Sebahat Tuncel: „Mein Leben als politische Geisel von Erdoğan"

Die kurdische Politikerin Sebahat Tuncel befindet sich seit sieben Jahren in der Türkei im Gefängnis. In der italienischen Zeitung La Stampa ist ein Interview mit ihr unter dem Titel „Mein Leben als politische Geisel von Erdoğan" erschienen.

Unter dem Titel „Mein Leben als politische Geisel von Erdoğan" ist in der italienischen Zeitung La Stampa ein Interview mit Sebahat Tuncel erschienen. Die kurdische Politikerin ist eine der Pionierinnen der Frauenbewegung und ehemalige Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP) im Parlament der Türkei. Sie wurde 2016 verhaftet und befindet sich seitdem in der Haftanstalt Sincan. Die Journalistin Valentina Ruggiu hat das Interview schriftlich geführt. La Stampa ist eine der bekanntesten und verbreitetsten Tageszeitungen Italiens mit einer liberal-konservativen Ausrichtung. Wir veröffentlichen Ausschnitte des kurz vor der Wiederwahl von Erdoğan geführten Interview in deutscher Übersetzung.

Zunächst einmal danke ich Ihnen für diese Gelegenheit. Wie geht es Ihnen? Wie behandelt man Sie im Gefängnis?

Ich danke Ihnen, dass Sie uns die Möglichkeit geben, uns unter diesen schwierigen Bedingungen in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Ich weiß nicht, wie ich auf die Frage, wie es mir geht, antworten sollte. Ich würde sagen, dass ich bei guter Gesundheit bin, aber „gut" im weitesten Sinne und in Anbetracht der Bedingungen, unter denen wir leben. Aus diesem Grund halte ich es für angemessener, über einige der Probleme zu schreiben, mit denen wir konfrontiert sind, und es Ihnen zu überlassen, zu beurteilen, wie es uns in diesem Rahmen geht.

Sebahat Tuncel, Gültan Kışanak und Selma Irmak im Gefängnis (Archiv)

Um zu verstehen, wie es um die Demokratie in der Türkei bestellt ist, genügt ein Blick. Tausende kurdische Politiker:innen, Aktivist:innen, Journalist:innen und Aktivistinnen der Frauenbewegung werden zu Unrecht in Gefängnissen „als Geiseln" gehalten. Die kleinste Forderung nach Rechten wird als Grund für Festnahme und Verhaftung benutzt. Die antikurdische Politik wird in den Gefängnissen fortgesetzt. Gemäß dem türkischen Vollzugsgesetz wird die Freilassung von Hunderten Kurd:innen verzögert, obwohl die Strafe bereits vollstreckt ist. Wir sind mit diskriminierenden Praktiken konfrontiert. In den Gefängnissen haben beispielsweise politische Gefangene das Recht auf ein zehnminütiges Telefongespräch mit Angehörigen, während andere Gefangene ein dreißigminütiges Videotelefonrecht erhalten.

In allen Gefängnissen wird die Isolierung und Absonderung praktiziert, die auf der Insel Imrali begonnen hat. Das Recht auf wöchentlich zehn Stunden Unterhaltung und Sport wird für politische Gefangene nirgendwo vollständig umgesetzt. Während die Justizgefangenen im Zuge der Pandemie freigelassen wurden, waren die politischen Gefangenen einer strengen Isolierung und Absonderung ausgesetzt. Nach der Pandemie wird das Recht auf Unterhaltung und Sport nicht umgesetzt, weil die räumlichen Bedingungen nicht ausreichen und die Gefängnisse über ihre Kapazität hinaus voll sind.

Die Gefangenen werden mit Handschellen gefesselt und auf dem Weg von und zu Krankenhäusern stundenlang in den Transportern gehalten. In einigen Fällen wird eine Behandlung in Handschellen angeordnet. Die Praxis des doppelten Anlegens von Handschellen, d.h. die Gefangenen werden mit Handschellen aneinander gefesselt, wie etwa in Amed (Diyarbakır) ist Folter. Der Bedarf an Krankenstationen in den Gefängnissen ist nicht gedeckt und es gibt nicht genügend medizinisches Personal. Wer gegen die Praktiken der Gefängnisverwaltung Einspruch erhebt, riskiert Disziplinarstrafen (Besuchsverbot, Einschluss in Einzelhaftzellen und das Verbot bestimmter Aktivitäten) und gerichtliche Schikanen. Ich wurde zu einem Jahr und drei Monaten verurteilt, weil ich gegen die Ungerechtigkeit im Gefängnis protestiert habe. Kranke Gefangene werden aufgrund des politischen Ansatzes der Gerichtsmedizin nicht entlassen, und aus diesem Grund starben im Jahr 2022 75 Menschen im Gefängnis.

