29 Jahre Betätigungsverbot – 29 Jahre Demokratiedefizit
Am Samstag wird in Berlin gegen das PKK-Verbot demonstriert. Der Aktivist Michael Kaiser äußert sich im Interview dazu und erklärt, wieso das Verbot fallen muss.
Am Samstag wird in Berlin gegen das PKK-Verbot demonstriert. Der Aktivist Michael Kaiser äußert sich im Interview dazu und erklärt, wieso das Verbot fallen muss.
In Berlin findet am Samstag, dem 26. November, eine bundesweite Demonstration gegen das PKK-Verbot statt. Das folgende Interview wurde mit einem Mitglied der Initiative „PKK-Verbot Aufheben!“ geführt und zuerst in der Tageszeitung Yeni Özgür Politika veröffentlicht.
Dürfen wir dich kennenlernen? Wer bist du?
Hallo. Ich bin Michael Kaiser aus Berlin und ich bin Teil der Initiative „PKK-Verbot Aufheben!“.
Wir lassen das nun 29. Jahr des PKK-Verbots hinter uns, was kannst du uns dazu sagen?
29 Jahre PKK-Betätigungsverbot sind ein Skandal. Das Verbot besteht ein Jahr länger als ich selbst überhaupt auf der Welt bin. Dass sich in den 29 Jahren nichts geändert und nichts bewegt hat, ist sehr traurig. Denn die Situation in Kurdistan und vor allem die Politik der PKK hat sich massiv gewandelt, aber die deutsch-türkischen Beziehungen sind gleich geblieben. Dass das PKK-Verbot seit 29 Jahren besteht, zeigt, dass für die Bundesrepublik Deutschland seit 29 Jahren wirtschaftlich-politische Interessen mehr zählen als Menschenrechte. Heute wird in Deutschland ,wertegeleitete Außenpolitik' groß geschrieben. Dass das jedoch lediglich hohle Phrasen sind, sehen wir im Umgang Deutschlands mit der Türkei.
In diesen 29 Jahren wurden hunderttausende Kurd:innen kriminalisiert und waren von dem Verbot betroffen, was kannst du uns dazu sagen?
Das ist, denke ich, vor allem auch der Anlass, warum wir uns als Initiative „PKK-Verbot Aufheben!“ zusammengefunden haben. Es ist unglaublich, wenn man sich die Geschichten der Menschen anhört. Ich meine, klar, als weißer Deutscher, der ich auch hier sozialisiert wurde, bin ich mit vielen Privilegien groß geworden, aber ich habe schon früh gemerkt, wie stark der sogenannte „Alltagsrassismus“ hier in der Gesellschaft verankert ist. Als ich mich zu Beginn der Revolution in Rojava mehr auch mit der kurdischen Gesellschaft auseinander gesetzt habe, war das jedoch noch etwas ganz anderes. Auf der einen Seite der „Alltagsrassismus“, auf der anderen Seite türkische Nationalisten, die die Existenz der Kurd:innen leugnen, und dann noch oben darauf struktureller anti-kurdischer Rassismus, der auch von Behörden betrieben wird. Namen, die nicht vergeben werden dürfen, Hochzeiten, die von Polizeieinheiten gestürmt werden, und Demos, bei denen die Polizei stundenlang die Anmelder:innen schikaniert. Das waren die ersten Dinge, die ich kennengelernt habe. Als mir dann Leute berichteten, dass sie seit Jahrzehnten hier leben, ohne gesicherten Aufenthalt, dass sie wöchentlich Unterschriften bei der Polizei abgeben müssen oder dass sie sich nur in bestimmten Gebieten bewegen dürfen, dachte mir, ,Das kann doch nicht sein? Wir sind hier in Deutschland in einem freien Land?'. Ich musste jedoch merken, dass das ein Irrglaube ist. Der deutsche Staat macht sich zum Hund des türkischen Staates. Wenn hochrangige Minister:innen in die Türkei gehen, werden weniger Tage später hier Menschen festgenommen und Wohnungen durchsucht. Vereine, Verlage und Musikarchive werden geschlossen. In was für einem Rechtsstaat ist so etwas möglich? Wohl nur im türkischen und im deutschen. Aber das Krasse ist ja, wie sehr das Verbot auf alle Kurd:innen ausgeweitet wird. Unabhängig davon, dass ich persönlich den Kampf der PKK als absolut legitim und unterstützenswert empfinde. Alle Kurd:innen werden erst einmal unter Generalverdacht gestellt. Jeder Kurde ist potentieller Terrorist. Alles, was von Kurd:innen organisiert ist, ist eine potentielle Terrorveranstaltung, von Hochzeiten über Demos bis hin zu Konzerten. Was das mit der Psyche einer Gesellschaft macht, mag ich mir gar nicht vorstellen.
