1. Mai: Über 160 Festnahmen in Istanbul

Die türkische Polizei hat am 1. Mai nach offiziellen Angaben 164 Demonstrierende in Istanbul festgenommen. Sie hätten trotz Warnungen an einem nicht genehmigten Protest teilnehmen wollen, begründete das Gouverneursamt das Vorgehen.

Die türkische Polizei hat am 1. Mai nach offiziellen Angaben 164 Demonstrierende in Istanbul festgenommen. Sie hätten trotz Warnungen an einem nicht genehmigten Protest teilnehmen wollen, begründete das Istanbuler Gouverneursamt heute das Vorgehen.

Die Festnahmen erfolgten teils unter Anwendung von massiver Gewalt und richteten sich gegen Aktivistinnen und Aktivisten linker Strukturen. Die meisten Festnahmen ereigneten sich im Stadtviertel Şişli. Mitglieder der Revolutionären Partei (Devrimci Partisi) hatten sich an der Metro-Station Osmanbey getroffen, um mit einem Transparent mit der Aufschrift „Im Sozialismus liegt die Hoffnung – Es lebe der 1. Mai“ und türkischen und kurdischen Parolen zum symbolträchtigen Taksim-Platz zu laufen. Die Gruppe wurde von Polizisten eingekreist, knapp zehn Personen wurden unter Einsatz von Gewalt festgenommen und mit Handschellen auf dem Rücken abgeführt (ANF berichtete).

Auch zwei Journalist:innen wurden bei der Beobachtung der Demonstration festgenommen. Der MA-Korrespondent Doğan Kaynak und Rozerin Gültekin von der Frauennachrichtenagentur JinNews wurden in einen Polizeitransporter verfrachtet und ihnen wurden die Telefone abgenommen. Nach einer Weile wurden sie wieder freigelassen.


In Şişli-Harbiye wurden mehrere Dutzend Mitglieder des Bündnisses „Vereinigte Kampfkräfte“ (Birleşik Mücadele Güçleri, BMG) von der Polizei abgefangen, als sie versuchten, zum Taksim zu marschieren. Ebenso wurden Studierende auf dem Weg von Beşiktaş zum Taksim sowie Mitglieder der Gesellschaftlichen Freiheitspartei (TÖP) von der Polizei aufgehalten. Es kam zu mehreren Festnahmen, darunter die TÖP-Sprecherin Perihan Koca.

Platz weiträumig abgesperrt

Die Istanbuler Behörden hatten den Zugang zum Platz zuvor wie jedes Jahr weiträumig abgesperrt. Eine genehmigte Demonstration mit anschließender Kundgebung anlässlich des Internationalen Kampftages der Arbeiterklasse findet in Maltepe statt, unter den zahlreichen Teilnehmenden ist auch die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan. Seit den regierungskritischen Gezi-Protesten 2013 lässt die türkische Führung keine Mai-Demonstrationen auf dem Taksim-Platz mehr zu. Die Behörden gestatteten Gewerkschaftsvertretern lediglich, einen Kranz dort niederzulegen. Die Proteste 2013 hatten sich zunächst gegen die Bebauung des Gezi-Parks am Taksim gerichtet. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan aus. Die Regierung ließ die Proteste brutal niederschlagen.

Platz mit symbolischer Bedeutung

Der Taksim-Platz im Zentrum Istanbuls hat eine symbolische Bedeutung. Dort kam es am 1. Mai 1977 zu einem Massaker. An einer Demonstration zum Tag der Arbeit nahmen damals weit über 500.000 Menschen aus verschiedenen Provinzen des Landes teil. Viele von ihnen hatten den Platz noch nicht einmal betreten, als die ersten Schüsse fielen - abgegeben von Heckenschützen, die bei der Konterguerilla vermutet werden. Anschließend griffen Sicherheitskräfte mit gepanzerten Fahrzeugen an. Sie feuerten Gasgranaten ab und setzten Wasserwerfer ein. Panik brach aus. Die Zahl der Opfer ist immer noch ein umstrittenes Thema; nach offiziellen Angaben wurden 34 Menschen getötet und etwa 200 verletzt, linke Strukturen gehen von mindestens 37 Toten aus. Manche Menschen blieben auf der Stelle liegen, andere liefen weg, wurden in Ecken zusammengedrängt und von den gepanzerten Fahrzeugen überrollt. Über 500 Personen wurden festgenommen.