Kurz gesagt, das tägliche Leben in türkischen Gefängnissen ist ein Kampf des Willens. In dem Gefängnis, in dem wir uns befinden, müssen wir vielen Problemen fertig werden: Mit wöchentlichen Durchsuchungen, einer 24-Stunden-Überwachung mit Kameras in den Gemeinschaftsräumen und der Belüftung, so dass sie die Badezimmer- und Toilettentür sehen können, mit dem Problem einer gesunden Ernährung und mit dem Bedarf nach Reinigungs- und Hygieneartikeln, die für Frauen nicht ausreichend oder in einigen Gefängnissen gar nicht zur Verfügung gestellt werden. In den Gefängnissen der Türkei gelten zwei Regeln. Erstens: Der Staat hat immer Recht. Zweitens, wenn die Gefangenen im Recht sind, gilt der erste Punkt.

Haben Sie die Möglichkeit, den Wahlkampf zu verfolgen? Was denken Sie über das, was vor sich geht?

Leider ist es im Gefängnis nicht möglich, den Wahlprozess und die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu verfolgen. Wir können die Nachrichten nur über die Fernsehkanäle und die vom Gefängnis zugelassenen Zeitungen verfolgen. Oppositionsmedien sind im Gefängnis nicht zugelassen, weil sie „die öffentliche Sicherheit bedrohen" oder weil sie keine Anzeigen vom Presseverband erhalten (der keine Anzeigen für oppositionelle Zeitungen schaltet). Die einzige Möglichkeit sind die regierungsnahen Medien. Sie haben vielleicht bemerkt, dass diese Medien nicht alle politischen Parteien und Kandidat:innen gleich behandeln und dass sie die Wahlwerbung der HDP und der Grünen Linkspartei nicht ausstrahlen. Den Kandidat:innen der Grünen Linkspartei wurde nur in ein oder zwei Sendungen Platz eingeräumt. Auf der anderen Seite strahlen regierungsnahe Zeitungen, Fernsehsender und Radios antikurdische Sendungen aus, in denen die Kurd:innen kriminalisiert werden. Wir versuchen die richtigen Informationen durch unsere Besuche oder wöchentliche zehnminütige Telefongespräche zu erhalten.

Wie viele Jahre haben Sie bisher im Gefängnis verbracht? Ich habe gesehen, dass die Anschuldigungen der Regierung gegen Sie fast jeden Tag zunehmen.

Dies ist mein siebtes Jahr im Gefängnis, und wie lange wir im Gefängnis bleiben werden, hängt von den politischen Entwicklungen in der Türkei ab. Neunzig Prozent der Verfahren gegen kurdische Politiker:innen sind politisch motiviert. Die Unabhängigkeit von Legislative, Exekutive und Judikative ist in der Türkei nicht mehr gegeben. Da der Rechtsmechanismus zu einem Instrument der Regierung zur Unterdrückung der Opposition geworden ist, wird der Gerechtigkeit nicht Genüge getan. In der Türkei beruhen 70 bis 80 Prozent der Anträge an das Verfassungsgericht und den EGMR auf der Forderung nach einem fairen Verfahren.

Sebahat Tuncel vor ihrer letzten Verhaftung

Durch die Politisierung der Justiz in der Türkei ist die Vorhersehbarkeit von Prozessen nicht mehr gegeben. In seiner jetzigen Form hat das türkische Justizsystem uns Kurd:innen aus dem „normalen" Rechtssystem ausgeschlossen. Außerdem wird uns de facto die Staatsbürgerschaft entzogen. Türk:innen, türkische Politiker:innen haben das Recht auf politische Freiheit, auf Organisationsfreiheit und auf Handlungsfreiheit. Wenn es um kurdische Politiker:innen, kurdische Frauen und Jugendliche geht, lautet die Rechtfertigung „Mitgliedschaft in einer Organisation".

