Özgür: Das türkische Militär steckt im Zap fest

Die Guerillakommandantin Hêzil Özgür erklärt zur Situation in der südkurdischen Zap-Region: „Die türkische Armee ist verwirrt und tut sich schwer herauszufinden, wo sie was an welcher Stelle tun soll. Sie steckt im Zap fest.“

Am 17. April begann nach massiven Luftschlägen eine Bodenoperation der türkischen Armee in den Regionen Zap und Avaşîn in den Medya-Verteidigungsgebieten in Südkurdistan. Hêzil Özgür, eine der Kommandantinnen der Frauenguerilla YJA Star, beschreibt im ANF-Interview die Lage der türkischen Armee als verzweifelt. An den Stellen, an denen Truppen abgesetzt werden konnten, verschanzen sich die Soldaten hinter Stacheldraht, Sensoren, Kameras und Hunden. Özgür berichtet: „Die Freund:innen neutralisieren diese Maßnahmen und greifen den Feind an. Sie töten und verletzen Soldaten und nehmen ihnen ihre Ausrüstung ab.“


Hatten Sie diesen neuen Invasionsversuch erwartet?

Der türkische Staat wollte mit seinen Invasionsangriffen im vergangenen Jahr in kurzer Zeit Erfolge erzielen, aber als er in Avaşîn besiegt wurde, vertagte er sich auf das Jahr 2022. Nach dem Vorgehen im vergangenen Jahr war klar, dass die Angriffe in diesem Jahr weitergehen würden. Wir wussten, dass sich in diesem Jahr ein umfassenderer Angriff entwickeln würde, weil die faschistische AKP/MHP-Regierung ihre Macht und Herrschaft durch Krieg aufrecht erhält.

Waren Sie in diesem Sinne vorbereitet?

Seit Jahren werden in der Zap-Region Vorbereitungen für den aktuellen Krieg getroffen. Die Kriegstunnel sind sehr gut vorbereitet worden. Es wurde daran gearbeitet, das Gelände noch besser zu nutzen. Aber am wichtigsten war es zu sehen, wie wir dem Feind entgegenwirken können. Wir haben uns auf jeder Ebene, im Herzen und Verstand, darauf vorbereitet. Daher haben alle in dem entsprechenden Maß reagiert, als versucht wurde, die Region am Boden anzugreifen.

Die türkische Armee begann am 17. April nach drei Tagen intensiver Luftangriffe mit dem Versuch, Truppen abzusetzen. Welche taktischen Überlegungen standen dahinter?

Tatsächlich war der Name, den der türkische Staat der Invasionsoffensive gab, seine Taktik (Pençe-Kilit – Klauen-Schloss). Es ging also um Folgendes: Der gesamte Zap sollte umzingelt werden, die strategischen Gipfel, welche die Region umgeben, sollten besetzt werden; es sollte keinen Weg mehr aus der Region geben. Die Truppen sollten in der ersten Nacht abgesetzt und dort stationiert werden. Vom Kuro Jahro im Süden über die Almen zwischen Şîkefta Birîndara und dem Karker-Gipfel bis nach Werxelê, Çiyayê Reş und so weiter … Es ging darum, den Zap unter Kontrolle zu bringen und die Guerilla zu neutralisieren. Mit Aufklärungsflügen, Bombern und Artillerieangriffen dachte man, den Weg für einen solchen Angriff ebnen zu können.

Ist das dann geschehen?

Nein, der Feind hat sich verkalkuliert. Es war nicht so, wie er es vermutet hatte.

Der türkische Staat kämpft sei Jahren gegen Sie, wie kann er nicht wissen, dass es nicht so einfach werden würde?

