Kobanê-Prozess: Anwälte verweigern Teilnahme an Anhörungen

Im sogenannten Kobanê-Prozess verhandelt sich das Gericht von einer Farce zur nächsten. „Als Verteidigung halten wir es daher für sinnlos, an den kommenden Anhörungen teilzunehmen“, erklärt der Rechtsbeistand der 108 Angeklagten.

In Ankara hat am Montag die Sitzungsrunde der siebten Hauptverhandlung im „Kobanê-Prozess“ begonnen. Eröffnet wurde der erste Termin mit einem weiteren Skandal. Nachdem zuvor bereits der vorsitzende Richter ohne formale Begründung auf Entscheidung des Rats der Richter und Staatsanwälte (HSK) vom Prozess abgezogen worden war, wurde nun ein weiteres Mitglied des Kollegialgerichts abberufen.

„Das Gericht hangelt sich seit Beginn des Verfahrens im August von einer Justizfarce zur nächsten“, kritisierte Rechtsanwalt Cihan Aydın nach der Anhörung. Man wolle den Prozess „auf Anweisung von oben“ so schnell wie möglich zu Ende bringen. „Unsere Mandantinnen und Mandanten werden für Vernehmung und Befragung von Richtern unter Druck gesetzt, genügend Zeit für das Studieren der mehr als 3.500 Seiten dicken Anklageschrift und Vorbereitung ihrer Verteidigung wird ihnen aber nicht gewährt.“

Jenseits von Recht und Gesetz geführter Prozess

Es sei ein politischer Schauprozess, der jenseits von Recht und Gesetz geführt werde, so Aydın. „Als Verteidigung halten wir es daher für sinnlos, an den kommenden Anhörungen teilzunehmen. Solange es keine Bedingungen für ein faires Verfahren gibt, werden wir uns weigern, dem Prozess beizuwohnen. Wir sind nicht bereit, uns an diesem Verbrechen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Wir wollen nicht im Gerichtssaal anwesend sein, wenn Recht und Gesetz von Richtern, die das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Selahattin Demirtaş als bindungswirkungslos erachten, mit Füßen getreten wird“, sagte Aydın. Die siebte Hauptverhandlung ist für zwei Wochen angesetzt. An keinem der Termine werde die Verteidigung teilnehmen.

Hintergrund: Angeklagt wegen Kobanê-Solidarität

Im Kobanê-Verfahren sind insgesamt 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und der kurdischen Befreiungsbewegung angeklagt, 21 von ihnen befinden sich in Untersuchungshaft. Ihnen drohen auf Grundlage von konstruierten Vorwürfen schwere Freiheitsstrafen, in dutzenden Fällen erschwert lebenslänglich und damit Haft bis in den Tod. Die 3.530 Seiten dicke Anklageschrift bezieht sich auf die Geschehnisse, die sich im Oktober 2014 rund um die kurdische Stadt Kobanê im Norden von Syrien ereigneten. Die HDP hatte in einem Twitter-Beitrag, den der Straßburger EGMR als politische Rede wertet, zu Solidarität mit dem vom „Islamischen Staat” (IS) belagerten Kobanê und Protesten gegen die türkische Regierung aufgerufen, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Rahmen dieser Proteste kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Demonstrierenden, der Polizei, dem Militär und IS-nahen Organisationen, die nach Angaben der HDP zu 43 Toten führten. Die Staatsanwaltschaft spricht von 37 Toten. Diese Toten, bei denen es sich überwiegend um HDP-Mitglieder handelte, werden im Kobanê-Prozess dem damaligen Vorstand und der Partei als Ganzes zur Last gelegt.