Interview mit Jan van Aken
Der Ko-Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, gibt im Interview mit der Zeitung Yeni Özgür Politika seine Einschätzung zu möglichen Entwicklungen der deutschen Politik infolge des Friedensaufrufs von Abdullah Öcalan ab. Der Linke-Spitzenpolitiker fällte hierbei harte Urteile Richtung Berlin und Ankara. Zu den aktuellen Ereignissen in der Türkei positioniert er sich klar: „Hier werden die Reste der türkischen Demokratie beseitigt, damit Erdoğan Präsident bleiben kann.“ Angesichts dessen müssten Taten folgen, so Van Aken: „Ein paar wirkungslose Appelle aus Berlin an die türkische Regierung allein reichen nicht aus.“
In seiner jüngsten Erklärung stellte Abdullah Öcalan die Auflösung der PKK und das Ende des bewaffneten Kampfes als historische Notwendigkeit dar. Wie bewerten Sie diese Forderung?
Abdullah Öcalan hat die Tür für einen Friedensprozess in der Türkei weit aufgestoßen. Sein Aufruf an die PKK, die Waffen niederzulegen, ist ein ernsthaftes und ehrliches Angebot für Verhandlungen. Die deutsche Bundesregierung sollte alles dafür tun, diesen Prozess zu unterstützen.
Was meinen Sie damit konkret? Welche Schritte kann die deutsche Regierung unternehmen? Was sind Ihre Erwartungen und Forderungen?
Zuerst einmal sollte die Bundesregierung alle Waffenlieferung an die Erdoğan-Regierung stoppen. Solange Erdoğan Kurdinnen und Kurden bombardiert, darf keine einzige Patrone geliefert werden. Jahrzehntelang wurden mit dem Verweis auf angebliche terroristische Aktivitäten oder Nähe zur PKK zigtausende politisch verfolgt, inhaftiert, wurden Bürgermeister in kurdischen Städten abgesetzt und Parteien und Medien verboten. Im Irak und in Nordostsyrien führte die Türkei immer wieder bewaffnete Angriffe durch und tötete gezielt Menschen mit Drohnen. Das muss umgehend aufhören.
Der Antrag auf Aufhebung des Verbots der PKK in Deutschland ist noch immer nicht beantwortet worden. Kann man auch in dieser Frage einen Schritt nach vorne erwarten?
Ich habe immer erklärt, dass es keinen objektiven Grund für so ein Verbot gibt, außer man will sich politisch an die Seite der türkischen Regierung stellen. Ich sehe momentan aber weder bei der CDU noch bei der SPD ernsthafte Bestrebungen, dass PKK-Verbot aufzuheben.
Das deutsche Außenministerium bezeichnete die Erklärung Öcalans als „historische Chance“ und erklärte sich bereit, den Prozess zu unterstützen. Das Innenministerium hingegen bezeichnete die PKK weiterhin als „terroristische Vereinigung“ und betonte, es gebe keinen Grund, das Verbot aufzuheben. Wie wird sich die deutsche Regierung Ihrer Meinung nach entscheiden?
Wie gesagt, bei den zukünftigen Regierungsparteien gibt es in der Frage kaum Bewegung. Spätestens seit 2015 schauen die deutschen Regierungsvertreter ängstlich nach Ankara. Deutschland und Europa brauchen Erdoğan. Er soll verhindern, dass Schutzsuchende über die Türkei in die EU einreisen. Das macht Europa und Deutschland erpressbar. Insofern erwarte ich da keine Initiative, die nicht mit Erdoğan abgestimmt ist, auch wenn es dringend geboten ist, ihm endlich die Stirn zu bieten.
Kann der Aufruf Öcalans als Rechtfertigung für die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland dienen?
