Berlin: Mahnwache in Gedenken an Opfer von Giftgaseinsätzen

In Berlin hat eine Mahnwache stattgefunden, um die Toten des Massakers von Helebce zu würdigen und gegen die anhaltende chemische Kriegsführung in Kurdistan zu demonstrieren.

Im Treptower Park am Berliner Spreeufer hat eine Mahnwache stattgefunden, um die Toten des Massakers von Helebce zu würdigen und gegen die anhaltende chemische Kriegsführung in Kurdistan zu demonstrieren. Mit Bildern und Infotafeln, Musik und Flyern machte eine Gruppe, die sich an der Kampagne „Women Defend Rojava“ beteiligt, am Freitag auf das Thema aufmerksam und kam mit Passant:innen ins Gespräch. Dabei wurden die historische Kontinuität von Giftgasangriffen in Kurdistan und die gravierenden Verbrechen, zu denen es im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung kam und weiterhin kommt, aufgezeigt. Durchgeführt wurde die Veranstaltung im Rahmen der Aktionstage „We see your crimes – Stoppt den Einsatz von Chemiewaffen in Kurdistan!“, zu denen die Initiative Defend Kurdistan aufgerufen hatte.

Am 16. März 1988 bombardierte die irakische Luftwaffe die kurdische Stadt Helebce (Halabdscha, auch Halabja) mit Giftgas. Rund fünftausend Menschen erstickten qualvoll, etwa 10.000 wurden schwer verletzt und Tausende weitere starben nach dem Angriff oder erlitten dauerhafte Gesundheitsschäden. Es war der massivste Einsatz von Giftgas seit dem Ersten Weltkrieg. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt an der Grenze zu Iran leiden bis heute an den Folgen des  Giftgaseinsatzes.

Auch in der aktuellen Angriffsoffensive der türkischen Armee gegen die Guerilla in Südkurdistan (Nordirak) kommt es seit vorletztem Jahr zu zahlreichen völkerrechtswidrigen Einsätzen von Giftgas. Obwohl sich die Anschuldigungen – und die Toten – häufen, gibt es keine offizielle internationale Untersuchung der Kriegsverbrechen der türkischen Regierung, beispielsweise durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW).

Deutsche Verantwortung

„Für uns steht Deutschland besonders in der Verantwortung. Denn auch deutsche Firmen profitierten mit dem weltweiten Einsatz von Giftgas, auch in Helebce“, betonten die Aktivist:innen. Die Giftgasfabrik im Irak, aus der die tödlichen Bomben kamen, die über der kurdischen Stadt abgeworfen worden waren, wurden in den 1980er Jahren mit Hilfe deutscher Technologie erbaut und größtenteils von deutschen Firmen beliefert.

Auf Flyern, die am Rande der Mahnwache verteilt wurden, war zu lesen: „Dieses Kriegsverbrechen, sowie die deutsche Komplizenschaft, haben in Kurdistan eine traurige Tradition. Schon beim Völkermord von Dersim 1937-38 wurden durch Atatürk von Nazideutschland gekauftes Giftgas und Flugzeuge eingesetzt. Saddam Hussein massakrierte am 16. März 1988 tausende Menschen in Helebce mit Giftgas, das deutsche Firmen mitproduzierten. Erdoğan begeht heute mit chemischen Waffen in den Bergen Kurdistans ebenfalls größte Kriegsverbrechen, Deutschland und die Nato schweigen und geben Rückendeckung.“

Zahlreiche Passant:innen blieben stehen. Die meisten von ihnen hörten zum ersten Mal von den Giftgasangriffen, einige das erste Mal vom Befreiungskampf des kurdischen Volkes. Viel Zuspruch für die Aktion gab es auch von Kurd:innen, die vorbeikamen. Diese war allerdings auch gemischt mit der Verwunderung darüber, wieso ausgerechnet Internationalist:innen eine Mahnwache über Kurdistan halten. Eine Teilnehmende antwortete darauf:

„Wir alle hier sind Menschen, die sich zusammengefunden haben, weil wir uns durch den Kampf des kurdischen Volkes und das Paradigma der kurdischen Bewegung sehr inspiriert fühlen. Wir sehen, dass wir davon sehr viel lernen und Lösungen finden können, für die globalen gesellschaftlichen Probleme, genauso wie unsere lokalen. Es geht nicht nur darum, die Toten zu betrauern oder mit dem unterdrückten kurdischen Volk in Solidarität zu sein. Wir wollen Anerkennung und Respekt für ihre Kämpfe zeigen und uns als ein Teil des gemeinsamen Kampfes für ein Leben in Freiheit sehen.“

Briefe an politische Gefangene

Im Rahmen der Aktionstage hat die Gruppe außerdem Briefe an kurdische Gefangene in Deutschland geschrieben. Anlass war der 18. März, der international bekannt ist als der „Tag der politischen Gefangenen“. Es wurden wunderschöne Karten gemalt, die Leben, Hoffnung und Kraft durch die Mauern tragen sollen.

Bei der Zusammenkunft sind auch Berichte zum Prozessgeschehen der derzeit in deutschen Gefängnissen inhaftierten Kurden gelesen worden. Auch lasen die Aktivist:innen aus dem zweiten Band der Autobiografie der kurdischen Revolutionärin Sakine Cansız, der ihre Zeit in türkischer Haft behandelt.

„Viele Menschen sind im Kampf um ein befreites Leben von Repressionen betroffen. Wir wollen uns mit ihnen solidarisieren und die Isolation der Haft mit unserer Post durchbrechen. Auch wenn wir physisch voneinander getrennt sind, sind unsere Herzen vereint. Wir wollen damit auch versprechen, ihren Kampf hier draußen fortzusetzen“, so die Gruppe. „Wir solidarisieren uns mit Özgür Aydin, Mirza Bilen, Gökmen Cakil, Sabri C., Mazlum Dora, Hafrah E., Ali Engizek, Merdan Kizilkaya, Tahir Kocer, Abdullah Öcalan und Ali Özel.“