Goran Kobanê: „Ich kann euch nur raten: Kommt her!“

Der Internationalist Goran Kobanê kommt aus Deutschland und lebt in Rojava. Er rät anderen dazu, selbst in die Autonomieregion Nordostsyrien zu kommen, um sich in das basisdemokratische Projekt einzubringen und davon zu lernen.

Goran Kobanê ist ein Internationalist aus Deutschland und lebt seit sechs Jahren in Rojava. Im ANF-Interview legt er dar, warum er im Sommer 2015 nach Nordsyrien gegangen ist und was ihn dazu motiviert, weiter dort zu bleiben. Er rät allen Menschen, in die selbstverwaltete Region Nord- und Ostsyrien zu kommen, um sich ein Bild von dem basisdemokratischen Projekt und der Frauenrevolution zu machen und davon zu lernen:

„Ich komme ursprünglich aus Deutschland und bin vor ungefähr sechs Jahren, im Sommer 2015, nach Rojava, nach Kobanê gekommen. Der ausschlaggebende Punkt und die Motivation waren die Schlacht um Kobanê. Das ging damals so durch die Medien, das ging in Deutschland, in Europa, international so durch die Presse, das hat irgendwie jeder mitgekriegt.“ Der IS sei damals auf dem Höhepunkt seiner Macht gewesen: „Die haben so viele Städte in Syrien, im Irak eingenommen und Kobanê war quasi so etwas wie die Entscheidungsschlacht. Es hieß damals: wenn Kobanê fällt, dann ist ISIS auf dem besten Weg, direkt nach Europa zu marschieren. Und das hat mich damals motiviert, hierher zu kommen und zu sehen, wie ich helfen kann.“

Der Kampf um Kobanê: „Es war Wahnsinn“

Der Widerstand in Kobanê sei sehr beeindruckend für ihn gewesen, sagt Goran Kobanê: „Die Freunde haben mit einfachen, leichten Waffen gegen Panzer und eine Übermacht von Gegnern gekämpft. Der Mut, den die Freunde hier hatten, das war Wahnsinn. Sie sind teilweise in der Erwartung zu sterben in den Kampf gegangen, aber sie wussten, dass sie für eine gute Sache fallen, und waren bereit, dieses Opfer einzugehen. Sie wussten, wenn sie nicht kämpfen würden, dann wäre ganz Kurdistan in Gefahr, dann wäre Kobanê in Gefahr. Und wer weiß, wie viele Zivilisten ermordet worden wären.“ Vor allem habe ihn beeindruckt, dass so viele Internationalist:innen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt Widerstand leisten wollten.

Deutschland habe unterdessen den türkischen Staat weiter unterstützt: „Und der türkische Staat hat nachweislich logistische Unterstützung für Daish/ISIS geleistet. Die haben da die Verwundeten versorgt, die haben für Grenzübergänge gesorgt und das war der Welt offenkundig. Und trotzdem hat der deutsche Staat den türkischen weiterhin unterstützt. Es gab keine militärische Hilfe, den die Freunde hier zum Widerstand so gebraucht hätten.

Die deutsche Gesellschaft muss man sagen, die hat das schon mitgenommen. Die haben das verfolgt, die haben Sympathien für die Kurden und für den Widerstand gehabt, aber dass wirklich jemand aufgestanden ist, um zu sagen: ,Ich nehme ein Risiko in die Hand, ich nehme ein Risiko in Kauf und komme vielleicht her und helfe hier', das haben die allerwenigsten gemacht. Das war für mich nochmal eine Motivation zu sagen: Jetzt erst recht. Ich habe zwei gesunde Hände, ich kann herkommen. Ich bin gesund, warum nicht. Ich habe keine Ausrede zu sagen, ich kann hier nicht helfen.“

