Menschenrechtler: IS-Terroristen in neuer syrischer Armee

Islamistische Kriegsverbrecher und IS-Söldner seien Teil der syrischen Armee, meldet die Gesellschaft für bedrohte Völker. Die Menschenrechtsorganisation warnt vor einer weiteren Verharmlosung der neuen Machthaber in Damaskus durch das Auswärtige Amt.

GfbV kritisiert Verharmlosung von HTS

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zeigt sich tief besorgt darüber, dass islamistische Kriegsverbrecher und IS-Mitglieder in die neue syrische Armee eingegliedert werden. Die in Göttingen ansässige Menschenrechtsorganisation warnt zugleich vor einer weiteren Verharmlosung der neuen Machthaber in Syrien, der Islamistenmiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), durch das Auswärtige Amt in Berlin.

„Auch nach dem Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Syrien werben Beamte des Auswärtigen Amtes, allen voran der Sondergesandte der Bundesregierung für Syrien, Stefan Schneck, weiter für die Islamisten. Diese versuchen unterdessen, eine neue syrische ‚Nationalarmee‘ aufzubauen. Teil dieser Armee sollen laut unseren Informationen auch islamistische Kriegsverbrecher und IS-Kämpfer werden“, warnt der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido in einer Pressemitteilung.

„Trotz der vielen Hinweise auf die Absichten der neuen syrischen Machthaber ignoriert Herr Schneck in seinen Stellungnahmen und Interviews in nahöstlichen Medien selbst die vorsichtigen kritischen Töne von Außenamtschefin Baerbock zum Islamismus. Auch die Rolle der Kurden, die einen wichtigen Gegenpol zu den Islamisten darstellen und sich gerade im Kampf gegen den IS befinden, wird mit keinem Wort erwähnt. Herr Schneck verschweigt auch die täglichen Angriffe des NATO-Partners Türkei auf Kurden in Nordsyrien mit Luftwaffe, Raketenwerfern, schwerer Artillerie, Panzern und Kampfdrohnen“, kritisiert der Nahostreferent.

HTS-Chef Ahmed al-Scharaa alias Abu Mohammed al-Dscholani wird am 4. Dezember 2024 in Aleppo von Anhängern umjubelt | Bildquelle: HTS via Bianet


Die neue syrische Armee soll vor allem aus islamistischen Gruppierungen bestehen. Nach übereinstimmenden Informationen der GfbV und der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit Sitz in Großbritannien würden sich unter diesen Islamisten auch zahlreiche Kriegsverbrecher befinden. Diese stammen den Informationen zufolge aus den Reihen des „Islamischen Staates“ (IS), aber auch aus denen der islamistischen Milizen, die seit 2018 die kurdische Region Efrîn (Afrin) im Nordwesten Syriens besetzen und dort Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. „In den Reihen der Islamisten, die nun als syrische Soldaten agieren sollen, vermuten wir auch ehemalige IS-Kämpfer, die 2014 an Übergriffen auf Yeziden im Irak beteiligt waren. Damals vergewaltigten IS-Angehörige massenhaft yezidische Frauen“, sagt Sido.

Hinzu komme, dass die neue syrische Armee von türkischen Offizieren ausgebildet werden soll. „Das wäre eine Tragödie für die nicht-sunnitische und nicht-arabische Bevölkerung Syriens“, betont der Nahostexperte. Die türkische Armee habe sich insbesondere unter Erdoğan „faktisch in eine islamistische Truppe verwandelt, deren Offiziere häufig von der menschenverachtenden türkisch-rassistischen Ideologie der Grauen Wölfe beeinflusst sind“. Teil dieser Ideologie sei der Hass auf Kurd:innen, Griech:innen und Armenier:innen sowie religiöse Minderheiten wie die Suryoye und Menschen des ezidischen, jüdischen und alevitischen/alawitischen Glaubens, so Sido.

„Eine syrische Armee und Polizei, die sich die türkische Armee und Erdoğan zum Vorbild nehmen, sind eine große Gefahr für die Minderheiten, die mindestens die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sowie für Frauen, die ein emanzipiertes Leben führen wollen“, warnt der Menschenrechtler. „Schon jetzt machen diese Islamisten, die in die Armee integriert werden sollen, im Westen Syriens Jagd auf Alawiten und Christen. Mich erreichen immer mehr Hinweise, dass Alawiten wegen angeblicher Kollaboration mit Assad auf offener Straße ermordet werden. Auch Christen sind von Repressionen betroffen. Weihnachtsbäume und Heiligtümer wurden auf öffentlichen Plätzen angezündet“, berichtet Sido.

Syrienarbeit des Außenministeriums muss auf Prüfstand

Die GfbV fordert die Bundesregierung auf, diese Ängste und Befürchtungen dringend in ihrer neuen Syrienpolitik zu berücksichtigen. „Es ist höchste Zeit, die gesamte Syrienarbeit des Auswärtigen Amtes auf den Prüfstand zu stellen. Diese darf nicht länger von einigen wenigen Beamten im Auswärtigen Amt bestimmt werden. Viele Kurden und Angehörige anderer Volksgruppen in Syrien werfen diesen Beamten vor, mit Erdoğan und den Islamisten in Syrien zu sympathisieren“, sagt Sido.

Titelfoto: HTS-Mitglieder vor syrischer Unabhängigkeitsflagge via Evrensel


Anmerkung zur Schreibweise „Yezide“: Im deutschen Sprachraum ist Jesidin/Jeside, hin und wieder auch Yezidin/Yezide gebräuchlich. Die Gesellschaft Ezidischer Akademiker:innen (GEA) empfiehlt die von der überwiegenden Mehrheit der Ezid:innen gebrauchte Schreibweise Ezidin/Ezide, da diese sich an der kurdischen Selbstbezeichnung „Êzîdî“, „Ezda“ oder „Ezdayî“ orientiert; „Ezda“ bedeutet im Kurdischen: „Der, der mich erschaffen hat“. ANF verwendet in eigenen Texten die Schreibweise„ezidisch“.