85-jährige Sisê Bingöl kommt frei

Nach 23 Monaten im Gefängnis kommt die Kurdin Sisê Bingöl endlich frei. Die wegen Terrorvorwürfen verurteilte 85-Jährige ist schwer krank und hat ihre Körperfunktionen zu 97 Prozent verloren.

Nach 23 Monaten im Gefängnis kommt die wegen Terrorvorwürfen verurteilte Sisê Bingöl endlich frei. Die Entlassung aus dem Frauengefängnis von Tarsus soll noch heute erfolgen. Die 85-jährige Kurdin ist im April 2016 in Gimgim (Varto, Provinz Muş) verhaftet und nach etwa dreimonatiger Untersuchungshaft aus gesundheitlichen Gründen aus dem Gefängnis entlassen worden. Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu titelte nach ihrer Festnahme: „Die Terroristin mit dem Codenamen Sisi wurde lebend gefasst”. Später wurde Sisê Bingöl wegen „wissentlicher und willentlicher Unterstützung einer verbotenen Organisation“ zu vier Jahren und zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Im April 2017 folgte die erneute Inhaftierung.

Vor vier Monaten wurde Sisê Bingöl nach öffentlichem Protest gegen ihre Inhaftierung zur medizinischen Behandlung und Prüfung ihrer Haftfähigkeit in das Universitätsklinikum Mersin eingeliefert. Im Befund der Klinik heißt es: „Sie hat ihre Körperfunktionen zu 97 Prozent verloren. Sie kann nicht im Gefängnis bleiben.“ Das gerichtsmedizinische Institut widersprach dem Gutachten und behauptete: „Bingöl versucht sich als krank darzustellen, sie kann im Gefängnis bleiben“ und verhinderte so ihre Freilassung. Die 85-Jährige leidet unter diversen somatischen Erkrankungen und zunehmenden kognitiven Störungen. Auf sich allein gestellt ist sie hilflos, im Gefängnis wurde sie rundum von ihren Mitgefangenen versorgt.

Das Gericht hat nun entschieden, den Rest der Strafe auszusetzen. Am Abend soll Sisê Bingöl aus dem Gefängnis entlassen werden.

Die betagte Frau ist laut Geburtsurkunde 76 Jahre alt. In den ländlichen Gebieten der Türkei und Nordkurdistans wurden bis in die 1970er Jahre viele Kinder nicht sofort nach der Geburt angemeldet, sondern wenn man „das nächste Mal” in die Stadt fuhr. Das konnte auch mal durchaus länger dauern. Das eingetragene Geburtsdatum lief daher eher auf ein Anmeldedatum hinaus.