Die Niederlage des IS in Kobanê sei wie der Bruch eines Mythos gewesen: „ISIS hat bis dahin nur gesiegt, gesiegt, gesiegt. Die sind vormarschiert und man dachte schon, man könnte die gar nicht mehr aufhalten. Und dann, dank dieses heroischen Widerstands der Kurden und der Freunde wurden sie geschlagen und mussten sich zurückziehen. Sie wurden später immer weiter zurückgedrängt und das war quasi der Anfang vom Ende für ISIS. Und wäre Kobanê gefallen, wer weiß, wie es ausgegangen wäre.“

Deutschland lässt sich von Erdogan erpressen“

Auch nachdem der IS territorial besiegt wurde, unterstütze und schütze der türkische Staat islamistische Truppen, die sich heute nur anders nennen würden, führt der Internationalist weiter aus: „Das hat meiner Meinung nach nur ein Ziel: Den kurdischen Widerstand zu brechen, am besten ganz Kurdistan auszulöschen und dieses wirklich erfolgreiche Modell der Selbstverwaltung zu zerstören.“ Deutschland unterstütze den türkischen Staat trotzdem weiter, „obwohl offensichtlich ist, dass die hier Menschenrechtsverletzungen begehen, dass die hier Leute vertreiben, dass die Leute ermorden.“

Die Bundesregierung lasse sich von der Erdogan-Regierung mit den Flüchtlingen in der Türkei erpressen: „Das sind über drei Millionen. Die Türkei und Erdogan drohen andauernd damit, die Grenzen zu öffnen, und dadurch lassen sich Deutschland und die EU erpressen. Man sollte ganz klar Druck machen und sagen: Zieht euch aus Efrîn zurück, zieht euch aus Serêkaniyê zurück, zieht euch aus den besetzten Gebieten zurück, oder unsere wirtschaftlichen Beziehungen werden abgebrochen. Aber das tut der deutsche Staat leider Gottes nicht. Die machen gar nichts. Die arbeiten mit Erdogan zusammen, als wäre nie etwas passiert. Die deutsche Gesellschaft könnte mehr tun, sie muss definitiv mehr tun. Die Leute müssen auf die Straße gehen, sie müssen Druck auf die Politik machen. Wovon werden denn die Waffen finanziert? Die werden von Steuergeldern finanziert. Es ist im Endeffekt das Verschulden jedes Einzelnen, dass hier Menschen sterben, weil die Waffen aus Deutschland kommen.“

Deutschland unterstütze die Türkei in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen, sagt Goran Kobanê: „Deutschland macht Milliarden mit diesen Waffenlieferungen. Die Türkei hat Dutzende von Panzern gekauft, um sie gegen Nordsyrien einzusetzen. Deutschland macht Milliarden und will die wirtschaftlichen Beziehungen nicht riskieren.“ Die Menschenleben in Nordostsyrien zählten dabei nicht, es werde in Kauf genommen, dass Hunderte Menschen getötet und ganze Gegenden entvölkert werden.

Geht auf die Straße, macht Druck!“

Auf die Frage, was er von den Menschen in Deutschland erwartet, antwortet der Internationalist: „Geht auf die Straße. Protestiert. Macht Druck. Hier sterben jeden Tag dutzende Menschen, die vertrieben werden, und das passiert mit der Schuld Deutschlands. Zeigt der Politik und den Verantwortlichen, was ihr davon haltet. Es liegt an euch, es liegt in eurer Hand.“

In Rojava gebe es viele Internationalist:innen, die das Risiko eingegangen seien, in die Region zu kommen: „Sie sind hier glücklich und tragen ihren Teil bei. Sie können viel einbringen und lernen hier extrem viel. Sie lernen das System der Selbstverwaltung kennen, das ein Beispiel dafür ist, wie eine demokratische, gute, gleichberechtigte Welt funktionieren kann. Wie die Rolle der Frau hier im Mittleren Osten gefördert wird, das sieht man sonst nirgendswo. Und das ist einfach ein wunderbares Beispiel, wie es sein kann. Ich kann euch nur raten, kommt her, guckt euch das mal an, und wenn es auch nur für ein paar Monate ist. Es ist unglaublich.“