Forderung in Amed: Kurdisch als Amts- und Bildungssprache einführen

In Amed hat anlässlich des Tages der kurdischen Sprache eine Demonstration stattgefunden. Die zentrale Forderung lautete: Kurdisch als Amts- und Bildungssprache in der Türkei.

Trotz Einschüchterungs- und Behinderungsversuchen durch die türkischen Sicherheitsbehörden sind in Amed (tr. Diyarbakır) zahlreiche Menschen aus Anlass des Tages der kurdischen Sprache auf die Straße gegangen. Seit 2006 gilt der 15. Mai als Tag der kurdischen Sprache. Das Datum geht auf die erste Herausgabe der Zeitschrift Hawar im Jahr 1932 zurück. Die im syrischen Damaskus herausgegebene Zeitschrift wird als Schule des kurdischen Verlagswesens angesehen und spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte der kurdischen Sprache.

Aufgerufen zu der Demonstration mit anschließender Kundgebung hatten die Kurdische Sprachplattform und das Netzwerk für Sprache und Kultur. Die zentrale Forderung der Organisationen ist die Einführung von Kurdisch als Amts- und Bildungssprache in der Türkei. „Wenn ein gemeinsames Leben von Türken und Kurden wirklich gewünscht ist, so kann dies nur durch die Beseitigung aller Hindernisse für die kurdische Sprache geschehen“, sagte der Historiker und Autor Şerefxan Cizîrî, der als Hauptredner auftrat. Cizîrî, der zugleich Sprecher der Kurdischen Sprachplattform ist, wies zunächst auf die Bedeutung von Sprache für die Existenz von Kulturen und Gesellschaften hin. Im weiteren Verlauf sprach er die Unterdrückungs- und Assimilationspolitik des türkischen Staates an.

Şerefxan Cizîrî (am Mikrofon) ist in Qamişlo/Rojava geboren und im gegenüberliegenden Mêrdîn aufgewachsen. Er studierte unter anderem in Schweden, wo er lange Jahre lebte, und war dort stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Huddinge.


„Seit bald einem Jahrhundert dauert dieser Zustand, dass die vorherrschende Politik unserem Volk sein legitimes Recht auf Muttersprache verweigert, bereits an“, so Cizîrî. Die Basis dessen dürfte auf das Idealbild der Republikgründer und ihren Erbfolgern zurückzuführen sein, das auf „ein Land, ein Volk, eine Nation, eine Sprache, eine Geschichte, eine Religion und eine Klasse“ lautet. Noch 1979 hieß es im offiziellen Wörterbuch der staatlichen Sprachgesellschaft TDK (Türk Dil Kurumu) zur Erklärung des Wortes „Kurde“: „Name einer Gemeinschaft oder Angehöriger dieser Gemeinschaft türkischer Herkunft, die ihre Sprache verloren hat, eine degenerierte Form des Persischen spricht und in der Türkei, im Irak und Iran lebt.“

Sogenannte Kurdenpolitik Ursache für tiefe Spaltungen und Krieg

„Doch diese Politik der Verleugnung, Verleumdung und Diskriminierung des kurdischen Volkes war und ist die Ursache für tiefe Spaltungen und Krieg“, hob der Historiker hervor und erinnerte an Tötungen von Kurdinnen und Kurden allein wegen der Nutzung ihrer Muttersprache. Erst vor zwei Jahren war in Ankara ein 20-Jähriger von türkischen Rassisten ermordet worden, weil er auf dem Balkon seiner elterlichen Wohnung kurdische Musik gehört hatte. Immer wieder kommt es in der Türkei zu rassistisch motivierten Angriffen auf kurdischstämmige Menschen.

„Freie Sprache bedeutet freies Leben“ - Die Parolen auf den Schildern waren in den kurdischen Varietäten Kurmancî und Kirmanckî (auch Zazakî, Dimilkî oder Kirdkî genannt) verfasst.


„Diese Unterdrückung und Diskriminierung unserer Sprache und Kultur muss beendet werden“, fordert Şerefxan Cizîrî. Die kurdische Gesellschaft rief der Historiker mit Blick auf die türkische Sprachpolitik auf, ihre Muttersprache zu pflegen. Denn durch die Versuche des Staates, nicht-türkische Ethnien insbesondere sprachlich zu assimilieren, hat zu einer Gefährdung der Vitalität des Kurdischen geführt. laut einer aktuellen Studie der in Amed ansässigen Zentrums für gesellschaftspolitische Feldstudien würden mehr als 31 Prozent von über 2.600 Befragten mit Kindern unter 18 Jahren kein Kurdisch sprechen. Laut Cizîrî müsse jedes Haus, jedes Dorf und jedes Viertel in eine „kurdische Sprachschule“ verwandelt werden. „Der Staat sollte wissen, dass wir auf die Forderung, unsere Muttersprache als Amts- und Bildungssprache in diesem Land einzuführen, nicht verzichten werden. Unser Ziel ist die Durchsetzung von Kurdisch in Ämtern, Schulen und allen anderen Bereichen des Lebens. Dafür werden wir uns engagieren.“

Sitzstreik in Istanbul nach Demonstrationsverbot

Neben Amed fanden auch in weiteren Städten Veranstaltungen anlässlich des 15. Mai und für die Einführung des Kurdischen als offizielle Sprache statt. In Istanbul hatte das Institut für kurdische Studien (ehemals Kurdisches Institut) eine Demonstration im Bezirk Kartal organisiert. Der Protest wurde allerdings von den Behörden verboten. Daraufhin veranstaltete die Einrichtung einen Sitzstreik. Die HDP-Abgeordnete Meral Danış Beştaş verurteilte das Demonstrationsverbot. „Wie groß muss die Furcht dieses Staates und seiner Behörden vor unserer Muttersprache sein, wenn eine Zusammenkunft wie diese von Wasserwerfern und Polizeifahrzeugen eingekesselt wird?“, fragte die Politikerin.

Jahrzehntelang verboten

Die kurdische Sprache gehört weltweit zu den wenigen Sprachen, deren Nutzung jahrzehntelang als Straftat galt und deshalb geahndet wurde. Bis 1991 war in der Türkei ein striktes Sprachverbotsgesetz in Kraft, das Kurdisch in allen Lebensbereichen unter Strafe stellte – ein Verbot kurdischer Namen miteingeschlossen. Zwar wurde das Gesetz aufgehoben und die Reformpakete im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen ließen zunächst eine gewisse Lockerung erhoffen. Doch in der Praxis wird die kurdische Sprache weiter diskriminiert und ihre Nutzer:innen werden mit Repression überzogen. Auch das 2013 offiziell abgeschaffte Verbot der Buchstaben Q, W und X aus dem kurdischen Alphabet dauert faktisch an.