Der inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP),  Selahattin Demirtaş, hat in einem in der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet veröffentlichten Text erklärt, dass es heute mehr denn je möglich sei, linke, demokratische Werte zu stärken und an die Macht zu bringen.

„Während sich die Wahlen am 24. Juni nähern, möchte ich einige bekannte, aber meiner Meinung nach bedenkenswerte Überlegungen hervorheben. Vor allem möchte ich unterstreichen, dass diese Wahlen einen politischen Bruch schaffen werden, der Auswirkungen auf die Politik der Türkei in den nächsten Jahrzehnten haben wird.

Das autoritäre Ein-Mann-Regime, das sich in der Mentalität der AKP manifestiert, wird entweder seinen ultimativen Sieg erklären und die Unterdrückung noch weiter übertreffen, die wir heute erleben und eine vollständige Diktatur errichten. Oder aber die sich durch die gesamte Geschichte der Republik ziehende Suche nach Demokratie und der Kampf dafür wird gestärkt aus den Wahlen hervorgehen.

Die Macht- und Oppositionsblöcke, die in diesem Rahmen der Bevölkerung gegenübertreten, werden sich im Rahmen dieser Realität bewegen: entweder vollständige Demokratie oder totale Diktatur. Es ist sehr wichtig, dass aus den Aussagen insbesondere des Oppositionsblocks hervorgeht, dass man sich dessen bewusst ist. Aber es ist nicht möglich ruhigen Gewissens zu behaupten, dass der Oppositionsblock seine praktischen Aktionen auf dem Niveau einer vollständigen Demokratie umsetzt.

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Die Kandidat*innen der HDP wurden sowohl für das Präsidialamt als auch als Abgeordnete auf Versammlungen mit großer Beteiligung der Bevölkerung gewählt. Auch wenn dies aufgrund der drängenden Zeit nicht ausreichend sein sollte, ist es doch im höchsten Grade wichtig und sinnvoll. Aber wo, wie und auf welche Weise die Kandidat*innen der Hauptoppositionspartei diskutiert und bestimmt werden, ist ein wahrhaftiges Rätsel. Es nicht bekannt, auf welcher Grundlage und mit welcher Zielsetzung die als Wahlkandidat*innen antretenden Personen diskutiert werden. Wer, wo und wann diskutiert, bleibt im Dunkeln.

Während es auf der einen Seite gut sein kann, die Diskussionen vor manipulativen Interventionen des AKP-Blocks zu verschließen, verhindern diese geheimen Debatten auf der anderen Seite jedoch die Beteiligung der Bevölkerung an der Diskussion. Diejenigen, die mit der Parole für vollständige Demokratie aufbrechen, verschließen die Phase der Auswahl der Kandidat*innen vor der Bevölkerung. Das führt dazu, dass sie ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen werden.

„Man muss sich den linken und kurdischen Strömungen öffnen“

Ich habe keine Informationen darüber, wer sich wie oft wegen der Kandidatur Abdullah Güls getroffen hat. Wie oft fanden Treffen mit Meral Akşener oder anderen Kandidat*innen statt und was wurde dort besprochen? Man weiß es nicht. Sehr deutlich ist allerdings, dass es all denjenigen, die sich von früh bis spät mit diesen Personen getroffen haben nicht einmal in den Sinn gekommen ist, sich mit denen zusammenzusetzen, die den Kampf um Demokratie führen.

Aus welchem Grund werden die Perspektiven und Vorschläge der zu einem ausgezeichneten Fokus des Kampfes gewordenen Juni-Bewegung nicht aufgenommen? Sind die Vorschläge der sozialistischen Kräfte ÖDP, EMEP, TKP, der Arbeiter*innenorganisationen, der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft für die Kandidat*innen der Wahlen zu unbedeutend? Dieses Problem muss überwunden werden. Ebenso muss die aktive Beteiligung der kurdischen Parteien und Bewegungen sowie der Glaubensorganisationen an diesem Diskussionsprozess gewährleistet werden.

„Die HDP wird die Führungsrolle übernehmen“

Bei den Wahlen sollte jede Praxis derjenigen, die für vollständige Demokratie eintreten, zur Bedeutung dieses Ziels beitragen. Es sieht so aus, als würde wie immer die HDP gemeinsam mit ihren Komponenten und mit ihr solidarischen Kräften die Führungsrolle in diesem Sinne übernehmen. Es ist unerlässlich, dass die organisierten Strukturen aus allen Bereichen -die revolutionären Kräfte eingeschlossen- umgehend eine nachhaltige Führungsposition einnehmen.

„Es muss eine disziplinierte Volkskampagne stattfinden“

Der AKP-Flügel baut sowieso mit jeder Handlung und mit jeder seiner Äußerungen das Ein-Mann-Regime weiter auf, da ist es zu erwarten, dass der Demokratie-Block die Qualitäten auf jede Weise in den Vordergrund stellt, die ihn von seinem Mitbewerber unterscheiden. Im Angesicht dessen, dass der faschistische Machtblock alle Möglichkeiten eines Staates und das repressive Umfeld des Ausnahmezustand nutzt, um eine riesige „Werbekampagne“, sprich ein massives, mediengestütztes Bombardement vorzubereiten, ist es notwendig, dass die Opposition mit der Bevölkerung, den fortschrittlichen Kräften, den Räten, den Plattformen und allen organisierten Strukturen eine koordinierte und disziplinierte Volkskampagne durchführt.

„Diejenigen die ihre Kandidat*innen in 5-Sterne Hotels diskutieren…“

Diejenigen, die ihre Kandidat*innen heimlich in 5-Sterne Hotels diskutieren, können während einer Kampagne nichts zur Volksarbeit beitragen. Während der AKP-Block ein mieses Produkt mit Hilfe einer Werbekampagne „zu verkaufen“ versucht, müssen wir mit einer radikaldemokratischen Haltung Gerechtigkeit, Frieden, Laizismus, Freiheit, Gleichberechtigung und Arbeit mit jedem unserer Schritte gemeinsam mit dem Volk aufbauen und so in die Wahlen gehen.

„Der historische Bruch kann für die Unterdrückten ausfallen“

Gegen den rechten Faschismus linke, demokratische Werte zu stärken und an die Macht zu bringen, ist heute mehr denn je möglich. Wenn alle fortschrittlichen, revolutionären, patriotischen Kräfte, die Kader, die Jugendlichen und die Frauen all ihre Energie und Zeit in diesen Kampf stecken und so ihrer Führungsrolle gerecht werden, wird der historische Bruch positiv für die Unterdrückten ausfallen.“