Kurdische Politiker:innen werden wegen ihrer Reden, Bürgermeister:innen wegen ihrer Verdienste und kurdische Journalist:innen wegen ihrer Nachrichten festgenommen und inhaftiert. Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit, grundlegende Menschenrechte und verfassungsmäßige Rechte werden usurpiert. Aus diesem Grund werden ich und unsere ehemaligen HDP-Vorsitzenden, Abgeordneten und Ko-Bürgermeister:innen seit fast sieben Jahren zu Unrecht als „Geiseln" gehalten.

Das letzte Mal wurden Sie 2016 bei einer Demonstration zur Unterstützung der verhafteten HDP-Abgeordneten verhaftet. Würden Sie es wieder tun, wenn Sie zurück wären?

Im Gefängnis hat man viel Zeit zum Nachdenken, zum Hinterfragen des eigenen Handelns, um Rechenschaft darüber abzulegen, was man getan hat und was man nicht tun konnte. Ich würde es wieder tun, wenn ich zurückblicke. Ja, ich wurde aufgrund von Solidarität festgenommen und verhaftet. Der Grund, warum wir im Kobanê-Prozess, der derzeit vor dem 22. Staatsgerichtshof in Ankara verhandelt wird und in dem der HDP-Vorstand, Abgeordnete, Ko-Bürgermeister:innen und Aktivistinnen der Frauenbewegung vor Gericht stehen, ist der Aufruf zur Solidarität mit den Menschen in Kobanê, die sich gegen die Brutalität der IS-Banden wehrten. Wegen dieses Aufrufs fordert der Staatsanwalt siebenmal erschwerte lebenslängliche Haft, zweimal lebenslänglich und 134 Jahre für uns. Aber wenn ich zurückblicke, würde ich mich immer noch gegen die Gräueltaten des IS stellen und mich mit den Menschen in Kobanê und Rojava solidarisieren.

Sie wurden 2007 aus dem Gefängnis heraus zum ersten Mal Abgeordnete, aber ich habe gelesen, dass Sie bereits eine lange Geschichte des Aktivismus und der Politik haben. Warum haben Sie schon in sehr jungen Jahren damit angefangen, welche Themen haben Ihr Interesse geweckt? Gab es eine Person, die Sie inspiriert hat?

Ich stamme aus einer politischen Familie: Wir haben Familienmitglieder, die während des faschistischen Militärputsches vom 12. September verhaftet und gefoltert wurden. Das Aufwachsen in einer kurdischen, alevitischen und linken Tradition hatte natürlich einen Einfluss darauf, wie ich meinen Weg gehen würde, wie Sie sich vorstellen können. Vor allem in den 1990er Jahren führten die staatliche Politik der Verleugnung, Zerstörung und Assimilierung des kurdischen Volkes, die Räumung tausender Dörfer und die erzwungene Migration von Millionen Kurd:innen dazu, dass ich mich als Kurdin politisch widersetzte. In dieser Zeit schloss sich meine Tante, die an der Universität in Istanbul studierte, der Guerilla an, was mich dazu brachte, mich mit sozialistisch-marxistischen Ideen und dem Ideal einer klassenlosen, grenzenlosen, ausbeutungsfreien Gesellschaft zu beschäftigen. Die Frauenarbeit, die ich in einer Stadtteilkommission begonnen habe, die Einschätzungen der kurdischen politischen Bewegung, insbesondere die Einschätzungen von Herrn Abdullah Öcalan zur Frauenfrage, ein frauenbefreiendes Paradigma zur Beseitigung der Sklaverei, die den Frauen durch das 3000 Jahre alte zentrale Zivilisationssystem auferlegt wurde, gegen die sexistische Mentalität, die das von Männern dominierte System gegen die Identität der Frauen ignoriert und sie zur Sklaverei verurteilt, sind die Faktoren, die meine aktive Teilnahme an der Politik beeinflusst haben.

Was sind die Forderungen des kurdischen Volkes?

