Antimilitaristische Kaffeefahrt: Dorthin, wo der Krieg beginnt

Zum internationalistischen Aktionstag für Rojava hat unter dem Label #Riseup4Rojava eine antimilitaristische Kaffeefahrt quer durch Nürnberg stattgefunden.

Zu einer Bustour quer durch Nürnberg hat die Interventionistische Linke Nürnberg (iL) am internationalen Aktionstag gegen den Angriffskrieg in Rojava eingeladen. Die „Kaffeefahrt“ mit ca. 40 Aktivist*innen stand unter dem Label der globalen Kampagne RiseUp4Rojava. Dabei wurden Orte besucht, von denen Krieg ausgeht. An jeder Station gab es Informationen über die Kriegsbeteiligungen. Mit roten Kreuzen wurde gezeigt: War starts here, let‘s stop it here!

Erste Station waren die Siemens-Schuckert-Werke als Beispiel der erfolgreichen Verknüpfung zwischen Militarismus und Kapitalismus. Die heutige Siemens AG hatte hier ihren Ursprung. Neben harmlosen Staubsaugern produziert Siemens allerlei Rüstungstechnik für die Bundeswehr wie z.B. Überwachungssysteme. Die Defence-Sparte arbeitet für das US-Militär. Bis 2010 war Siemens größter Anteilseigner am Panzerproduzenten der Kraus-Maffei-Wegmann GmbH. Ab 1943 produzierte Siemens hauptsächlich Elektrotechnik für die Wehrmacht und beutete Zwangsarbeiter*innen aus. Das waren Kriegsgefangene aus den von den Faschisten besetzten Gebieten, die im Barackenlager leben und arbeiten mussten.

Die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) stellt zusammen mit dem Rüstungsunternehmen Rheinmetall militärische Radfahrzeuge her und ist Komplettanbieter für Militärradfahrzeuge, der die ganze Palette der Transport- und Funktionsfahrzeuge für Kriegseinsätze abdeckt. In der NS-Zeit beschäftigte MAN ca. 8.500 ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter und stellte die Produktion fast vollständig auf Rüstungsgüter um.

Weiter ging es zum Bundeswehr Ausbildungszentrum. Seit Wegfall der Wehrpflicht hat die Bundeswehr Probleme, Nachwuchs zu rekrutieren. Deshalb wurden in vielen Städten sogenannte „Karrierecenter der Bundeswehr“ eröffnet. Es geht um das „Werben fürs Sterben“. Mit Propagandaauftritten auf Messen, Schul- und Universitätsbesuchen oder medialen Werbekampagnen versucht die Bundeswehr Nachwuchs anzulocken und sich gesellschaftliche Legitimation zu verschaffen. Student*innen des Arbeitskreises „Ohm gegen Rechts“ informierten über Rüstungsforschung an Universitäten und über den sogenannten „Dual Use“. Das bedeutet, dass Forschungsergebnisse sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können. Auch auf die lokale Handhabung der „Zivilklausel“ - eine Selbstverpflichtung wissenschaftlicher Einrichtungen, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen - wurde eingegangen.

Die nächste Station war das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dort sprach eine Vertreterin des Bayrischen Flüchtlingsrats über die Aufrüstung an Europas Grenzen durch FRONTEX und die Rolle des BAMF als Erfüllungsgehilfe der politische gewollten Abschottung und Flüchtlingsabwehr. Auch die Verhaftung des Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft in Ankara war Thema. Im Auftrag des BAMF sollen in der Türkei Geflüchtete überprüft werden. Hunderte von sensiblen Daten gelangten so in die Hände des türkischen Geheimdienstes.

Ein weiteres Ziel war der Firmensitz von Diehl. Diese Waffenschmiede steht für ein ganzes Arsenal an Militärausrüstung: Panzerketten, Munition, Granaten, Minen und Raketen aller Art. Die Firma hat für den Kaiser und für das Naziregime gearbeitet und steht für die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik. Heute ist Diehl ein weltweit tätiger High-Tech-Konzern und fest in deutscher Familienhand. Der 2008 verstorbene Firmenpatriarch Karl Diehl ist Träger des Großen Verdienstkreuzes und Ehrenbürger u.a. in Nürnberg, was schon oft skandalisiert wurde.

