„Ein Prozess ohne Parlamentsbeteiligung wird nicht funktionieren“
Nach dem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat sich die kurdische Politikerin Pervin Buldan als Mitglied der Imrali-Delegation ihrer Partei DEM zu den Perspektiven eines möglichen Friedensprozesses geäußert. Dabei betonte sie, dass der von Abdullah Öcalan formulierte „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ ein umfassender Appell sei – nicht nur an die Politik, sondern an die gesamte Gesellschaft.
„Ein wichtiges Signal vom Staatspräsidenten“
Gegenüber ANF erklärte Buldan am Rande der internationalen Öcalan-Konferenz in Rom, dass das Treffen mit Erdoğan von historischer Bedeutung sei: „Zum ersten Mal hat der Präsident direkt Vertreter:innen der Imrali-Delegation empfangen. Damit wurde deutlich, dass sich auch die Regierung dem Prozess nicht länger entziehen kann.“ Man habe die eigenen Vorschläge unterbreitet, Erdoğan habe zugehört und ein grundsätzliches Interesse signalisiert. Dies werte sie als Zeichen politischer Bereitschaft zur Mitgestaltung des Prozesses.
„Ein Prozess ohne Parlamentsbeteiligung wird nicht funktionieren“
Gleichzeitig betonte Buldan, dass konkrete Schritte nötig seien. „Wir fordern gesetzliche Reformen, nicht nur vage Absichtserklärungen. Die Demokratisierung des Landes und der Weg zum Frieden können nur mit rechtlichen Garantien abgesichert werden.“ Auch das Parlament müsse Verantwortung übernehmen. Ein Gespräch mit dem Justizminister sei bereits geplant, um diese Fragen zu vertiefen.
Vorbereitung eines gesetzlichen Rahmens
Sowohl die Regierung als auch die DEM-Partei arbeiteten aktuell an Konzepten für eine gesetzliche Grundlage. Details nannte Buldan nicht, aber sie stellte in Aussicht, dass – sollte es zügig vorangehen – bis Juni wesentliche Schritte abgeschlossen sein könnten. Dazu zählten auch eine mögliche Entscheidung der PKK zur Auflösung sowie die Umsetzung flankierender gesetzlicher Maßnahmen.
Warnung vor Sabotage und autoritären Rückschritten
Mit Blick auf mögliche Störungen mahnte Buldan zur Wachsamkeit: „Wir leben in einer Region voller Risiken. Was 2015 passiert ist, darf sich nicht wiederholen“, sagte die Politikerin mit Blick auf den von Erdoğan vor zehn Jahren einseitig umgeworfenen Verhandlungstisch mit Öcalan. Auch jüngste Angriffe auf demokratische Strukturen, etwa die Absetzung gewählter Bürgermeister:innen oder die Repression gegen die Opposition, seien besorgniserregend. „Das beschädigt die Glaubwürdigkeit des Prozesses“, so Buldan.
Demokratisierung als Voraussetzung für Frieden
Buldan stellte klar, dass Frieden ohne Demokratie nicht denkbar sei: „Die Abschaffung des Ausnahmezustands, freie Meinungsäußerung, rechtstaatliche Verfahren und ein Ende der Repression gegen Oppositionelle sind unerlässlich.“ Die Forderung nach demokratischer Teilhabe betreffe nicht nur die Kurd:innen oder die DEM, sondern das ganze Land. „Das ist eine Frage, die 85 Millionen Menschen in der Türkei betrifft.“
Gesellschaftlicher Dialog ist entscheidend
Zum Abschluss betonte Buldan, dass der Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft nicht nur eine politische Initiative sei, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag: „Das ist ein Appell an alle – an Frauen, Jugendliche, Gewerkschaften, Parteien. Wir dürfen nicht abwarten, sondern müssen gemeinsam handeln. Nichts wird sich von allein regeln.“ Die Demokratisierung der Türkei sei der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme – von Frauenmorden über politische Repression bis hin zur Lösung der kurdischen Frage.