Tatsächlich wusste er sicher in gewisser Weise, dass Zap kein so einfacher Ort für ihn ist, dass er nicht kommen und sich einfach so festsetzen könnte, wann immer er wollte. Beide Seiten haben ihre Geschichte in der Zap-Region. Aufgrund dessen setzte der türkische Staat all seine Einheiten auf einmal ein, so sollte Stärke gegenüber der Guerilla gezeigt und ihr Bewegungsspielraum eingeschränkt werden. Der schwere Krieg auf der Grundlage von Technik und die psychologische Kriegsführung waren ebenfalls darauf ausgerichtet. 50 Bomber wurden permanent eingesetzt, es fanden ständig Aufklärungsflüge statt und die Artillerie schoss ohne Pause, um dieses Ziel zu realisieren. So sollte die Guerilla in Angst und Schrecken versetzt werden. Ein weiterer Aspekt betraf die eigenen Soldaten.

Welcher war das?

Die Soldaten sollten psychisch aufgebaut werden, indem man ihnen sagt: „Wir haben all ihre Höhlen zerstört, wir bombardieren jeden Tag.“ Die türkische Armee setzte so viele Kampfjets und Technik ein, um ihren Soldaten etwas Vertrauen zu geben. Den Soldaten, die in die massiv bombardierten Gebiete gebracht werden sollten, wurde gesagt: „Hier gibt es keine Guerilla mehr.“ Inzwischen gibt keinen Ort im Zap mehr, der nicht bombardiert worden ist. Ohne Aufklärungsflüge ist das Militär trotzdem aus Angst nicht in der Lage, sich zu bewegen.

Seit 26 Tagen wird gekämpft. Bei wem liegt die Initiative?

Die Initiative liegt in den Händen der Freund:innen. Natürlich ist dieser Krieg nicht einfach, die Schwierigkeiten sind vielfältig und es werden Opfer gebracht. Wir kämpfen mit unserem Willen bewaffnet gegen die weltweit fortschrittlichste NATO-Technik. Darüber hinaus agiert unser Feind vollkommen unmoralisch und gegen jedes Kriegsrecht. Das Opferbereitschaft unserer Freund:innen im Feld ist eine Quelle des Stolzes für uns. Sie verdient großen Respekt. Die Freund:innen sind entschlossen, den Feind im Zap zu brechen, denn sie kennen die Bedeutung des Zap für ganz Kurdistan. Dieser Staat basiert auf der Feindschaft den Kurdinnen und Kurden gegenüber aufgebaut. Er hält sich am Leben, indem er sich auf Verräter, Kollaborateure und Abschwörer stützt. So sollen die Kurd:innen, die frei leben wollen, ausgelöscht werden. Wir sind Kurd:innen, die mit ihrem freien Willen darum kämpfen, in einem freien Kurdistan zu leben, und nicht wollen, dass uns jemand beherrscht. Rêber Apo [Abdullah Öcalan] wird gefoltert, da er diese Politik des türkischen Staates, mit der er zur Aufgabe gezwungen werden soll, ablehnt. Wir ziehen Kraft aus dem apoistischen Paradigma. Wer im Rahmen der apoistischen Ideologie agiert, gilt ohnehin als Feind für den türkischen Staat.

Zurück zur Vorbereitung der Guerilla und der Art und Weise, wie sie der türkischen Armee vom ersten Moment an entgegentrat. Was ist geschehen?

Wir sind uns des Zwecks, der Gier und des Hasses bewusst, mit denen der türkische Staat Zap angreift. Er steht unserem Volk, allen seinen Werten, der Region und ihrer Natur und allen Lebewesen in ihr feindlich gegenüber. Er brennt unsere Bäume voller Hass nieder. Auf eine einzige unserer Freundinnen können zehn schwere Bomben abgeworfen werden.