Gleich nebenan ist die Gesellschaft für intelligente Wirksysteme (GIWS). Hier produziert Diehl zusammen mit Rheinmetall sogenannte „intelligente Munition“. Da Streumunition mittlerweile international geächtet wird, entwickelte man den Munitionstyp SMArt 155, der auf Druck der Bundesregierung vom Oslo-Abkommen zum Verbot von Streumunition ausgenommen wurde. Die Bundeswehr hat seit 2000 insgesamt 9.000 solcher Geschosse beschafft und setzt die SMArt 155 derzeit in Afghanistan ein.

In der Liste der Kriegstreiber darf natürlich auch das türkische Konsulat nicht fehlen. Mit den in Nürnberg schon bekannten Terrorist-Erdoğan-Masken wurde auf die Kriegsverbrechen des türkischen Staates hingewiesen. Die Aktivist*innen schwenkten die Fahnen der YPG und YPJ und drückten ihre Solidarität mit Rojava aus.

Den Beitrag zum türkischen Staat als Kriegstreiber veröffentlichen wir hier im Wortlaut:

„Das türkische Konsulat ist die Vertretung einer Republik, die nach dem 1. Weltkrieg von Atatürk und den nationalistischen Jungtürken erschaffen wurde. Es war der Versuch, auf dem Rumpfgebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches ein homogenes Staatsvolk zu erschaffen – geprägt von den in Europa entstandenen Konzepten von Rasse, Nation und Faschismus.

Bis heute gilt „Ne mutlu Türküm diyene - Glücklich ist derjenige, der sich als Türke bezeichnet.“ Die gemeinsame ideologische Linie des Faschismus von Atatürk über Hitler zu Erdoğan ist unverkennbar.

Wer in der jungen Republik von Atatürk nicht bereit war, sich zur türkischen Identität zu bekennen, wurde ausgelöscht. So kam es zum Völkermord an den Armeniern, an dem auch das wilhelminische Deutschland seinen Anteil hatte. Deutsches Giftgas war das Mittel der Wahl und sorgte für einen effektiven Massenmord – wie Jahrzehnte später übrigens auch im irakischen Halabdscha. Dort war es die Firma Karl Kolb GmbH aus dem hessischen Dreieich, die die nötigen Stoffe zur Herstellung der Giftwaffen an die Saddam-Diktatur lieferte.

Während die meisten Armenier dem Genozid 1915 zum Opfer fielen, wurde Nordkurdistan kolonialisiert, das heißt, kulturell, gesellschaftlich und ökonomisch ausgebeutet und unterdrückt. Aufstände dagegen schlug das türkische Militär blutig nieder. Immer wieder kam es zu Massakern. Zum Beispiel 1937 in Dersim. Ca. 70.000 alevitische Kurden wurden ermordet. Erst neulich wurde im türkischen Staatsarchiv ein brisantes Papier aus dieser Zeit entdeckt: Eine Bestellung über 20 Tonnen Giftgas aus Nazideutschland, abgewickelt über die türkische Botschaft in Berlin, unterschrieben von Atatürk.

Die deutsche Unterstützung der Türkei vollzog sich immer schon auf mehreren Ebenen: politisch, wirtschaftlich und militärisch. Die Geschichte beider Länder ist aus „eisernen Interessen“ miteinander verwoben. Vor 130 Jahren wurde zwischen dem Osmanischen und dem Deutschen Reich eine Konzessionsvereinbarung über den Bau der Bagdadbahn geschlossen, den Vertrag unterschrieb der Vorstandssprecher der Deutschen Bank Georg von Siemens. Letztes Jahr bei seinem Staatsbesuch teilte Erdoğan mit, er habe mit Merkel über die Modernisierung des türkischen Schienennetzes gesprochen. Beteiligt an dieser Investition: der Großkonzern Siemens.

Neben Giftgas unterstützte Deutschland die „Aufstandsbekämpfung“ á la turka auch immer gerne mit Waffen. In den 1990ern gelangten zum Beispiel aus ehemaligen NVA-Beständen der DDR Kalaschnikows, Panzerfäuste und Munition als Geschenke in die Türkei. Zeitnah zum PKK-Verbot in Deutschland Anfang der 90er erhielt die Türkei 300 deutsche Panzer.

Viele der Opfer der Genozide des türkischen Staates flohen damals in den Norden Syriens. Deren Nachfahren werden heute von deutschen Leopard 2 Panzern überrollt, wie Fotos aus Efrîn beweisen.

