AZADÎ: 25 Jahre PKK-Betätigungsverbot in Deutschland
Der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, AZADÎ, fordert, das PKK-Betätigungsverbot aufzuheben und die aktuelle Verfolgung kurdischer Aktivist*innen nach § 129b zu beenden.
Der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, AZADÎ, fordert, das PKK-Betätigungsverbot aufzuheben und die aktuelle Verfolgung kurdischer Aktivist*innen nach § 129b zu beenden.
Im November 1993 trat das Vereins-und Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistan in Deutschland in Kraft. Seitdem wurden Tausende Menschen kriminalisiert und die Grundrechte Zehntausender Kurden und Kurdinnen außer Kraft gesetzt. Am 26. November jährt sich das sogenannte PKK-Verbot. Dazu erklärt der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, AZADÎ e.V. unter der Überschrift:
25 Jahre PKK-Betätigungsverbot in Deutschland – Bundesregierung verschärft die Verfolgung
Am 26. November 1993 trat das vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther verfügte Vereins- und Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie angebliche Tochter- und mögliche Nachfolgeorganisationen in Deutschland in Kraft. Auf dieser Grundlage fanden in den letzten 25 Jahren zehntausende von Strafverfahren statt, wurden Grundrechte der in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden außer Kraft gesetzt, Demonstrationen und Kundgebungen verboten. Politisches Engagement ohne jede strafrechtlichen Verstöße ist vielen Kurdinnen und Kurden ohne deutschen Pass unter Maßgaben des Ausländerrechts zum Verhängnis geworden. Einbürgerungen wurden verweigert, der Asylstatus wieder aberkannt und Menschen per Ausweisungsverfügung die Aufenthaltserlaubnis und damit jede gesicherte Lebensgrundlage in Deutschland entzogen. Kurdische Einrichtungen und Vereine waren flächendeckend der Bespitzelung durch Polizei und Geheimdienste ausgesetzt. Das Verbot hat tief in das Leben der Menschen eingegriffen und bei vielen die Erfahrung hinterlassen, der Verfolgung in der Türkei entkommen zu sein, um in Deutschland wieder in einer Falle zu sitzen.
Kurdische politische Gefangene
Schon seit Ende der 1980er Jahre wurden Dutzende kurdischer Aktivist*innen mittels der umstrittenen Paragraphen §129 und §129a Strafgesetzbuch (StGB) als Mitglieder in einer inländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung angeklagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Als mangels Tatbeständen die Anklagen zurückgingen, kam 2010 der Bundesgerichtshof der Regierung zur Hilfe und legte nahe, auch kurdische Aktivistinnen und Aktivisten nach dem im Jahre 2002 eingeführten §129b als Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu verfolgen. AZADÎ hat seit der BGH-Entscheidung 29 Aktivist*innen registriert und betreut, die aufgrund dieses Paragraphen verurteilt wurden bzw. deren Verfahren noch nicht eröffnet sind. Derzeit befinden sich zehn Kurden – darunter eine Kurdin – auf der Grundlage von §§ 129a/b in Untersuchungs- oder Strafhaft.
BMI verschärft Repressionsdruck
Als Anfang der 1990er Jahre die Auseinandersetzungen bei kurdischen Demonstrationen eskalierten, kamen Politik und Sicherheitsbehörden zu der Einsicht, dass allein mit Repression der politische Wille von ca. 800.00 Kurdinnen und Kurden nicht zu unterdrücken ist. Parallel zur weiteren strafrechtlichen Verfolgung gab es – in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt – einen informellen modus vivendi, der den Kurd*innen die Möglichkeit gab, ihrer politischen Identität ohne Störung durch die Polizei Ausdruck zu geben, etwa bei dem inzwischen seit über 20 Jahren alljährlich insbesondere in NRW stattfindenden kurdischen Friedens- und Kulturfestival.
Dieser informelle Konsens wurde mit einem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 2. März 2017 ohne weitere Erklärung aufgekündigt. In dem fünfseitigen Papier werden die Sicherheitsbehörden der Länder angewiesen, insbesondere das Zeigen des Bildnisses von Abdullah Öcalan zu unterbinden, da dieser stellvertretend für die PKK stünde. In einer beigefügten Liste mit nunmehr insgesamt 33 verbotenen Symbolen waren erstmalig auch die kurdisch-syrischen Organisationen YPG/YPJ und PYD als ausländische „PKK-Ableger“ gelistet. Mit einem Rundschreiben vom 29. Januar dieses Jahres legte das BMI noch einmal nach und verschärfte wiederum den Umgang mit der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland.
Türkei-Politik auf Kosten der Kurd*innen
Im Zuge der neuen deutsch-türkischen Annäherungen hat sich die Repression in diesem Jahr erneut zugespitzt. Während die türkische Armee völkerrechtswidrig mit deutschen Leopard-Panzern in die kurdisch-syrische Enklave Afrîn einmarschierte, machte die Polizei bei Gegendemonstrationen Jagd auf die Symbole von YPG und YPJ. Es folgten im Nachlauf fast wöchentlich Razzien gegen kurdische und solidarische deutsche Einrichtungen mit der Begründung eines möglichen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. Das Vorhaben der Sicherheitsbehörden, sämtliche vom kurdischen Dachverband NAV-DEM organisierten Demonstrationen und Veranstaltungen zu verbieten, konnte nur durch das Eingreifen der Verwaltungsgerichte gestoppt werden. Nach wie vor sitzen Zehntausende politische Gefangene in türkischen Gefängnissen, während für Präsident Recep Tayyip Erdoǧan im September in Berlin der rote Teppich ausgerollt wurde – inklusive eines feierlichen Staatsbanketts.
Alle Bundesregierungen haben bis heute am strikten Repressionskurs gegen Kurd*innen und ihre Organisationen festgehalten und sich letztlich aus Eigeninteresse stets an die Seite türkischer Machthaber gestellt.
Mit dem Betätigungsverbot der PKK isoliert sich Deutschland aber zunehmend international. So befand der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am 15. November, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der EU-Liste terroristischer Organisationen stand.
Dies sollte die Bundesregierung zum Anlass nehmen, die aktuelle Verfolgung kurdischer Aktivist*innen nach § 129b zu beenden und das PKK-Betätigungsverbot aufzuheben, um endlich den Weg frei zu machen für offene politische Diskussionen und repressionslose Aktivitäten!
Zu zeigen, dass sich die herrschende Politik grundlegend ändern muss, wird Gelegenheit sein auf der bundesweiten Demonstration am 1. Dezember in Berlin „Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus“, 12:00 Uhr, U-Bahnhof Alexanderplatz.