Das kurdische Volk möchte alle seine wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, die sich aus seiner Zugehörigkeit zu einem Volk ergeben, nutzen und sein Schicksal selbst bestimmen. Das kurdische Gebiet mit einer Bevölkerung von bis zu 50 Millionen Menschen weltweit ist zwischen vier Nationalstaaten (Iran, Irak, Syrien, Türkei) zersplittert, und der Kampf um die Aufrechterhaltung seiner Existenz mit der Politik der Unterdrückung, Gewalt und Verfolgung der Rechtsstaaten ist die Hauptursache für das Phänomen, das heute als kurdische Frage bezeichnet wird. Die große Mehrheit der Kurd:innen ist der Meinung, dass das Problem mit einer pluralistischen Definition der Nation, die auf der gleichberechtigten und freien Einheit der Völker ohne Nationalstaaten, die die Geißel der Menschheit im 21. Jahrhundert sind, basiert, und mit einer Verfassung, die diesen Pluralismus garantiert, gelöst werden kann. Sie glauben, dass das demokratische, ökologische und frauenbefreiende Verständnis einer demokratischen Selbstverwaltung, in der jedes Volk seine eigene Zukunft bestimmt, die Probleme lösen wird. Sie versuchen auch, ein friedliches Leben auf der Grundlage von Gleichheit, Freiheit und Solidarität mit den Völkern des Nahen Ostens aufzubauen. Mit dieser Formulierung wollen sie sich selbst mit einer demokratischen autonomen Verwaltung regieren, mit den Völkern, mit denen sie zusammenleben, in einer Demokratischen Republik zusammenleben und mit den Völkern des Nahen Ostens in der Demokratischen Konföderation des Nahen Ostens solidarisch leben.

Glauben Sie, dass es einen Wendepunkt in der kurdischen Frage geben wird, wenn die Opposition gewinnt?

Um die kurdische Frage zu lösen, muss die politische und wirtschaftliche Geschichte des Nahen Ostens in den letzten 200 Jahren und der Türkei in den letzten 100 Jahren genau analysiert werden. Solange die Politik der Ausrottung, Verleugnung und Assimilierung, die die Türkei seit 1924 verfolgt, unverändert bleibt, scheint eine Lösung der kurdischen Frage nicht möglich. Die Herangehensweise der Opposition in der Türkei (Millet-Allianz) an das Freiheitsproblem des kurdischen Volkes ist weit entfernt von der Perspektive einer Lösung des Problems. Die Errungenschaften, die das kurdische Volk in der Türkei erreicht hat, sind das Ergebnis des organisierten Kampfes des kurdischen Volkes, das mit großem Aufwand und für einen hohen Preis erreicht wurde. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, basierte der Wahlkampf in der Türkei auf anti-kurdischer Stimmungsmache und Nationalismus. Die Nationale Allianz und die Volksallianz haben ähnliche Ansätze in Bezug auf die grundlegenden Fragen der Türkei. Die systematische Gewalt der AKP-Regierung gegen das kurdische Volk seit 2015 und der Aufbau eines monistischen, autoritären und faschistischen Regimes haben die Probleme jedoch verschärft. Daher würden ein Machtwechsel, eine Demokratisierung, die Sicherung der Menschenrechte und Freiheiten, die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Legislative, der Judikative und der Exekutive sowie die Einhaltung internationaler Konventionen den Menschen in der Türkei einen frischen Wind verleihen. In einem demokratischen Umfeld würde es leichter sein, die Probleme anzusprechen und die Lösungen auf die Tagesordnung zu setzen. Auch wenn die Regierung wechselt, werden wir für die Lösung des Freiheitsproblems des kurdischen Volkes, für die Lösung der kurdischen Frage durch Dialog und Verhandlungen mit den Ansprechpartner::innen und für einen ehrenvollen Frieden durch Beendigung der Sicherheitspolitik kämpfen. Die Frage ist also, ob der Wendepunkt des Machtwechsels der Faschismus oder die Demokratie sein wird.

Was halten Sie von der Tatsache, dass die HDP unter dem Dach der Grünen Linkspartei zu den Wahlen angetreten ist? Ich habe einen Artikel eines Analysten gelesen, der diese Wahl kritisiert und sie als eine Art automatisches Ziel beschreibt, weil nicht alle Kurd:innen links sind.