Entgegen der öffentlich zur Schau gestellten Empörung unterstützt die Bundesrepublik Erdoğan in seinen Kriegen gegen die Kurd*innen. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Er kommt mit Rüstungsexporten aus deutschen Waffenschmieden. Trotz angeblich eingeschränkter Waffenexporte hat Deutschland allein in diesem Jahr schon Waffen für 240 Millionen Euro an die Türkei geliefert. Die Bundeswehr bildet weiter türkisches Militär aus, das in Rojava Kriegsverbrechen begeht. Bis heute wird die immerhin von ca. 80% der deutschen Bevölkerung geforderte Rüstungskontrolle den geostrategischen und ökonomischen Interessen untergeordnet. Menschenrechte und Demokratie sind dabei nachrangig. Mit der Drohung, die Grenzen nach Europa für Geflüchtete zu öffnen, hat Erdoğan die Zustimmung der EU-Staaten zu seinem Krieg bekommen.

Bei der jüngsten Invasion der türkischen Armee und ihrer islamistischen Milizen vom 9. Oktober geht es nach den Worten Erdoğans um eine „Sicherheitszone“. Der Teil Syriens, der während der ganzen Jahre als Oase der Sicherheit galt und wo es die kurdische Freiheitsbewegung geschafft hat, sich einen Freiraum zu erkämpfen, wird unter den Augen der Weltöffentlichkeit angegriffen von türkisch-dschihadistischen Verbänden. Und wieder rollen deutsche Panzer, diesmal werden sie meist von ehemaligen IS-Kämpfern gefahren. Es gibt Fotos, die das dokumentieren.

Wie schon in Efrîn findet ein Bevölkerungsaustausch statt. Erst wird die mehrheitlich kurdische Bevölkerung entführt, vertrieben oder ermordet, danach werden die Städte und Dörfer annektiert. Das Ziel ist die Errichtung einer sunnitisch-islamistischen Diktatur. Erdoğan führt diesen Krieg mit dem Verrat der USA, er führt ihn mit der Duldung Russlands und Assads und er führt ihn mit der Unterstützung der europäischen Staaten, die zwar wissen, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt und die dennoch nichts tun.

Warum?

Wenn Erdoğan immer wieder versichert, die Kurden seien „eigentlich Brüder“ und es gehe „nur um die PKK“, sind sicher Zweifel geboten. Weshalb sollte dann z.B. die kurdische Sprache verboten werden? Dem türkischen Staat kann man mit seiner kemalistisch-nationalistischen Geschichte getrost Rassismus als Ursache für die Verfolgung alles Kurdischen unterstellen. Aber welchen Grund hätte die EU, hätte Deutschland dem türkischen Staat in diesem Punkt zu folgen? Ist es nur die Appeasement-Politik, die Türkei als strategischen Partner in der NATO zu halten? Geht es nur um wirtschaftliche Interessen, um Rüstungsgeschäfte, um den Flüchtlingsdeal?

Im Gegensatz zum anti-kurdischen Rassismus der Türkei haben die westlichen Länder bestimmt kein Problem mit „den Kurden“, wie auch die freundliche Zusammenarbeit mit dem Barzani-Regime beweist. Den sogenannten „westlichen Demokratien“ geht es um die Ziele und Inhalte einer kämpfenden Bewegung, angeführt von der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Sie ist deshalb auf den „Terrorlisten“, weil sie eben nicht nur für ein paar Rechte von Kurd*innen eintritt, sondern weil sie die Systemfrage stellt.

Begann der Kampf der PKK vor etwas mehr als 40 Jahren noch als nationaler Befreiungskampf mit dem Ziel eines kurdischen Nationalstaats, ließ man das etatistische Konzept nach dem Paradigmenwechsel fallen. Es wurden Lösungen jenseits von Staatlichkeit gesucht. Heute geht es um den Aufbau eines demokratischen und dezentralen Gesellschaftssystems, das sich an den Ideen des Demokratischen Konföderalismus und dessen Begründer Abdullah Öcalan orientiert: Basisdemokratie mit Rätestrukturen, Platz für alle religiösen und ethnischen Gruppen und ein Recht auf demokratische Selbstverwaltung. Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess, der vor allem von Frauen getragen wird. Das Ziel ist auch eine ökologische Wende, die sich vom fossilen Zeitalter verabschiedet und auf Regeneration statt Ausbeutung der Natur baut. Kurzum, überall dort, wo die Freiheitsbewegung Fuß fassen kann, wird eine Perspektive aufgezeigt für die zentralen Fragen unserer Zeit, für uns alle.

