Dimensionen eines Verbots

Dass die PKK in 25 Verbotsjahren selbst nach Angaben des Verfassungsschutzes ihre Mitgliedschaft immer weiter vermehren konnte, sollte die Sinnlosigkeit dieses Verbots vor Augen führen. Es wird einmal auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Nach der Bombardierung der kurdischen Stadt Licê durch die türkische Armee im Oktober 1993 griffen aufgebrachte Kurden in mehreren europäischen Ländern türkische Vertretungen, Cafés der faschistischen Grauen Wölfe und Reisebüros an. Obwohl der Arbeiterpartei Kurdistans PKK keine Urheberschaft nachgewiesen werden konnte, dienten diese Proteste als Anlass für das am 26. November 1993 vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verfügte Betätigungsverbots der PKK, der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK sowie von 29 örtlichen Kulturvereinen.

Infolge des PKK-Verbots wurden in den vergangenen 25 Jahren eine Vielzahl von Demonstrationen, Newroz-Festen und selbst Fußballspielen und Hochzeiten verboten. Hunderte Kulturvereine und Privatwohnungen wurden von der Polizei gestürmt. Tausende Menschen wurden zu Geld- oder sogar Haftstrafen verurteilt, weil sie für den Befreiungskampf gespendet, Bilder von PKK-Chef Abdullah Öcalan gezeigt oder in Liedern die Guerilla gefeiert hatten. Dutzende Kader der Freiheitsbewegung wurden als vermeintliche Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ein Ende dieser Verfolgung ist nicht abzusehen, im Gegenteil wird das PKK-Verbot zunehmend auf die syrisch-kurdischen Vereinigungen PYD, YPG und YPJ und ihre Symbole ausgeweitet.

Gefährdung der „außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland“

Das PKK-Verbot hat mehrere Dimensionen. Zum einen ist es im Rahmen der ja schon mehr als 150-jährigen strategischen wirtschaftlich und geopolitisch begründeten Waffenbrüderschaft der herrschenden Klassen Deutschlands und der Türkei zu verorten. Wie die Tageszeitung Hürriyet bekanntgab, war das Verbot in enger Kooperation zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und der türkischen Ministerpräsidentin Tansu Ciller vorbereitet worden. Diese außenpolitische Dimension wird im Verbotsbescheid deutlich, der eben nicht nur eine Gefährdung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung durch die der PKK angelasteten Gewalttaten beinhaltete, sondern auch eine Gefährdung der „außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland“.

Wörtlich heißt es: „Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht […] Die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für Integrität eines wichtigen NATO-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.“

53-seitiger Verbotsbescheid

Wohlgemerkt ist hier nicht mehr von Gewalttaten die Rede, die der PKK angelastet wurden, sondern generell von politischer Agitation. Dies erklärt auch, warum eine Gewaltverzichtserklärung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan gegenüber Europa in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zwar eine gewisse Entspannung, aber keine Aufhebung des Verbots brachte. Mit keinem Wort wird in dem 53-seitigen Verbotsbescheid die Unterdrückung der Kurden in der Türkei, das Verbot ihrer Sprache und Kultur, die Zerstörung von Dörfern durch die Armee, Folter und Morde von Todesschwadronen an kurdischen Politikern und Intellektuellen erwähnt. Obwohl die PKK im Frühjahr 1993 das Ziel eines eigenen Staates zugunsten einer föderalen Lösung aufgegeben hatte, schloss sich das Bundesinnenministerium der Darstellung der türkischen Regierung von der „separatistischen“ PKK an.

Die Schlüsselstellung der Bundesrepublik

Das PKK-Verbot ist nicht auf dem deutsch-türkischen Mist alleine gewachsen, sondern hat eine darüber hinausgehende internationale Dimension. Es war Bestandteil eines in der zweiten Hälfte der 80er Jahre von der NATO eingeleiteten Programms zur Aufstandsbekämpfung gegen die PKK, mit dem die Türkei als westlicher Brückenkopf im Mittleren Osten stabilisiert werden sollte. Das mit Waffenlieferungen an die türkische Armee unterstützte militärische Vorgehen gegen die Guerilla in Kurdistan sollte durch politische Maßnahmen in Europa ergänzt werden. Deutschland mit seiner großen kurdischen Diaspora einerseits und einem besonders restriktiven Staatsschutzrecht andererseits kam hier eine Schlüsselstellung zu. So wurde seit 1989 in Düsseldorf ein Schauprozess gegen rund 20 kurdische Politiker mit dem Ziel geführt, die ganze Befreiungsbewegung als terroristisch zu brandmarken. Doch analog zum Ausbruch von Volksaufständen in Kurdistan 1990 verzeichnete die PKK Anfang der 90er Jahre eine breitere Unterstützung innerhalb der kurdischen Arbeitsmigration in der Bundesrepublik. Zielte der Düsseldorfer Prozess noch auf die Kader der Bewegung, so galt das PKK-Verbot der Einschüchterung und Kriminalisierung der Masse der Unterstützer an der Basis.

