingskinder in Kinderarbeit und der Verbreitung sexualisierter Gewalt ein besonders kritischer Faktor.
Mängel beim Ausbau der kommunalen Versorgung aufgrund dilettantischer Anträge
Des Weiteren weist der Rechnungshof auf die unzureichende Berücksichtigung des notwendigen Ausbaus der kommunalen Wasserwirtschaft und der Abfallentsorgung sowie der Integration von Schutzsuchenden in den Arbeitsmarkt hin. Als Grund führt der Rechnungshof an, „dass in der Planung beide Schwerpunktbereiche berücksichtigt wurden, im Bereich kommunale Infrastruktur jedoch keine Maßnahmen durchgeführt werden konnten, da die von der Türkei zur Finanzierung eingereichten Projekte nicht ausgereift waren.“
Deutschland zahlt den größten Teil der Mittel
Deutschland ist EU-weit mit einer Zahlung von 427,5 Millionen Euro im Rahmen des EU-Türkei-Deals Spitzenreiter, gefolgt von Großbritannien, Frankreich und Italien.
Türkei kassiert zwischen 2007 und 2020 neun Milliarden EU-Beitrittshilfen
Nicht nur aus dem EU-Türkei-Deal zieht die Türkei direkt und indirekt hohe Geldbeträge, auch aus den sogenannten EU-Beitrittshilfen werden der Türkei neun Milliarden Euro gezahlt. Beträge für den „Grenzschutz“ werden für Waffen, wie die bei Zerstörung der nordkurdischen Städte eingesetzten Kobra-Panzerfahrzeuge, gezahlt.
Jelpke: Erdoğan-Regime wird mit Geldzahlungen am Leben erhalten
Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, kritisierte den EU-Türkei-Deal scharf. Den Bericht des Rechnungshofs kommentierte sie mit den Worten: „Die EU schiebt dem türkischen Diktator Erdoğan Milliarden Euro zur Flüchtlingshilfe zu, doch die Gelder stützen sein Folterregime. Wenn der EU-Rechnungshof von ‚hohen Kosten bei externen Partnern‘ spricht, dann bedeutet das im Klartext, dass das Geld bei der Klientel der Regierungspartei AKP landet. Erdoğans einziges Interesse an Flüchtlingen ist, diese als Mittel zur Erpressung Europas zu verwenden. Die EU benutzt Erdoğan als brutalen Türsteher der Festung Europa. An der syrisch-türkischen Grenze werden Flüchtlinge von türkischen Soldaten gefoltert und ermordet. In der Türkei schutzsuchende syrisch-arabische Flüchtlinge werden als Unterstützungskräfte der türkischen Besatzung in Nordsyrien angesiedelt. Die EU und allen voran Deutschland müssen sich endlich aus der Kumpanei mit dem türkischen Regime lösen. Mit deutschen Waffen führt Erdoğan Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei, Nordsyrien und Nordirak und ist damit selbst Fluchtverursacher Nummer eins. Statt sein korruptes Regime mit Geldzahlungen am Leben zu erhalten, sollte man Erdoğan als Kriegsverbrecher ächten.“