OLG München gefährdet Beteiligte im TKP/ML-Verfahren

In einer Pressemitteilung meldeten sich die Verteidiger*innen im Münchner TKP/ML-Verfahren zu Wort. Sie kritisieren das verantwortungslose Festhalten an Terminen in dem Großverfahren und fordern angesichts der Corona-Pandemie eine sofortige Unterbrechung.

Die Verteidiger*innen im Münchner TKP/ML-Verfahren fordern angesichts der Corona-Pandemie eine Unterbrechung des Mammutprozesses. Im Saal 101 des Strafjustizzentrums München sind während der Hauptverhandlung in dem Verfahren mindestens 56 Personen auf engstem Raum anwesend, hinzukommen gegebenenfalls noch Zuschauer und Vollzugsbeamte auf der Zuschauerempore. Viele der 56 Personen müssen für das Verfahren aus dem gesamten Bundesgebiet mit der Bahn und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Es gibt viele Personen, die zur (Hoch-)Risikogruppe im Falle einer Coronavirus-Infektion zählen.

Die Anwält*innen weisen auf die Gesundheitsgefährdung der Verfahrensbeteiligten hin und appellieren, die Handlungsempfehlungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ernst zu nehmen und in Zeiten der Pandemie größere Zusammenkünfte und Reisen zu vermeiden:

Trotz Corona-Pandemie: Verantwortungsloses Festhalten an Terminen im Großverfahren

Im fragwürdigen „Münchener Kommunistenprozess“ kommt es zu einer Gefährdung der Prozessteilnehmer*innen und der Allgemeinheit. In dem Verfahren stehen seit Juni 2016 zehn angebliche Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei/ML (TKP/ML), darunter ein Nürnberger Ärztepaar, wegen Bildung einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor Gericht. Der zuständige Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München will trotz der Corona-Pandemie noch nicht einmal für kurze Zeit das Massenverfahren mit mehr als 50 Personen, die aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen, unterbrechen.

Diese Entscheidung setzt mehrere Personen aus Risikogruppen einer Ansteckungsgefahr aus und schafft aufgrund der weiten Reisewege die Gefahr neuer, unkontrollierbarer Infektionsketten. Gerade um diese zu verhindern, steht derzeit fast das gesamte Land still - mit großen wirtschaftlichen Schäden. Dabei ignoriert das Gericht alle Maßnahmen die von der Bundes- und Landesregierung zur Eindämmung der Pandemie und damit zum Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung beschlossen werden.

Deshalb ist aus Sicht der Verteidigung die Fortsetzung des Verfahrens in der derzeitigen Situation unverantwortlich:

- Die Hauptverhandlung findet im Saal 101 des OLG München statt. Regelmäßig sind in dem Großverfahren inklusive Dolmetscher und Wachpersonal mehr als 56 Personen auf engstem Raum anwesend.

- Der größte Teil der zehn Angeklagten, zwanzig Verteidiger*innen und zehn Vertrauensdolmetscher*innen reist zu jedem Prozesstag durch das gesamte Bundesgebiet per Bahn bzw. Flugzeug an. (Die Zahlen stellen sich wie folgt dar: 1 Haft in München, 8 NRW, 7 Hessen, 6 Nürnberg, 6 Berlin, 6 Baden-Württemberg, 1 Schleswig-Holstein, 1 Hamburg, 3 Ausland).

- Drei der Angeklagten müssen jeweils aus dem Ausland anreisen (Schweiz, Liechtenstein und Frankreich).

- Ein Teil der Angeklagten, wie auch der Verteidiger gehört im Falle einer Erkrankung mit COVID-19 zur (Hoch)risikogruppe, aus Altersgründen, aus Gründen - teils erheblicher - Vorerkrankungen und aus Gründen aktueller schwerwiegender Erkrankungen bzw. deren Nachwirkungen, die während der enorm langen Verfahrensdauer aufgetreten sind.

- Die Angeklagten werden beim Betreten des Gerichtsgebäudes jeweils durch einen Justizvollzugsbeamten mit direktem Körperkontakt durchsucht.

- Die Verhandlung findet im Strafjustizzentrum München statt, das jeden Tag von mehr als 1.000 Personen betreten wird.

Am heutigen Montag erreichte die Verteidiger die Entscheidung des Vorsitzenden des 7. Strafsenats, Dr. Dauster, dass am Mittwoch, den 18. März 2020, sowie noch vor der Osterpause am 23., 24., 30., 31. März 2020 und am 1. April 2020 verhandelt werden soll. In der Begründung heißt es, dass der Senat „das Risiko für die Verfahrensbeteiligten aufgrund der Corona-Pandemie“ mit dem Strafverfolgungsinteresse des Staates, dem Beschleunigungsgebot und dem Recht der Angeklagten auf ein zügiges Verfahren“ abgewogen habe. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass am Mittwoch und den Folgetermin die Teilnahmen an der Verhandlung zumutbar sei.

Die Durchführung eines Verfahrens in der Größenordnung ist jedoch nicht zumutbar und verantwortungslos. Der Senat gefährdet die Allgemeinheit insbesondere auch deshalb, weil er die Angeklagten, die über Österreich aus der Schweiz und Liechtenstein einreisen, zur Teilnahme an der großen Gerichtsverhandlung zwingt, obwohl das Bundesgesundheitsministerium solche Reisenden ausdrücklich auffordert, sich zwei Wochen in Quarantäne zu begeben.

Wie groß die Gefahr der Ansteckung für die Verfahrensbeteiligten im Strafjustizzentrum ist, kann die Verteidigung nicht abschätzen, da der Senat bis heute nicht auf deren Anfrage geantwortet hat, ob es in dem Strafjustizzentrum bereits bestätigte oder noch ungeklärte Verdachtsfälle einer Coronavirus-Infektion gibt.

Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu allen Handlungsempfehlungen, angesichts der Pandemie größere Zusammenkünfte und Reisen zu vermeiden, um die Infektionsrate zu drosseln.

Auch setzt sich der Senat in Widerspruch zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der am 16. März 2020 mitteilte, dass Ende März keine Verhandlungen stattfinden mit der Begründung: „Damit unterstützt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Anstrengungen im öffentlichen Sektor und leistet einen Beitrag zur Verzögerung der weiteren Ausbreitung des Coronavirus. Zugleich dient die Maßnahme dem Schutz der Verfahrensbeteiligten sowie aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts und dementsprechend auch der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Bayern.“

Die wenigen Vorschläge, die der Vorsitzende zur vermeintlichen Eindämmung der Ansteckungsgefahr macht, bedeuten eine Einschränkung der Verteidigungsrechte, wie z.B. dass nicht alle Verteidiger oder Dolmetscher anreisen sollten oder dass die Verfahrensbeteiligten sich weit auseinandersetzen sollten, was in dem Saal schwer möglich ist und die Kommunikation unterbindet.

Um das Verfahren nunmehr zu einem schnellen Ende zu bringen, nimmt der Senat somit die Gesundheitsgefahr der Verfahrensbeteiligten, das Risiko für die Allgemeinheit und die Beschneidung der Rechte der Angeklagten in Kauf, anstatt die Hauptverhandlung auch nur für kurze Zeit zu unterbrechen.

UPDATE: Die für den 18. März angesetzte Verhandlung ist mittlerweile nach Angaben des Gerichts wegen der Erkrankung eines Senatsmitglieds abgesagt worden.