Erdoğan ist das geringste Problem

Wie kommt es, dass die Türkei so verbrecherisch agieren darf und alle wichtigen staatlichen Akteure sie dabei stützen? Diese Frage stellt Ramazan Mendanlioglu vom Bündnis Hamburg für Rojava.

Die USA und Russland haben gestern gemeinsam (!) eine Verurteilung des türkischen Angriffs vonseiten des UN-Sicherheitsrats durch ihr jeweiliges Veto-Recht verhindert. Diese beiden dominantesten Staaten der Welt, die sonst einander immer in Opposition stehen, agierten in diesem Punkt gemeinsam.

Ein Sprecher der Vereinten Nationen (UN) hat kurz vor dem Angriff der Türkei öffentlich erklärt, dass man auf das Schlimmste im Hinblick auf den Einmarsch der türkischen NATO-Armee vorbereitet sei. Es wird nicht verhindert, das kriminelle Verhalten der Türkei eher toleriert. Der NATO-Generalsekretär selbst hat mitgeteilt, die türkische Regierung habe die NATO über den Angriff in Kenntnis gesetzt. Damit legitimiert er Besatzungsansprüche und den Einmarsch der türkischen Regierung.

In Efrîn hat die Türkei abgesehen davon, dass sie durch ihre Eroberung die dortige demokratische, feministische und multiethnische Selbstverwaltung abgeschafft hat, eine ethnische Säuberung der Kurd*innen, Armenier*innen, Assyri*innen und Eziden*innen und einen damit verbundenen kulturellen Genozid durchgeführt. Zusätzlich hat sie sich das vielfältige Eigentum der Bevölkerung illegal angeeignet und ihre Länder kolonisiert. Die Menschenrechtsverletzungen, Verschleppungen und Vergewaltigungen vonseiten der türkischen Kräfte und ihrer islamistischen Milizen gegenüber der in Efrîn verbliebenen Frauen und Männer, haben diverse NGOs dokumentiert und davon berichtet.

All diese Maßnahmen sind Kriegsverbrechen und von den Genfer-Konventionen verboten. Doch weder hinsichtlich des Efrîn-Kriegs noch aktuell haben die Staatsregierungen der sogenannten freien und demokratischen westlichen Welt und ihre Konkurrenten die Türkei aufgehalten, geschweige denn ernsthaft kritisiert. Dabei wäre es innerhalb weniger Stunden möglich, Erdoğan zu stoppen oder zumindest den Luftraum zu sperren, wenn der Wille und das Interesse bestünden.

Aber wie kommt es, dass die Türkei so verbrecherisch agieren darf und dass alle wichtigen staatlichen Akteure sie dabei stützen? Was ist der eigentliche Grund für so eine Haltung?

Wir wollen die sowohl komplizierte als auch einfache Antwort versuchen kurzzuhalten: Die Rojava-Revolution in Nordsyrien stellt die umfassende Systemfrage und bietet sich als Lösungsmodell aus der Krise an. Sie stellt die ökonomische, ökologische, Frauen- und die Demokratiefrage. Das sind alles zentrale Fragen und Probleme unserer Zeit.

Die Verfechter des gegenwärtigen Weltsystems, die Regierenden und die Großkonzerne sowie das Großkapital können die Alternative einer auch ihre eigenen Ressourcen, Ökonomie und den eigenen Boden selbst verwaltenden Gesellschaft nicht akzeptieren. Es geht um Pipelines und Energiezufuhr, um Handelswege und andere Interessen der monopolistischen Konzernstaaten.

Bedeutet diese Nachvollziehbarkeit der Interessen der Staaten und Mechanismen des kapitalistischen Weltsystems, welche den Faschismus gegen den demokratischen Lichtblick in Nordsyrien jenseits aller (vorgetäuschten und nicht greifenden) menschenrechtlichen und internationalen Verträge und Konventionen agieren lassen, Hoffnungslosigkeit und dass Rojava fallen muss? Wir sagen nein!

An die Jugendlichen und Schüler*innen von Fridays for Future, die ökologischen Bewegungen, die  feministischen Bewegungen, die antimilitaristischen Kreise und die Friedensbewegung, die antikapitalistischen und antifaschistischen Individuen und Kollektive, kurzum, an alle emanzipatorischen Kräfte: Lasst uns eine globale Bewegung rund um Rojava entstehen lassen und die Systemfrage mit unseren gebündelten Kräften in dieser krisenhaften Stunde auf ein Niveau bringen, das einschneidend sein wird! Lasst uns eine so große Öffentlichkeit entstehen lassen, dass die Regierungen verunsichert und die Legitimitätsfrage gestellt wird: Nicht in unserem Namen! Nicht auf dem Rücken der Gesellschaften und Bevölkerungen! Wir akzeptieren dieses Unrecht und diese Barbarei nicht!

Der Erfolg von Rojava und dem Selbstverwaltungsmodell wird synergetisch alle progressiven Kräfte und Forderungen nachhaltig positiv beeinträchtigen! Lasst uns Geschichte schreibend die Geschichte in positive Bahnen lenken und diesem blinden Irrsinn einen tiefen Schlag versetzen! Wir haben in dieser Phase die Chance, einen krebsgeschwürartigen Kreis zu durchbrechen!

#Riseup4Rojava – Hoch die Internationale Solidarität – Bijî Berxwedana Rojava!