Yalçın: Rassismus ist keine Krankheit, sondern Teil des Systems

Fast täglich finden rassistische Angriffe auf Kurd:innen in der Türkei statt. Insbesondere Saisonarbeiter:innen sind bedroht. Der Anwalt Hasan Yalçın kritisiert, der türkische Staat negiere die politische Dimension dieser Übergriffe.

In der Türkei kommt es täglich zu rassistischen und diskriminierenden Angriffen, insbesondere auf Kurdinnen und Kurden. Erst vor wenigen Tagen wurde eine kurdische Familie aus Hewlêr in Mersin zum Ziel eines rassistischen Angriffs. Türkische Faschisten hatten versucht, den Familienvater tot zu prügeln und in einen Abgrund zu werfen. Dennoch stellten sich Staatsanwaltschaft und Polizei auf den Standpunkt, dass es sich um eine „gerichtliche Angelegenheit“ handele und keine Notwendigkeit bestehe, dieser einen politischen Hintergrund zu geben. Die Angriffe auf Kurd:innen, die während der Sommermonate zur Saisonarbeit ans Schwarze Meer, nach Zentralanatolien und in die Marmara-Region reisen, werden als Alltagsnachrichten der Sommermonate abgehandelt.

Rechtsanwalt Hasan Yalçın

Der Anwalt Hasan Yalçın von der Kommission gegen Rassismus und Diskriminierung im Menschenrechtsverein IHD sieht in dem Angriff von Mersin kein Novum, sondern einen Teil einer ganzen Reihe von rassistischen Attacken in Städten wie Sakarya, Trabzon und Ankara, wie auch im Westen der Türkei.

Die Sprache der Regierung hetzt zum Rassismus auf

„Im Allgemeinen sind Menschen, die nicht türkisch oder nicht muslimisch sind, diesen Angriffen ausgesetzt”, erklärt Yalçın. „Solche Angriffe haben in der Geschichte der Republik immer wieder stattgefunden. Es ist möglich, die Wurzeln dieser Angriffe noch viel weiter in die Vergangenheit zurückzuverfolgen. Diese Angriffe hängen damit zusammen, dass alle Bürger dieses Landes als Türken angesehen werden und die Identitäten aller anderen Nationen und Völker nicht akzeptiert werden. Die Angriffe erhalten ihre Kraft aus der aktuellen Rechtsprechung. Außerdem werden sie durch die Sprache der Politik und der Regierungen angefacht.“

Angriffe werden als normale Straftaten relativiert

Der Anwalt fährt fort: „Es gibt keine wirksame Untersuchung solcher Angriffe und sie werden als normale Kriminalität interpretiert. So werden die Täter von der Politik geschützt. Auch die Gerichte sprechen diese Täter frei oder stellen die Verfahren ein. Die Politiker sind in diesem Zusammenhang verantwortlich. Denn solange ihre Sprache rassistisch ist, werden diese rassistischen Angriffe weiterhin auf der Straße und in den anderen Lebensbereichen stattfinden."

Wir beteiligen uns an den Verfahren“

Zur Arbeit der Kommission in diesem Zusammenhang mit rassistischen Attacken erklärt Yalçın: „Zunächst einmal nehmen wir Kontakt mit denjenigen auf, die dem Angriff ausgesetzt waren. Wir bereiten einen Bericht über den Vorfall vor und veröffentlichen diesen. In einer zweiten Phase intervenieren wir im Verfahren im Sinne der Opfer des Angriffs. Wir versuchen, die notwendige Unterstützung zu bieten, damit die Täter verfolgt und bestraft werden. Nach dem Angriff in Mersin zum Beispiel begleiteten Vertreter:innen unseres Büros, der Anwaltskammer von Amed und verschiedene zivigesellschaftliche Organisationen die Betroffenen zu ihren Vernehmungen, erstellten Berichte und veröffentlichten diese.“

Rassismus ist keine Krankheit, sondern ein Teil des Systems

Yalçın stellt weiter fest, dass Rassismus keine Krankheit, sondern ein Teil des Systems ist. Er fordert Schritte zur Überwindung des Rassismus. Wenn keine Schritte unternommen werden, dann wird das Ausmaß der rassistischen Gewalt in Zukunft noch viel größere Dimensionen annehmen.