Bezirksverordnete wollen Städtepartnerschaft mit Dêrik, aber …

Grüne Bezirksbürgermeisterin in Berlin hadert mit einer Städtepartnerschaft mit der Stadt Dêrik in Nordsyrien.

Die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin Friedrichshain-Kreuzberg stimmte am 20. September 2017 mit großer Mehrheit von Linken, Grünen und SPD dem Antrag der Linksfraktion zu, in dem der Vorschlag der Bürgermeister*innen aus Dêrik, eine Städtepartnerschaft einzugehen, begrüßt wird. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann wird in dem Beschluss aufgefordert, das Gesuch wohlwollend zu beantworten und umgehend Kontakt mit der Kommune aufzunehmen. Damit wäre der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg Vorreiter in ganz Deutschland, – hätte das Bezirksamt nicht die Notbremse gezogen.

Dêrik ist eine Stadt in Nordsyrien, in der Nähe der irakischen Grenze und dem Shengal-Gebiet. Der aramäische Name Dêrik wurde unter Assad arabisiert und in al-Malikiya umbenannt, so wie in der Türkei tausende von kurdischen Städten und Dörfern mit türkischen Namen versehen wurden, um den kurdischen Ursprung zu vernichten.

In der überwiegend christlichen Stadt gibt es ein großes Flüchtlingscamp der Ezid*innen aus dem Shengal/Irak), die im August 2014 vor dem Islamischen Staat (IS) geflüchtet sind. Die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG/YPJ und die HPG schufen einen Korridor von den Shengalbergen nach Dêrik und bewahrten viele Frauen und Mädchen vor der Verschleppung und dem Verkauf auf Sklavenmärkten durch den IS. Die Bürgermeister*innen der selbstverwalteten Stadt bemühen sich mit den Bewohnern, den Geflüchteten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen – trotz des Embargos der Türkei, der kurdischen Regionalregierung im Nordirak und der syrischen Regierung. Wie in allen Städten der demokratischen Föderation Nordsyrien spielt die Gleichberechtigung der Geschlechter eine zentrale Rolle. So ist zum Beispiel das Amt der Bürgermeister mit je einem Mann und einer Frau besetzt, die als gleichberechtigtes Team die Stadt verwalten.

In Berlin und vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg leben ebenfalls kurdische Bürger*innen aus Dêrik, die vor dem IS geflohen sind. Zeitgleich mit dem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gründete sich ein Städtepartnerschaftsverein Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik‘, der es sich u.a. zur Aufgabe gemacht hat, den Geflüchteten aus der Region und den Bürger*innen des Bezirks Möglichkeiten des Austauschs und der Unterstützung zu bieten. Zudem will der Verein kommunale Projekte wie Schulen, ökologische Kooperativen etc. in Dêrik fördern. Gemeinsam mit dem Bezirk wollte der Verein dafür Fördermittel für ‚kommunale Projektpartnerschaften‘ beantragen. Nun ist das ganze Vorhaben in Gefahr.

Nach 4 Monaten legte das Bezirksamt, bestehend aus der grünen Bürgermeisterin, dem stellvertretenden Bürgermeister der LINKEN, zwei grünen Stadträten und einem SPD Stadtrat, das Ergebnis der ‚wohlwollenden Kontaktaufnahme mit Dêrik‘ gemäß BVV-Beschluss vor: Anstatt mit den Bürgermeister*innen in Dêrik Kontakt aufzunehmen, nahm die Bürgermeisterin Kontakt zum Auswärtigen Amt (AA) auf und bat um Stellungnahme. Das AA kritisierte zwar mit Recht die Bezugnahme auf die ‚demokratische Föderation Nordsyrien‘, die von der Bundesrepublik nicht anerkannt werde, wies aber lediglich daraufhin, das Bezirksamt solle „dafür Sorge tragen, dass Äußerungen, wie die genannte Bezugnahme auf eine ‚Demokratische Föderation Nordsyrien‘ unterbleiben ... und korrigiert werden.“ Grundsätzlich begrüße die Bundesregierung jedoch Aktivitäten, die vor dem Hintergrund der Völkerverständigung auf Städtepartnerschaften abzielen, heißt es in der Stellungnahme. Der Hinweis, dass es eine Reisewarnung für Syrien gäbe und die Worte ‚demokratische Föderation‘ korrigiert werden müssten, führten dazu, dass sich die Bürgermeisterin und das Bezirksamt außerstande sahen, „den Prozess der Städtepartnerschaft zwischen Friedrichshain-Kreuzberg und der nordsyrischen Gemeinde Dêrik souverän zu begleiten und den Beschluss umzusetzen“. Ohne im Vorfeld den Kontakt zu dem Städtepartnerschaftsverein zu suchen und um eine einvernehmliche Lösung zu suchen, sollte der BVV - Beschluss vom 20. September 2017 abgelehnt werden. Dies wurde in der Januarsitzung des Bezirksparlaments in letzter Minute abgewandt. Nun soll sich ein Ausschuss der Angelegenheit nochmals annehmen.

Der Städtepartnerschaftsverein hofft, nun in den Entscheidungsfindungsprozess mit einbezogen zu werden.

Die grüne Bürgermeisterin brachte nun den Begriff der ‚privilegierten Freundschaft‘ ins Spiel, ein Begriff, der sich sehr nach ‚Merkel-Sprech‘ in Bezug auf die Türkei anhört: Merkel brachte den Begriff der ‚privilegierten Partnerschaft‘ anstelle von EU-Mitgliedschaft in die Diskussion, was ihr hämische Bemerkungen in der Presse einbrachte, denn solch ein Konstrukt hätte keine politische oder rechtliche Relevanz. Ähnlich relevanzlos dürfte Herrmanns ‚privilegierte Freundschaft‘ sein. Die Fraktion der Linken im Bezirksparlament hofft weiterhin auf eine richtige Städtepartnerschaft, sagte der Fraktionsvorsitzende Oliver Nöll dem Tagespiegel (tsp vom 5.2.2018).