Für die HDP war es eher eine Notwendigkeit als eine Wahl, mit der Grünen Linkspartei zu den Wahlen anzutreten. Die Schließung der HDP und die Androhung eines politischen Verbots für HDP-Mitglieder machten eine solche Entscheidung erforderlich. Die HDP wurde als Verhandlungspartei gegründet, die eine Rolle bei der Lösung der kurdischen Frage in der Türkei spielen soll, mit einer Perspektive, die auf einer radikaldemokratischen Linie basiert, die von der kurdischen politischen Bewegung, Einzelpersonen und organisierten Strukturen aus der linken, sozialistischen, ökologischen, feministischen, LGBT-I-Bewegung, antikapitalistischen und demokratischen Muslimen in der Türkei aufgestellt wurde. Die Grüne Linkspartei war eine der Mitgliedsparteien der HDP. Da ich den Artikel des von Ihnen erwähnten Analysten nicht gelesen habe, kann ich ihn nicht beurteilen. Natürlich werden die Gründe, warum die Grüne Linkspartei ihr angestrebtes Ziel nicht vollständig erreicht hat, von den Parteigremien selbst bewertet werden. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass trotz der systematischen staatlichen Gewalt gegen Kurd:innen und ihre Freund:innen seit 2015 die Kurd:innen immer noch die wichtigste Kraft sind, die die Politik der Türkei bestimmt. Würde ein solcher Druck und eine solche Gewalt gegen eine andere Partei ausgeübt werden, gäbe es keine Partei mehr. Doch trotz der Inhaftierung Zehntausender kurdischer Politiker:innen, der Ernennung von Treuhändern für ihre Gemeinden und der Schließung aller ihrer organisierten Einrichtungen setzen die Kurd:innen ihren Kampf beharrlich fort und bewahren ihre Errungenschaften. Der politische Vernichtungsfeldzug gegen kurdische Politiker:innen, der 2009 begann, dauert ununterbrochen bis heute an. In diesen 14 Jahren wurden mehr als hunderttausend Menschen vor Gericht gestellt. Und Tausende von Politiker:innen wurden offiziell aus der Politik verbannt. Trotzdem darf der Erfolg der Grünen Linkspartei nicht unterschätzt werden. Natürlich hätten bessere Ergebnisse erzielt werden können. Wir haben mehr Potenzial. Ich bin sicher, dass die Unzulänglichkeiten und Probleme der Leitung umfassend ausgewertet werden und mit einer starken Selbstkritik ein neuer starker Start erfolgen wird. Die kommenden Kommunalwahlen im Jahr 2024 werden besser organisiert und stärker vorbereitet.

Was für eine Zukunft stellen Sie sich für die Türkei und die Kurd:innen vor?

Ich glaube, dass mein Volk frei, selbstverwaltet, demokratisch und ökologisch sein wird, dass das Paradigma der Frauenbefreiung zum Leben erweckt wird und dass die Völker der Türkei und des Nahen Ostens ein gleichberechtigtes, freies, demokratisches und friedliches Leben aufbauen werden, wofür ich kämpfe.

Wie wird sich der Sieg von Erdoğan auf Ihre Situation und die anderer inhaftierten Politiker:innen und Aktivist:innen auswirken?

Wenn Erdoğan gewinnt, wird er eine neue Verfassung schreiben wollen, um sein faschistisches Ein-Mann-Regime zu institutionalisieren. Doch die Machtvergiftung, die Korruption und das Profitstreben in der AKP, die seit 20 Jahren an der Regierung ist, haben zu einem tiefen Verfall in der Gesellschaft geführt. Die AKP kann ihre Position nur mit Gewalt und Zwang aufrechterhalten. Sollte Erdoğan gewinnen, wird diese Situation in der kommenden Zeit wahrscheinlich zu gesellschaftlichen Problemen, Protesten und Revolten führen. Die kommenden Tage werden für die Türkei schwierig sein. Das sexistische, nationalistische, religiöse, militaristische, sexistische, nationalistische, religiöse, militaristische Bündnis, das Erdoğan gebildet hat, wird weiterhin gegen die Kurd:innen sein. Auch die von der Regierung ernannten politisierten Mitglieder der Justiz werden diese Politik fortsetzen. Aber wie ich schon sagte, die Entwicklungen in der Welt und in der Region werden Erdoğan zwingen, sich zu ändern.