Natürlich kann der Aufruf dazu dienen, dass unsinnige PKK-Verbot aufzuheben. Öcalan hat dazu aufgerufen, dass alle bewaffneten Gruppen ihre Waffen niederlegen sollen und die PKK sich auflösen muss. Soweit bekannt, sind ihm die PKK-Kämpferinnen und Kämpfer auch im Nord-Irak gefolgt. Gerade erst haben sich die Kurden in Syrien, die von Ankara ja als Ableger der PKK gesehen werden, mit der syrischen Übergangsregierung geeinigt und einen Friedensprozess in Gang gesetzt. Die nächste Bundesregierung sollte diese Prozesse unterstützen und das PKK-Verbot endlich aufheben.
Welche Verantwortung tragen Ihrer Meinung nach die Europäische Union und das Europäische Parlament für die Streichung der PKK von der Liste der terroristischen Organisationen?
Die PKK hat vor fast 30 Jahren in Europa jeglicher Gewalt abgeschworen, deshalb gibt es keinen Grund, sie als Terrororganisation zu behandeln. Die Rechtslage ist widersprüchlich. So hatte der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden, dass die EU keine ausreichenden Beweise vorgelegt hätte, um die PKK auf der Terrorliste zu belassen. Drei Jahre später kassierte das Gericht dieses Urteil. In Belgien hat das höchste Gericht 2020 entschieden, dass die PKK eine Partei in einem bewaffneten Konflikt ist und somit keine Terrororganisation. Die belgische Regierung weigerte sich jedoch, dem Urteil zu folgen. Das zeigt, dass das PKK-Verbot vor allem politische Gründe hat.
In Deutschland leben etwa eine Million Kurd:innen. Wie wird sich der positive Verlauf des Prozesses auf die in Deutschland lebenden Kurd:innen auswirken und welche Veränderungen sind im Hinblick auf ihre politischen Rechte zu erwarten?
Bislang hat Erdoğan den Terrorvorwurf gegen die PKK benutzt, um die gesamte kurdische Demokratiebewegung zu verfolgen. In den türkischen Gefängnissen sitzen ja nicht nur PKK-Kämpfer, sondern auch kurdische Politiker wie der ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş, dessen einziges Verbrechen es ist, die Macht Erdoğans zu gefährden. Ich bin noch skeptisch, ob und wie weit Erdoğan den Kurdinnen und Kurden tatsächlich entgegenkommen wird.
Haben Sie als Partei die Linke Pläne für Aktionen und Aktivitäten, um zu diesem Prozess beizutragen?
Wir werden als Partei und Bundestagsfraktion weiterhin Druck machen. Wir werden die Unterdrückung der Kurden in der Türkei und das PKK-Verbot auch in der nächsten Legislatur im Bundestag zur Sprache bringen und die Bundesregierung dazu zwingen, hier endlich Farbe zu bekennen.
Ende März wurde der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu verhaftet. Ist die Türkei jetzt endgültig auf dem Weg in die Diktatur?
Die Gefahr ist größer denn je. Erdoğan geht nicht mehr nur gegen Kurdinnen und Kurden vor, sondern gegen alle, die seine Macht bedrohen. Hier werden die Reste der türkischen Demokratie beseitigt, damit Erdoğan Präsident bleiben kann. Ein paar wirkungslose Appelle aus Berlin an die türkische Regierung allein reichen nicht aus. Es müssen jetzt auch Taten folgen. Oberstes Ziel muss es sein, die Demokratie in der Türkei zu retten. Je autokratischer sich Erdoğan gibt, desto unberechenbarer und gefährlicher wird er. Ein Autokrat wie Erdoğan ist kein verlässlicher Verhandlungspartner, weil er jede Vereinbarung aufkündigt, wenn es ihm in den Kram passt. Schon allein das ist ein starkes Argument für eine demokratische Türkei.
Hinweis: Das Interview mit Jan van Aken wurde im März 2025 geführt, eine türkischsprachige Übersetzung kann auf der Webseite von Yeni Özgür Politika nachgelesen werden. Titelfoto © Die Linke