Wenige Tage vor der Bundestagswahl am 23. Februar hat der Zentrale Menschenrechtsrat der Kurd:innen in Deutschland (ZMRK) seine Erwartungen und Forderungen an die zukünftige Bundesregierung formuliert. In Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen und der Relevanz einer gerechten und menschenrechtsorientierten Politik in Deutschland ergingen nachstehende Forderungen:
1. Gleichstellung
Die institutionelle Anerkennung der kurdischen Identität ist unerlässlich. Dazu zählen die Verwendung der kurdischen Sprache in amtlichen Publikationen, die bundesweite Einführung des muttersprachlichen Unterrichts in Kurdisch und die statistische Erfassung als Kurdinnen und Kurden.
2. Antidiskriminierung
Wir fordern konkrete und präventive Maßnahmen gegen die Grauen Wölfe, eine der größten rechtsextremen Gruppierungen in Deutschland, die gezielt Kurd:innen, Armenier:innen, Griech:innen und weitere Menschengruppen gefährdet, die nicht in ihr Weltbild passen.
3. Friedensorientierte Außenpolitik
Im Interesse der Aufrechterhaltung der engen deutsch-türkischen Beziehungen sind Kurd:innen in Deutschland immensen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Bundesregierung einen Beitrag für die demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage leistet. Maßnahmen, die das Recht der Kurd:innen auf kulturelle und politische Selbstbestimmung und Autonomie stärken, müssen unterstützt werden. Deutschland besitzt als enger NATO-Partner der Türkei die historische Vermittlerrolle, eine nachhaltige Lösung der kurdischen Frage zu unterstützen und damit einen gerechten Frieden, Demokratie und Stabilität in den kurdischen Gebieten und in der Türkei zu fördern. Völkerrechtswidrige Angriffe, Besetzungen, Annexionen und Vertreibungen der Türkei in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei, des Nordiraks und Syriens dürfen von der Bundesregierung nicht weiter toleriert werden.
4. Migration und Asyl
Abschiebungen kurdischer Geflüchteter in die Türkei, den Irak und nach Syrien sowie in den Iran müssen angesichts der Gefahr unfairer Verfahren und politischer Verfolgung dringend gestoppt werden. Kurdische Aktivist:innen und andere gefährdete Personen benötigen besonderen Schutz vor Auslieferung an Staaten, in denen ihnen Verfolgung droht.
5. Verfolgung Oppositioneller in der Türkei
Die Bundesregierung muss entschieden gegen die Verfolgung von Menschen in der Türkei vorgehen, die in Deutschland ihr verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht auf Meinungs-, Vereins- und Versammlungsfreiheit ausgeübt haben. Konkrete Maßnahmen zum Schutz dieser Grundrechte und zur Sicherstellung der Sicherheit deutscher Staatsbürger:innen in der Türkei sind erforderlich.
6. Zusammenarbeit mit kurdischen Organisationen
Die Anliegen und Perspektiven kurdischer Organisationen in Deutschland müssen in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden. Eine enge Zusammenarbeit mit diesen Organisationen ist notwendig, um ihre Anliegen effektiv zu vertreten und zu unterstützen.
7. Schutz der Menschenrechte Abdullah Öcalans einfordern
Abdullah Öcalan befindet sich seit über 25 Jahren unter menschenunwürdigen Isolationshaftbedingungen auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Die Isolationshaft von Abdullah Öcalan verstößt gegen das Völkerrecht, insbesondere gegen die europäische Menschenrechtskonvention. Abdullah Öcalan kommt in einem Lösungsprozess eine Schlüsselrolle zu. Seine Bereitschaft, sich für einen Friedensprozess in Kurdistan, der Türkei und im Nahen Osten einzusetzen, muss anerkannt werden. Die Bundesregierung sollte sich daher für ein Ende der Isolation und die umgehende Implementierung der entsprechenden Beschlüsse des Ministerkomitees des Europarates von September 2024 einsetzen.