Die antikommunistische und die rassistische Dimension

Dass die PKK eine sozialistische Organisation ist, die 1993 noch das kommunistische Emblem mit Hammer und Sichel auf ihrer Fahne führte, spielte zumindest eine psychologische Rolle bei dem Verbot, das auch eine antikommunistische Dimension hat. Denn der Antikommunismus ist seit Gründung der Bundesrepublik als Frontstaat im Kalten Krieg wichtiger Bestandteil der Staatsräson. Erinnert sei an dieser Stelle an das bis heute fortbestehende Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1956. Für Polizei, Justiz und Verfassungsschutz gilt bis heute: der Feind steht links. Diese Maxime gilt umso mehr, wenn sich Migranten selbst für ihre Belange organisieren. Diese rassistische Dimension des PKK-Verbots sollte nicht ausgeblendet werden.

Deutsche Ignoranz außenpolitischer Entwicklungen

Dazu kommt eine bürokratische Dimension des PKK-Verbots, das nach einem Vierteljahrhundert längst zu einem Selbstläufer bei einer ganzen Generation von Staatsanwälten und Richtern, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern geworden ist. Diese Routine bei der Verfolgung führt zu einem verengten innenpolitischen Tunnelblick bei den Sicherheitsbehörden. Diese zeigen sich völlig ignorant gegenüber außenpolitischen Entwicklungen wie dem gescheiterten Friedensprozess in der Türkei, dem Kampf kurdischer Verbände gegen den sogenannten Islamischen Staat im Irak und Syrien, der Rojava-Revolution und der Besetzung des Kantons Efrîn durch die türkische Armee. Während im Sommer 2014 selbst CDU-Politiker über Waffenlieferungen an die PKK nachdachten, sahen Polizei und Verfassungsschutz weiterhin nur eine mögliche Gefährdung der inneren Sicherheit durch kurdische Demonstranten. Zwar bestätigte die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion, dass hunderte Demonstrationen während des Kampfes um Kobanê im Winter 2014/15 fast zur Gänze friedlich blieben. Doch gerade diese friedlichen Demonstrationen seien ja der Beweis für den Einfluss der PKK auf die kurdischstämmige Migration, schlussfolgerte die Bundesregierung. Und wer seine Anhänger massenhaft zum friedlichen Protest aufrufe, könne ja unter Umständen auch anders, nämlich gewalttätig demonstrieren, wurde die Notwendigkeit des PKK-Verbots gerade aus der Friedfertigkeit der Kobanê-Proteste heraus begründet.

Schrittmacher beim Abbau demokratischer Grundrechte

Schließlich hat das PKK-Verbot noch eine demokratische Dimension. Zum einen werden hunderttausende vor allem kurdischstämmige Bürgerinnen und Bürger seit 25 Jahren in elementaren Grundrechten wie dem Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Doch zum anderen wirkt die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung zugleich als Schrittmacher beim Abbau demokratischer Grundrechte in Deutschland. Unter dem Vorwand der „Terrorismus-Bekämpfung“ begann die Verfolgung und Kriminalisierung der kurdischen Bewegung bereits in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre als Reaktion auf den sich entfaltenden kurdischen Freiheitskampf in der Türkei. Diese Kriminalisierung wurde Anfang der 90er Jahre als Pilotprojekt für die Behandlung von Menschen-, Bürger und Freiheitsrechten nach dem Ende des Kalten Krieges vorangetrieben. Es galt ein Modell des „Sicherheitsstaates” mit formal-demokratischen und rechtsstaatlichen, in Wahrheit jedoch zunehmend polizeistaatlichen Grundlagen und Methoden weiterzuentwickeln. Beschleunigt wurde diese Entwicklung im neuen Jahrtausend, wenn auch das Feindbild des „Terrorkurden“ nun beim rapiden Abbau demokratischer Rechte zunehmend durch das neue Universalfeindbild des „islamischen Terrorismus“ überlagert wurde. Die so begründeten Gesetzesverschärfungen richten sich freilich auch wieder gegen die kurdische Freiheitsbewegung. Dass die PKK in 25 Verbotsjahren selbst nach Angaben des Verfassungsschutzes ihre Mitgliedschaft immer weiter vermehren konnte, sollte den Herrschenden die Sinnlosigkeit dieses Verbots vor Augen führen. Dieses Verbot wird einmal auf dem Müllhaufen der Geschichte landen – dafür sorgen nicht nur die beharrlichen Proteste in Deutschland, sondern vor allem die unter großen Opfern erkämpften Errungenschaften der kurdischen Freiheitsbewegung im Mittleren Osten.

*Quelle: YENI ÖZGÜR POLITIKA