Bei einer Wahlkampfveranstaltung von Außenministerin Annalena Baerbock und Robert Habeck in Potsdam haben am Mittwoch rund 20 Aktivist:innen von Women Defend Rojava und den Jungen Frauen Kommunen auf die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf den Tişrîn-Staudamm in Nordostsyrien aufmerksam gemacht.
„Der Angriff auf den Tişrîn-Staudamm ist ein gezielter Versuch, die lebenswichtige Infrastruktur in Nord- und Ostsyrien zu zerstören. Dies bedroht nicht nur das tägliche Leben der Menschen, sondern auch das ökologische Gleichgewicht in der Region“, erklärte eine Sprecherin von Women Defend Rojava.
Bereits seit Wochen setzen sich Zivilist:innen im Kriegsgebiet mit einer Friedens-Mahnwache dafür ein, internationale Aufmerksamkeit auf den drohenden Kollaps des Tişrîn-Damms am Euphrat zu lenken und weitere Angriffe der Türkei zu stoppen. Seit dem 8. Januar sind sie wiederholt und gezielt durch Drohnen der türkischen Luftwaffe unter Beschuss genommen worden. Die Angriffe auf den Staudamm haben seit dem 10. Dezember mehr als 400.000 Menschen ohne Strom und Wasser zurückgelassen.
Zudem wurden im Zuge der türkischen Angriffe auf die Friedensmahnwache 24 Menschen getötet und über 200 Personen zum Teil schwer verletzt. Die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) hat bereits vor drei Wochen die US-geführte internationale Anti-IS-Koalition, die Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen aufgefordert, „dringend Maßnahmen zu ergreifen, um den Tişrîn-Damm vor den Bombardierungen zu schützen und den systematischen Angriffen auf die lebenswichtige Infrastruktur ein Ende zu setzen“.
Eine weitere Eskalation des Konflikts könnte auch die Sicherheit der IS-Gefangenen in der Region gefährden. Erst vor wenigen Tagen jährte sich der Tag der Befreiung von Kobanê vom IS zum zehnten Mal, als es den Kräften der Selbstverwaltung gelang, die Stadt zu befreien und dem IS seine erste große Niederlage zuzufügen. Heute, zehn Jahre später, erstarkt der IS erneut und hat in den letzten Wochen eine Vielzahl von Angriffen in der Region verübt.
Im Rahmen des Kobanê-Tişrîn-Aktionstags fanden am Wochenende in verschiedenen Städten Deutschlands zahlreiche Proteste und Aktionen statt. Am Mittwoch nutzen Aktivist:innen die Gelegenheit, während der Wahlkampfveranstaltung von Annalena Baerbock in Potsdam auf die eskalierende Situation in Nordostsyrien hinzuweisen.
Die Außenministerin, die sich 2021 mit den Worten „Jin Jiyan Azadî“ und ihrer „feministischen Außenpolitik“ brüstete, fordert eine Entwaffnung der militärischen Kräfte, die sich für ein befreites und demokratisches Syrien einsetzen. Gleichzeitig unterstützt die deutsche Bundesregierung, einschließlich der Grünen, jedoch weitere Waffenexporte in die Türkei, die mit deutschen Drohnen Kobanê und andere Gebiete der DAANES angreifen. „Es ist nicht akzeptabel, dass die Bundesregierung weiterhin Waffen an den türkischen Staat liefert, der die Menschen in Nordost-Syrien mit Krieg und Gewalt überzieht“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.
Obwohl auf dem Veranstaltungsplan eine Fragerunde angekündigt war, die die Aktivist:innen nutzen wollten, um Baerbock mit ihrer heuchlerischen Außenpolitik zu konfrontieren, ließ die autoritäre Atmosphäre der Veranstaltung keine kritischen Fragen seitens des Publikums zu. Bereits zu Beginn der Veranstaltung wurden andere Aktivist:innen der Veranstaltung verwiesen, nachdem sie durch Zwischenrufe auf die Situation in Gaza aufmerksam machten und die Mitschuld Baerbocks als Außenministerin an dem anhaltenden Genozid benannten.
Nach anderthalb Stunden Selbstinszenierung und leeren Versprechen in Bezug auf eine demokratische Politik verließ Baerbock die Bühne, ohne sich zu der Lage in Syrien zu äußern oder mit dem Publikum zu interagieren. Selbst die Mitglieder der Grünen Potsdam waren verblüfft über ihr schnelles Beenden der Veranstaltung.
Mit Plakaten machten die Aktivist:innen dennoch auf die Verstöße des türkischen Staates gegen humanitäres und internationales Recht sowie die drohende humanitäre und ökologische Katastrophe aufmerksam, die mit einem Dammbruch einhergehen würde. Durch Statements wurde vor allem die lokale Presse adressiert, und die Aktivistinnen erklärten sich zu Interviews bereit. Seitens der Veranstalter:innen war einigen jedoch untersagt wurden, mit den kritischen Aktivist:innen zu sprechen.
Die auch der Außenministerin bekannten Worte „Jin Jiyan Azadî“ hallten durch den grün beleuchteten Innenhof, in dem die Veranstaltung stattfand. Die deutsche Bundesregierung und insbesondere Annalena Baerbock wurden aufgefordert, die Rüstungsexporte an die Türkei sofort zu stoppen, ein internationales Waffenembargo einzuleiten, humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Nordosten Syriens sicherzustellen und die Angriffe der Türkei auf die Zivilist:innen am Tişrîn-Staudamm zu verurteilen. Zudem forderten die Aktivist:innen die Anerkennung der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) durch die Bundesregierung.