Was nicht unerwähnt bleiben sollte, ist auch die Tatsache, dass das PKK-Verbot tödlich ist. Mehrere Menschen wurden hier getötet, weil sie sich gegen das Demokratiedefizit PKK-Verbot eingesetzt haben. So zum Beispiel Halim Dener, der 1994 beim Plakatieren von hinten von einem Zivilpolizisten erschossen wurde. Ich denke, Halim ist bekannt, ich brauche wohl seine Geschichte nicht zu erzählen. Aber auch neben ihm gab es etliche, die sich durch das Verbot so in die Enge gedrängt gefühlt haben, dass sie ein Zeichen setzen wollten und sich bei lebendigem Leibe verbrannt haben. Ich denke, das sagt mehr als tausend Worte.
Zum 29. Jahrestag des PKK-Verbots findet am 26. November eine Demonstration in Berlin statt, was wird mit dieser Demo bezweckt?
Wir wollen auf das Verbot aufmerksam machen. Natürlich ist es unser Ziel, dass das Verbot fällt, das werden wir durch die Demo alleine leider nicht schaffen. Uns ist klar, dass auch wenn das Verbot für Kurd:innen Alltag ist, es in der deutschen Gesellschaft oft unbekannt ist. Wir wollen mit der Demo auf das Verbot aufmerksam machen und gleichzeitig darauf, warum es unangebracht ist. Wenn wir wirklich wollen, dass das Verbot fällt, dann braucht es zwei Sachen. Erstens; endlich einen offenen Diskurs über das Verbot, denn bisher ist das Verbot ein Tabuthema, etwas worüber nicht gesprochen wird. Zweitens; wir brauchen mehr Verbündete in die Zivilgesellschaft hinein, raus aus der kurdischen Gesellschaft und raus aus der deutschen Linken. Denn alleine sind wir isoliert, und um das zu durchbrechen, wollen wir die Demo nutzen.
Habt Ihr für die diesjährige Demo ein anderes Konzept als in den anderen Jahren?
Nicht wirklich. Für uns sind vor allem zwei Dinge wichtig. Erstens wollen wir mit vielen Menschen laufen und zweitens wollen wir dem deutschen Staat klar machen, dass er uns nicht mehr loswird. Wir werden so lange auf die Straße gehen, wie dieses unangemessene Verbot existiert. Darüber hinaus ist es uns vor allem wichtig, dass unsere Demo friedlich verläuft, dass es zu keinen Provokationen nicht wieder zu Szenen wie letztes Jahr am Oranienplatz kommt. Darauf haben wir einen Schwerpunkt in der Vorbereitung gelegt. Wir wollen friedlich und sicher bis zum Schluss laufen, damit unsere Forderungen im Vordergrund stehen.
Hast du einen Aufruf an die Menschen?
Gerade in diesem Jahr, da der Faschismus immer weiter um sich greift und immer aggressiver wird, ist es wichtiger denn je zusammenzustehen. In dieser krisenhaften Phase gibt es die Möglichkeit auf große Veränderung. Wie heißt es so schön: „Wir haben eine Welt zu gewinnen!“. Das ist aber etwas, dass wir nur gemeinsam schaffen können. Wenn wir wollen, dass das PKK-Verbot fällt, wenn wir wollen, dass die Repression der Palästinenser aufhört, wenn wir die rassistischen Ressentiments gegen Menschen aus Afrika usw. beseitigen wollen, dann müssen wir als Bevölkerung unsere Streitigkeiten beilegen und gemeinsam gegen das kämpfen, was der Ursprung allen Übels ist, der Staat!