Komplexitätsforschende der Wiener Organisation Complexity Science Hub (CSH) haben Anzeichen für Manipulation beim ersten Wahlgang zur Präsidentenwahl in der Türkei am 14. Mai gefunden. In 2,4 Prozent der Wahlkreise traten demnach statistisch äußerst unwahrscheinliche positive Ergebnisse für den Amtsinhaber auf, heißt es in einem neuen „Policy Brief“.
Die Wissenschaftler:innen von CSH beschäftigen sich seit Jahren mit Methoden zum statistischen Nachweis von unlauterem Druck auf Wähler:innen („Voter Rigging“) und illegalem Mehrfachwählen („Ballot Stuffing“). Bei ersterem werden Wahlberechtigte etwa durch Androhung körperlicher Gewalt oder durch Drohung mit Arbeitsplatzverlust zu einer bestimmten Stimmentscheidung genötigt.
Hinweise auf Wählermanipulation
Zum Nachweis dieser Art der Wählermanipulation hat das Team um Peter Klimek vom CSH und der Medizinischen Universität Wien einen Schnelltest entwickelt, der 2017 im Fachjournal „Science Advanced“ vorgestellt wurde. Eine Methode für das Erkennen von „Ballot Stuffing“ veröffentlichten Klimek und CSH-Chef Stefan Thurner bereits im Jahr 2012. Im Kern suchen die Forschenden mit ihren forensischen statistischen Tests nach extrem unwahrscheinlichen und deutlich aus dem Gesamtbild fallenden Einzelergebnissen in Wahlkreisen.
Bereits 2017 und 2018 wiesen Wiener Fachleute der Komplexitätswissenschaft Wahlbetrug zugunsten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach. Derartige Ergebnisse waren der neuen Analyse zufolge gegenüber der türkischen Präsidentenwahl im Jahr 2018 allerdings deutlich seltener. Damals fanden sich Hinweise auf Irregularitäten in 8,5 Prozent der Wahlkreise. Nun erschienen 2,4 Prozent höchst verdächtig, dass es dort zu „Ballot Stuffing“ gekommen ist, schreiben die Wissenschaftler:innen in ihrem Bericht.
Zudem fanden sie „kleine, aber statistisch signifikante Hinweise“ auf Wählermanipulation. Vor allem in Gebieten mit wenigen und kleineren Wahllokalen gab es demnach zum Teil deutlich erhöhte Wahlbeteiligungszahlen und ebenso hohe Stimmenanteile zugunsten Erdoğans, was zum Beispiel auf Einschüchterungsstrategien hinweist. Für Klimek und Thurner weisen die neuen Ergebnisse „darauf hin, dass es bei den Wahlen in der Türkei weiterhin zu statistischen Unregelmäßigkeiten kommt, die auf Wahlbetrug hindeuten könnten“.
Im Gegensatz zu 2018, wo die Forschenden zeigten, dass die Unregelmäßigkeiten das Ergebnis des Wahlganges über die 50-Prozent-Hürde für Erdoğan hievten, war die Verschiebung dieses Jahr kleiner. 2023 verfehlte der mittlerweile in der Stichwahl am 28. Mai im Amt bestätigte Präsident die absolute Mehrheit in der ersten Runde knapp.
(Agenturen)