Es wurden Maßnahmen im Gelände getroffen. Als die Besatzer dort ankamen, explodierten Sprengfallen, welche die Freund:innen gelegt hatten. Die Freund:innen haben alle möglichen Aktionsformen gegen die Invasionstruppen umgesetzt. Das reicht von Attentaten bis zur Sabotage, von Infiltration bis hin zum Angriff mit schweren Waffen. Es wurden alle Taktiken und die uns zur Verfügung stehenden Waffen eingesetzt. Daher erlebte der Feind einen Riesenschock, als er in der Region ankam. Man hatte den Soldaten ja gesagt: „Sie werden in den Höhlen sein, und wir werden um sie herum landen, und wir werden es ihnen nicht erlauben, den Kopf zu heben.“ Sie wussten nicht, welche Vorbereitungen wir vor Ort getroffen hatten, wie wir positioniert waren und auf welche Weise wir in der Lage waren, direkt zu intervenieren, sobald sie kamen. Manche militärischen Details teilen wir auch nicht öffentlich. Wo immer der Feind seine Soldaten absetzte, wurde er von unseren Freund:innen angegriffen. Er konnte weder in Ruhe Truppen absetzen noch konnte er sich einfach so mit seinen Kobra-Kampfhubschraubern in der Region bewegen. Aus diesem Grund befindet sich die türkische Armee im Zap in einer äußerst misslichen Lage.

Konnten denn nirgends Truppen abgesetzt werden?

Es gibt einige Orte, wo sie Truppen abgesetzt haben, das stimmt. Wenn sie sich den Eingängen der Kriegstunnel nähern, schießen unsere Freund:innen von draußen und verhindern so die Annäherung an die Tunnel. Der Feind setzt Chemiewaffen und große Mengen Sprengstoff ein, um manche Orte zu besetzen. Wie im vergangenen Jahr werden jeden Tag gegen die Kriegstunnel Chemiewaffen und schwere Bomben eingesetzt. Der Krieg hier dauert nun 26 Tage. Wo Truppen abgesetzt wurden, können sie sich keinen Schritt bewegen. Sie sind vollkommen bewegungsunfähig.

Die Türkei verfügt über eine riesige Luftwaffe und setzt Chemiewaffen ein, warum soll die Armee dann feststecken?

Das liegt daran, dass die Soldaten an einigen Orten zwischen zwei Fronten der Freund:innen festsitzen. Wir haben sie umzingelt. Die Soldaten sind inmitten der Guerilla gefangen. Freund:innen feuern von allen Seiten auf sie. Wo Kobras aufsteigen, schlagen die Freund:innen zu. Sie verhindern, dass Truppen abgesetzt werden. Die Soldaten, die im Gelände abgesetzt werden, umgeben sich mit Kameras, Hunden, Sensoren und Stacheldraht. Wir neutralisieren alle diese Maßnahmen, die die Soldaten schaffen, um dort bleiben zu können. Die Freund:innen greifen den Feind an, töten und verletzen Soldaten und nehmen ihnen ihre Ausrüstung ab. Die türkische Armee ist verwirrt und bemüht sich darum, klar zu bekommen, was sie wo tun soll. Dutzende Male täglich werden diese Gebiete bombardiert.

Behindern diese Angriffe die Guerilla nicht? Gibt es deswegen keine Gefallenen?

Wir haben Vorkehrungen getroffen. Letztes Jahr haben wir untereinander diskutiert, wo unsere Mängel lagen. Wir haben im vergangenen Jahr Erfahrungen gemacht und in diesem Jahr auf dieser Grundlage Unzulänglichkeiten korrigiert. Aus diesen Erfahrungen haben wir Schlüsse gezogen und bestimmte Veränderungen durchgeführt. Trotz der Tatsache, dass so viele Bombardierungen stattfanden, ist bei diesen Luftangriffen niemand von uns gefallen. Alle unsere Gefallenen sind an der Front, im Kampf gestorben. Wir neutralisieren die Technik, auf die der Feind so sehr vertraut. Das ist der Grund, warum er Chemiewaffen einsetzt. Wenn Chemiewaffen gegen Kurd:innen eingesetzt werden, dann sagt niemand etwas. Die internationalen Mächte, Institutionen und Staaten wissen, dass der türkische Staat chemische Waffen einsetzt, aber sie schweigen.

