Es ist kein Geheimnis: die kurdische Diaspora ist in Deutschland einer Kriminalisierung und Entrechtung ausgesetzt, die über das Maß dessen hinausgeht, was rechtsstaatlich möglich ist. Diese Tatsache wird auch durch ein von der Abgeordneten Gökay Akbulut (DIE LINKE) in Auftrag gegebenes Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages (WD) unterstrichen. Dabei geht es um die anlasslose, standardisierte Übermittlung der Daten kurdischen Vereine an das Bundeskriminalamt und den Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz.
Daten von 209 kurdischen Vereinen an Geheimdienst weitergegeben
Die Vereinsdaten wurden nach Aussagen der Bundesregierung mindestens einmal sogar an ausländische Nachrichtendienste weitergegeben. Wie aus einer Kleinen Anfrage Akbuluts hervorgeht, wurden allein in den vergangenen drei Jahren dem Geheimdienst und dem Bundeskriminalamt Daten von 209 kurdischen Vereinen übermittelt. So legitimierte 2019 der damalige parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), den Grundrechtseingriff mit den Worten: „Nach dem Verbot der PKK organisierten sich PKK-nahe Vereine nach außen sichtbar lediglich unter dem Aspekt der Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zur kurdischen Gemeinde, ohne den Bezug zur PKK offenzulegen. Mit dieser klandestinen Vorgehensweise versuchte und versucht man, entsprechende Maßnahmen deutscher Sicherheitsbehörden zu unterlaufen. Aus diesem Grund findet eine grundsätzliche Überprüfung der vom Bundesverwaltungsamt übermittelten Daten auf Anhaltspunkte für Aktivitäten zugunsten der PKK statt.“
„Erlass des BMI kann keine Rechtsgrundlage für Grundrechtseinschränkung darstellen“
Diese seit fast 30 Jahren vorherrschende Praxis geht auf einen Erlass des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 1994 zurück. Wie die Wissenschaftliche Dienste des Bundestags nun recht deutlich feststellen, überschreitet die Praxis der standardisierten, angeblichen „Spontanübermittlung“ von Daten den von Verfassung und dem Gesetz vorgegebenen Rahmen bei weitem. Zunächst stellen die Wissenschaftlichen Dienste fest, dass es sich dabei um eine Grundrechtsbeschränkung handele, die einer Rechtfertigung und einer gesetzlichen Rechtfertigung benötige. Die WD analysieren: „Bei Erlassen handelt es sich um bloßes Binnenrecht der Verwaltung, weshalb der genannte Erlass des BMI von 1994 keine Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe darstellen kann.“ Besonders pikant kommt dazu, dass der Erlass, auf dessen Grundlage die Übermittlung geschieht, nach BMI-Angaben „nicht mehr auffindbar“ sei. Ob der Inhalt des Erlasses so skandalös ist, dass er zurückgehalten wird, oder ob er wirklich verschwunden ist, bleibt zu spekulieren. Sicher ist aber, dass verfassungsmäßig kein Erlass einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigen kann.
Gökay Akbulut
Akbulut kommentiert: „Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigt in seiner Stellungnahme, dass die Datenübermittlung des Bundesverwaltungsamts (BVA) an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie das Bundeskriminalamt (BKA) zu Mitgliedern von Migrantenorganisationen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Insbesondere kann der ominöse Erlass des Bundesinnenministeriums (BMI) von 1994, der als Rechtfertigung für den anlasslosen Datentransfer zu kurdischen Vereinen herangezogen wird, keine Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe darstellen. Dass das BMI aber seinen eigenen Erlass nicht mehr finden kann, ist bezeichnend für den verantwortungslosen Umgang des BMI mit persönlichen Daten der betroffenen Bürgerinnen und Bürger.“
„Ein allgemeiner Gefahrenverdacht reicht nicht aus“
Auch die von der Bundesregierung benannten Regelungen aus dem Bundesverfassungsschutzgesetz und dem Bundeskriminalamtgesetz sind als Rechtsgrundlage nicht ausreichend. Zwar sei das Bundesverwaltungsamt, das die Daten übermittelt, verpflichtet, Daten im Falle von Hinweisen auf schwere bis mittelschwere Straftaten oder der Gefährdung von Rechtsgütern an BfV und BKA weiterzuleiten, dazu sei aber eine begründete Feststellung des BVA im Einzelfall notwendig. Es reiche auch nicht aus, wenn Geheimdienst oder BKA im Nachhinein eine solche Gefährdung feststellen. Die Übermittlung der Daten erfolge jedoch standardisiert und erfülle so die Kriterien der Einzelfallprüfung nicht. Ein Allgemeinverdacht reiche nicht aus.