Die Revolution in Rojava ist zu einer gelebte Utopie geworden. Heute steht die Demokratische Föderation Nordostsyriens beispielhaft für die Vision eines friedlichen und demokratischen Mittleren Ostens. Sie ist für Menschen weit darüber hinaus eine Hoffnung für eine andere Gesellschaftsordnung. Der demokratische Aufbruch schafft, wozu Nationalstaaten nie in der Lage waren: ein gleichberechtigtes, demokratisches Zusammenleben jenseits von Ethnie, Konfession und Kultur auf der Basis der demokratischen Nation. In Nordsyrien geht es nicht darum, ein einheitliches Kurdistan aufzubauen, sondern das Ziel ist, die Völker des Mittleren Ostens im Rahmen eines konföderalen Systems zu vereinen.

Die feindliche Propaganda will gerne suggerieren, es gehe um einen Krieg der Kulturen, in dem Türken gegen Kurden kämpfen. Das ist Augenwischerei und verkennt, dass es ein Krieg der Systeme ist, der sich vor unseren Augen abspielt. Die autoritäre Zuspitzung, die wir global erleben, zeigt sich in Rojava brutal und ungeschminkt. Die reaktionären Kräfte unserer Zeit, die Putins, Trumps und Erdoğans ziehen an einem Strang, um das Rad der Zeit zurückzudrehen und Syrien ins Mittelalter zurück zu bomben, weil die Freiheitsbewegung die Machtfrage gestellt und bewiesen hat, dass ein Leben ohne Macht, Staat und Gewalt möglich ist.

Der Krieg in Rojava ist damit ein Angriff auf alle, die für eine demokratische und gerechtere Welt eintreten. Unsere Interessen werden heute nicht am Hindukusch, sie werden in Rojava verteidigt, nicht von der Bundeswehr, sondern von den kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten.

Ein Gesellschaftsmodell mit Selbstverwaltung, kollektivem Zusammenleben, Frauenbefreiung, radikaler Demokratie und ökologischem Wandel stellt eine permanente Bedrohung dar für die Hegemonie der kapitalistischen Moderne. Das ist der Grund, weshalb die PKK und ihr Vorsitzender Abdullah Öcalan isoliert, mundtot gemacht, kriminalisiert und bekämpft werden.

Es ist der alte Kampf der Systeme. Die DNA der Verbotspolitik gegenüber der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland ist dieselbe, wie die, die dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entziehen will, die die Rote Hilfe kriminalisiert und die Antifa zusammen prügelt. Die repressive Wende bemisst sich an der Inbrunst, mit der die Justiz die Solidarität mit der kurdischen Bewegung abstraft. Sie drückt sich aus in den Schikanen und Razzien. Und mit den neuen Polizeiaufgabengesetzen wird der rechtliche Rahmen konstruiert.

Wir fordern „Weg mit dem Verbot der PKK“ – nicht nur, weil wir uns mit dem Kampf gegen Kolonialismus und Unterdrückung in Kurdistan solidarisieren, sondern weil wir wissen: Die PKK ist die am besten organisierte und erfahrenste Bewegung für eine Transformation der Gesellschaft hin zu einer Demokratie von unten, zu demokratischen Selbstverwaltungen, zu einem kollektivem, solidarischen Leben.

Wir wissen aber auch, dass niemand dieser Forderung einfach so Gehör schenken wird. Wir haben gelernt: Alles muss erstritten werden. Am besten geht das, wenn es uns gelingt, die anti-systemischen Kräfte zu verbinden. Unser Kampf für eine Alternative zu Staat, Macht und Gewalt kann nur gemeinsam gewonnen werden. Dieser Kampf ist gleichermaßen antifaschistisch, antikapitalistisch, antimilitaristisch.“

Abschlusskundgebung in der Innenstadt

Nach der dreistündigen Busfahrt endete der antimilitaristische Ausflug mit einer Abschlusskundgebung in der Innenstadt und einem Die-In. Ein Redner vom „Bündnis für Frieden in Kurdistan“ fasste die Verantwortung der westlichen Industrienationen am völkerrechtswidrigen Angriff auf Rojava zusammen und rief zum Boykott der türkischen Tourismusbranche und türkischer Staatsbetriebe auf. „Jeder Euro an den türkischen Staat wandert in die Kriegskasse und finanziert Vertreibung, Besatzung und Völkermord.“

Die iL appellierte: „Lasst uns gemeinsam und solidarisch gegen die vielen verschiedenen Facetten gesellschaftlicher Militarisierung eintreten! Leisten wir gemeinsam aktiven Widerstand – Um es mit den Worten unserer kurdischen Freund*innen zu sagen- Berxwedan jiyan e! Widerstand heißt Leben!“