Wie schafft es die Guerilla, gegen diese Übermacht des von der NATO hochgerüsteten türkischen Staates nicht nur militärisch, sondern auch psychisch zu bestehen?

Wir sind auf unserem Land, wir sind in unserer Heimat, aber sie sind Eindringlinge. Unter uns gibt es echte Genossenschaftlichkeit und Hingabe. Das Bewusstsein über den Feind, die Überzeugung und die Moral verschmelzen. Wir ziehen unsere Stärke aus unserer Ideologie, aus dem Apoismus, aus unserer organisierten Struktur, aus unserem widerständigen Volk. Wenn wir unser Volk auf den Straßen in Aktion sehen, dann gibt uns das große Kraft. Wir sind loyal gegenüber dem Vermächtnis unserer Gefallenen und unserem Siegesversprechen an sie. All das macht für uns die Technik des Feindes, seine Angriffe und seine Soldaten kleiner. Es motiviert, ihn nicht zu fürchten, sondern ihm gegenüber eine überlegene Position zu erreichen.

Abschließend möchten wir nach der Leistung der Frauenguerilla YJA Star im Kampf fragen. In den täglichen Bilanzen sehen wir sowohl ihre Führungsrolle und die autonomen Frauenaktionen. Könnten Sie darüber etwas erzählen?

Die YJA Star hat sich auf der Grundlage der Erfahrungen des letzten Jahres, der Entschlossenheit und Kraft, die sich am 8. März überall manifestierte, auf eine Führungsrolle im Kampf vorbereitet. Diese Rolle wurde uns insbesondere von den im Zap gefallenen Freundinnen Mizgîn, Viyan, Şaristan und Zîlan übergeben. Die YJA Star führt den aktuellen Prozess an. Der Krieg am Kuro Jahro zum Beispiel wurde ausschließlich von Freundinnen geführt. Es handelte sich um Aktionen der YJA Star. Auch in Werxelê und in Xakurke war die Teilnahme der YJA Star auf höchstem Niveau. Die Frauen beteiligen sich mit ihrer Eigenheit und ihrem Willen an diesem Krieg. Die YJA Star führt diesen Krieg an und hat die moderne Kriegsführung auf professionellem Niveau angenommen. Sie hat bei allen Waffen, Taktiken und Spezialisierungen Kenntnisse auf höchstem Niveau erlangt. Voller Mut wird der Feind überrannt. Als YJA Star sind wir uns der Verantwortung bewusst, die auf den Schultern der Freundinnen im Krieg lastet. Deshalb haben wir bereits vor dem Angriff ein Siegesversprechen abgegeben. Die Linie von Frauen wie Bêrîtan, Zîlan, Viyan und Sara wird heute mit allen Mitteln auf dem Schlachtfeld gelebt. Die Freund:innen vertreten mit ihrer Opferbereitschaft, ihrem Mut und ihrer Beteiligung nicht nur diese Linie, sie tragen sie zu neuen Höhepunkten.

Erst vor kurzem haben die Freund:innen einen Sikorsky-Transporthubschrauber abgeschossen. Das ist kein gewöhnliches Ereignis. Wir haben keine NATO-Taktik. Auch mithilfe der Kobra-Kampfhubschrauber können keine Truppen abgesetzt werden. Es sind um die 400 Soldaten gestorben. Wir werden den Besatzern nicht erlauben, sich wie gewünscht im Zap niederzulassen. In der kommenden Periode wird das Kriegsniveau weiter steigen. Unser Volk verdient jetzt ein freies Leben. Aus diesem Grund opfern wir uns. Wir werden tun, was immer nötig ist. Wir sind davon überzeugt, dass wir den türkischen Staat im Zap besiegen werden. Wir werden unseren Gefallenen würdig sein.