„Datenübermittlung ohne Verwendungsregelungen ist verfassungswidrig“
Die WD befassen sich im Zusammenhang mit dem Gutachten auch mit dem verfassungsrechtlichen Aspekt der Einrichtung von Datensammlungen. Urteile des Bundesverfassungsgerichts unterstreichen, dass bereits die Erhebung wie auch die Speicherung und Verwendung von Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen und der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen. Das Bundesverfassungsgericht unterstrich bereits, dass die „Rechtsgrundlagen die Datenverwundung auf spezifische Zwecke begrenzen“ müsse und weiter: „Ist der Verwendungszweck nicht festgelegt, fehlt es an der erforderlichen Zweckbindung und es entsteht das Risiko einer Nutzung der Daten für Zwecke, für die sie nicht erhoben wurden.“ Auch hier wird nochmals die Zweckbindung unterstrichen, um die anderweitige Verwendung der Datensätze zu verhindern. Die Übermittlung der Daten an höchstwahrscheinlich den türkischen Geheimdienst stellt genau den Fall dar, vor dem das Bundesverfassungsgericht hier zu warnen scheint. So heißt es in einem Bundesverfassungsgerichtsurteil: „Die Bereitstellung eines solchen seiner Zwecksetzung nach offenen Datenvorrats würde den notwendigen Zusammenhang zwischen Speicherung und Speicherungszweck aufheben […]. Auch wäre die Tragweite für die Bürgerinnen und Bürger nicht vorhersehbar. Verwendungsregeln sind insofern unerlässliche Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit der Speicherungsverpflichtung.“
Akbulut: „Kurd:innen werden durch Datenübermittlung gefährdet“
Zwar betrifft die Regelung alle sogenannten „Ausländervereine“, sie ist jedoch insbesondere gegen Kurd:innen gerichtet. Akbulut kommentiert: „Besonders gravierend ist die Situation für Mitglieder kurdischer Vereine. Deren Daten werden vom BfV offenbar an den türkischen Geheimdienst weitergereicht. Bei Einreisen in die Türkei müssen die Betroffenen dann mit Verhaftungen, Ausreisesperren oder anderen Schikanen rechnen. Die Bundesregierung muss daher sofort offenlegen, welche Vereine von dieser Praxis betroffen sind, damit deren Mitglieder vor einer möglichen Reise in die Türkei gewarnt sind. Dass die Bundesregierung überhaupt als willige Helferin an der menschenrechtswidrigen Politik des Erdogan-Regimes mitwirkt, finde ich skandalös. Diese Kooperation mit der Türkei muss umgehend gestoppt werden.“
Akbulut: „Diskriminierende Sonderregelungen abschaffen“
Auch das Bundesinnenministerium scheint sich der fehlenden Rechtsgrundlage des Vorgehens bewusst zu sein und erklärte auf eine Anfrage Akbuluts hin: „Die Datenübermittlungen zu Ausländervereinen betreffenden Regelungen genügen […] nach Ansicht der Bundesregierung nicht mehr den datenschutzrechtlichen Anforderungen und müssen aus diesem Grund geändert werden. Das Nähere wird derzeit geprüft.“ Akbulut fordert eine Aussetzung der Datensammlung: „Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hatte bereits in einem Schreiben an mein Büro darauf hingewiesen, dass die aktuellen gesetzlichen Regelungen keine hinreichende Basis für die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung sollte das Bundesinnenministerium daher die Aussetzung der Datensammlung verfügen. Das Ziel muss sein, die diskriminierenden Sonderregeln für Migrantenorganisationen im Vereinsrecht komplett abzuschaffen. Migrantenorganisationen sind Teil der lebendigen Vereinskultur in unserem Land und aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken. Der polizeiliche Blick auf diese Vereine, wie er in den Sonderregeln des Vereinsrechts zum Ausdruck kommt, ist absolut inakzeptabel.“
WD: Übermittlung entspricht nicht den Rechtsgrundlagen
Im Fazit stellen die Wissenschaftlichen Dienste fest, dass weder Verfassungsschutzgesetz noch Bundeskriminalamtgesetz ausreichen, um die Datenübermittlung der Daten von Mitgliedern von „Ausländervereinen“ verfassungsmäßig zu rechtfertigen. Er bedürfe einer klaren Regelung.