Seit mittlerweile 70 Tagen befindet sich die inhaftierte HDP-Abgeordnete Leyla Güven im Hungerstreik. Mittlerweile hat sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Ihre Anwältin Cemile Turhallı Balsak erklärte gegenüber ANF, dass Güvens Seh- und Konzentrationsfähigkeit nachgelassen hat. Balsak berichtete auch, wie es zur Festnahme und Inhaftierung von Leyla Güven kam und wann sie davon erfuhr, dass ihre Mandantin sich zu einem Hungerstreik entschloss.
Inhaftierung von Leyla Güven trotz Wahl zur Abgeordneten
Leyla Güven wurde am 22. Januar 2018 aufgrund ihrer Kritik an der völkerrechtswidrigen Militärinvasion in Efrîn festgenommen worden. Aus dem Gefängnis heraus wurde sie dann am 24. Juni 2018 als Abgeordnete der HDP in die türkische Nationalversammlung gewählt. Diese Wahl hätte laut geltender türkischer Verfassung zugleich ihre Freilassung bedeuten müssen. „Und dementsprechend haben wir ihre Entlassung beantragt“, berichtet die Anwältin Balsak. Tatsächlich stimmte ein Gericht der Entlassung Güvens zu, doch nicht aufgrund ihrer Wahl zur Abgeordneten, sondern weil sich die Schuldsituation, die Art und Beschaffenheit des Strafgegenstandes verändert hatte. „Während wir auf die Entlassung unserer Mandantin warteten, ließen die Gefängnisleitung und die Staatsanwaltschaft nichts unversucht, um die Entscheidung rückgängig zu machen“, so Balsak.
Tatsächlich wurde die Entlassung von Leyla Güven daraufhin verworfen und ihre Haftfortsetzung angeordnet. Das Strafgericht widerrief seine eigene Entscheidung. Laut Balsak ist das kein üblicher Vorgang, was darauf hindeutet, dass von anderer Stelle etwas angeordnet wurde, was das Gericht nun umzusetzen hatte.
Leyla Güven kündigt Hungerstreik an
Am 7. November lehnte es Güven ab, in Handschellen zu ihrem Prozess gebracht zu werden. Sie informierte ihre Anwält*innen über diese Entscheidung und nahm per Videoübertragung aus dem Gefängnis heraus am Prozesstag teil.
„Güven erklärte dem Gericht an diesem Tag, dass die Isolation von Menschen ein Verbrechen an der Menschlichkeit darstellt. Das Gericht versuchte daraufhin ihre Ausführungen zu unterbinden. Doch sie erklärte, dass sie gegen die Isolationsbedingungen auf der Gefängnisinsel Imrali mit sofortiger Wirkung in einen unbefristeten Hungerstreik treten werde. Wir als ihre Anwält*innen erfuhren auf diese Weise von ihrem Vorhaben. Von nun an besuchten wir sie noch öfter im Gefängnis. Ihre regelmäßige gesundheitliche Kontrolle ist seit diesem Zeitpunkt für uns von besonderer Bedeutung. Denn auch im Hinblick auf ihr Alter ist es leider nicht unwahrscheinlich, dass sie bleibende Schäden von diesem Hungerstreik tragen wird. Wir achten auch darauf, dass wir sie bei unseren Besuchen nicht allzu sehr strapazieren“, berichtet ihre Anwältin.
„Ihre Einstellung ist sehr positiv“
Die Einstellung der hungerstreikenden Güven sei positiv, ihre Motivation sehr hoch, erklärt Balsak. Sie glaube an die Richtigkeit ihrer Forderung und an die Bedeutung ihrer Aktion. Balsak berichtet weiter: „In der Türkei ist die Isolation von Gefangenen nicht gestattet. Auch die internationalen Abkommen, die von der Türkei unterzeichnet worden sind, lassen die Isolationsmaßnahme nicht zu. Unsere Mandantin fordert also mit ihrer Aktion im Prinzip, dass sich die Türkei an ihre eigenen Gesetze hält.“
„Ihre Forderung stellt einen Schritt zum Frieden dar“
Balsak führt weiter aus, dass es bei der Forderung ihrer Mandantin nicht allein um eine Person geht. „Sie betrachtet die Aufhebung der Isolationsbedingungen von Herrn Öcalan als einen Schritt in Richtung des gesellschaftlichen Friedens. Auch die Ausweitung der Hungerstreiks auf andere Gefängnisse betrachtet sie als eine Bestätigung der Bedeutung ihrer Forderung. Natürlich hat das Leben der Menschen auch für Frau Güven einen ebenso großen Wert wie ihre Forderung. Aus diesem Grund schmerzt es zugleich auch, dass die politisch Verantwortlichen, die Medien, die Presse, das Parlament und große Teile der Öffentlichkeit so teilnahmslos auf die Hungerstreiks reagieren“, erklärt die Anwältin.
Gesundheitszustand von Leyla Güven
„Erst heute haben wir versucht, sie im Gefängnis zu besuchen. Doch sie sah sich nicht in der Lage, den Besuch wahrzunehmen“, berichtet Balsak und ergänzt: „Zuvor las sie täglich im Gefängnis Bücher. Dazu ist sie nicht mehr in der Lage. Besonders das Nachlassen ihrer Konzentrationsfähigkeit steht dem im Wege. Vieles, was zuvor zu ihrer Alltagsroutine im Gefängnis gehörte, kann sie jetzt nicht mehr umsetzen. Dazu gehört natürlich auch der Sport. Sie hat mittlerweile große Schwierigkeiten beim Laufen. Auch das Sprechen fällt ihr nicht einfach. Sie kann die Briefe nicht mehr beantworten, die sie von überall aus der Türkei erreichen. Doch die Post an sie gibt ihr weiterhin Kraft und Motivation. Allerdings macht ihr der sinkende Blutdruck auch sehr zu schaffen. Die Gefängnisärzte und das Gesundheitspersonal prüfen täglich ihren Blutdruck und ihre Gesundheit. Das Justizministerium hat bereits seit 15 Tagen angeordnet, dass vor dem Gefängnis permanent ein Krankenwagen bereitsteht.“