Eine Ablehnung der Städtepartnerschaft würde bedeuten, so der Städtepartnerschaftsverein in einem offenen Brief an die Bezirksbürgermeisterin, „dass viele Mittel und Möglichkeiten, die das BMZ-unterstützte „Kompetenzzentrum für kommunale Entwicklungspolitik“ in Bonn für deutsche Kommunen und Partnergemeinden im Nahen Osten im Rahmen seines „Schnellstarterpaketes Nahost“ bereitstellt, vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht in Anspruch genommen werden können. Wir als Verein wollten u.a. in diesem Rahmen tätig werden. Eine Unterstützung der Kommunalverwaltung von Dêrik bei der Aufnahme und Versorgung innersyrischer, wie auch ezidischer Flüchtlinge aus dem Irak (Flüchtlingslager Newroz) und dem entsprechenden Ausbau ihrer kommunalen Infrastruktur ist bei einem entsprechenden Beschluss nur noch auf beschränkter individueller Ebene möglich. Ebenfalls werden wir dann kaum noch ermöglichen können, dass Menschen, die in unserem Bezirk als Geflüchtete aus der Region Dêrik leben, eine Rückkehrperspektive mit einer hier erworbenen Qualifikation in Bereichen z.B. der Abwasseraufbereitung, Müllentsorgung und –Aufbereitung, Katastrophenschutz, Erste Hilfe u.ä. erhalten. Denn für all dies gäbe es Fördermöglichkeiten, die aber im Moment nur im Rahmen einer offiziellen Städtepartnerschaft in Anspruch genommen werden können.“ (Auszug aus dem Offenen Brief des Städtepartnerschaftsvereins)

Die Initiative-Nahost schreibt in ihrem Anleitungspapier zur Beantragung der BMZ-Mittel: „Der Aufbau funktionierender Kommunalverwaltungen wird auch beim Wiederaufbau in Syrien eine bedeutende Rolle spielen. Hier können deutsche Kommunen frühzeitig unterstützen, indem sie Geflüchteten eine Qualifizierung in der Kommunalverwaltung anbieten. ..Kommunale Projektpartnerschaften leben von einem aktiven Erfahrungs- und Wissensaustausch. Sie  fördern das Bewusstsein der Bürger über globale Zusammenhänge und Entwicklungszusammenarbeit. Auch tragen sie dazu bei, dass die Kommunen zugewanderte Menschen und ihre Herkunft besser verstehen. Die Zusammenarbeit unterstützt somit auch die Integration.“ https://www.initiative-nahost.de/de/kommunale-projektpartnerschaften.html

Weiter schreibt der Verein: „In keinem anderen Bezirk Berlins leben so viele Menschen unterschiedlicher Ethnien, Sprachen und Religionen mit und nebeneinander wie in Friedrichshain-Kreuzberg. Politische Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten haben auch Einfluss auf das Zusammenleben hier und umgekehrt können unsere Aktivitäten auch dort Wirkungen zeigen. Ein Verein, der aus dem Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER) hervorgegangen ist, hat hierfür den Begriff ‚Berlin-Global-Village‘ geprägt. ...

Es ist für unser Zusammenleben von entscheidender Bedeutung, welche gesellschaftlichen Vorstellungen hier Verbreitung finden: Vorstellungen, die traditionelle patriarchale Rollenzuweisungen befürworten, auf Abgrenzung und Feindseligkeit gegenüber anderen Religionen und Volksgruppen beruhen oder Vorstellungen, wie sie in Dêrik (und Nordsyrien) unter schwierigsten Bedingungen versucht werden umzusetzen. Vorstellungen, die die Gleichberechtigung der Geschlechter, Respekt und Toleranz gegenüber Menschen unterschiedlichster Ethnien und Religionen und basisdemokratische Strukturen in der Gesellschaft beinhalten.

Gerade jetzt, wo Afrin, die westlichste und in 7 Jahren Bürgerkrieg friedlich gebliebene Region Nordsyriens unprovoziert durch die türkische Regierung angegriffen wird, fühlen wir uns moralisch und humanitär verpflichtet, der Bevölkerung dort beiseite zu stehen. Die Angriffe auf Afrin und die Drohung weitere Gebiete Nordsyriens, darunter auch Dêrik, anzugreifen, wühlt in unserem Bezirk diejenigen Menschen auf, die viel Hoffnung auf eine demokratische Lösung in Nordsyrien gesetzt haben. Wir sollten sie nicht alleine lassen.“ (Auszug aus dem Offenen Brief des Vereins)

Bleibt zu hoffen, dass das Bezirksamt nun seinem Auftrag der BVV nachkommt und die Städtepartnerschaft mit Dêrik umsetzt. Mittlerweile gibt es in der Bundesrepublik mehrere Initiativen, eine Städtepartnerschaft mit einer nordsyrischen Stadt einzugehen: Tübingen, Frankfurt, Oldenburg und Löhne, um nur einige zu nennen. Das Argument, der Bezirk betreibe Außenpolitik – das der Fraktionsvorsitzende der CDU gerne in die Debatte wirft, entlarvt sich von selbst als demagogisch. Eine Städtepartnerschaft mit einer Kommune im Ausland bedeutet noch lange nicht, dass der Bezirk ‚Außenpolitik‘ betreibt, schließlich bestehen schon Städtepartnerschaften mit Kiryat Yam/Israel, Stettin/Polen, San Rafael del Sur/Nicaragua, und Kadiköy/Türkei.