8. Demokratische Teilhabe fördern – Kriminalisierung beenden!
Das PKK-Verbot stellt zehntausende Kurd:innen in Deutschland unter Generalverdacht und hemmt nicht nur ihre demokratische Teilhabe, sondern auch faire Asylverfahren und die Entfaltung ihrer kulturellen Identität. Darüber hinaus bietet sie die Grundlage für die Legitimierung einer umfassenden Kriminalisierung sowie die Legitimierung von Kriegsverbrechen und Menschenrechts-verletzungen in Kurdistan. Die PKK ist Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt.
Zu diesem Schluss kam 2020 auch der Kassationshof in Brüssel. In diesem Konflikt hat die PKK mehr als einmal ihre Bereitschaft zu einer friedlichen Lösung unter Beweis gestellt. Das PKK-Verbot in Deutschland hingegen ist ein offenes Hindernis für eine mögliche friedliche Transformation des Konflikts. Daher muss dem Antrag der PKK zur Aufhebung des Verbotes stattgegeben werden.
9. Waffenlieferungen an die Türkei stoppen
Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure in die Türkei. Es ist bekannt, dass die Türkei diese Waffen regelmäßig in völkerrechtswidrigen Angriffskriegen in den kurdischen Gebieten einsetzt. Zudem werden damit auch islamistische Milizen ausgerüstet. Die sofortige Beendigung von Waffenlieferungen an die Türkei ist zwingend erforderlich. Der Schutz von Menschenleben und die Einhaltung des Völkerrechts haben oberste Priorität.
10. Schutz vor Spionage und Gefahr
In Deutschland leben über 8000 MIT-Agenten. Es handelt sich bei ihnen um Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT, deren Aufgabe darin besteht, politische Gegner:innen auszuspähen und Vergeltungsmaßnahmen gegen sie zu ergreifen. In der Türkei ist der türkische Geheimdienst MIT für zahlreiche politische Morde und Verflechtungen mit der Mafia und der Terrormiliz IS bekannt. Die Bundesregierung muss dringend konsequent und präventiv gegen diese Netzwerke vorgehen und Menschenleben schützen.
11. Gefahr durch Erstarken des Islamismus begrenzen
Kurd:innen sind überproportional von islamistischem Terror und Gewalt betroffen. Die Bundesregierung muss darauf hinwirken, dass alle Menschen vor islamistischem Terror geschützt werden. Dies muss durch präventives Vorgehen gegen jene Strukturen und Personen erreicht werden, die der islamistischen Szene zugehörig sind. Des Weiteren ist eine unverzügliche Beendigung der unkritischen Zusammenarbeit mit der Türkei erforderlich. Die Türkei hat maßgeblich zum Erstarken globaler islamistischer Terrororganisationen beigetragen.
12. Rückführung deutscher IS-Kämpfer und Ausreiser:innen
Die Rückführung von deutschen IS-Kämpfern und ihren Angehörigen sowie eine Verurteilung in Deutschland sind notwendig, um eine Entlastung der Sicherheitskräfte in Nord- und Ostsyrien zu erreichen und eine Verurteilung der Täter:innen nach deutschem Recht für ihre Kriegsverbrechen zu gewährleisten.
13. Anerkennung und Erfassung von antikurdischem Rassismus
Die Anerkennung sowie die wissenschaftliche und statistische Erfassung von Fällen antikurdischen Rassismus sind dringend erforderlich. Es müssen präventive Maßnahmen gegen den alltäglichen antikurdischen Rassismus sowohl auf struktureller Ebene als auch in der Gestalt von Alltagsrassismen ergriffen werden, denen Kurd:innen ausgesetzt sind.
14. Schutz der Menschenrechte
Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung, dass sie sich uneingeschränkt für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte einsetzt. Dies umfasst die Bekämpfung jeglicher Form von Diskriminierung, Rassismus und Menschenfeindlichkeit sowie den Schutz der Rechte von Minderheiten und Geflüchteten.
Des Weiteren ist festzuhalten, dass sich bislang lediglich die Partei Die Linke für all diese Forderungen und Belange eingesetzt hat.
Die Bundestagswahl in Deutschland hat maßgeblichen Einfluss auf die Zukunft Deutschlands und von Millionen Menschen. Wir appellieren daher an alle Bürgerinnen und Bürger, ihr Wahlrecht wahrzunehmen.“