Der offene Schlagabtausch zwischen der Türkei und Israel in Syrien hat die fragile geopolitische Lage im Nahen Osten weiter verschärft. Nach einem israelischen Luftangriff auf einen syrischen Militärstützpunkt, auf dem Ankara ein neues Luftabwehrsystem stationieren wollte, hat sich der kurdische Politiker Bedran Çiya Kurd zur Situation geäußert. In einem Interview mit ANF warnt der außenpolitische Berater der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) vor einer weiteren Eskalation – mit gravierenden Folgen für Syrien und die gesamte Region.
Geopolitisches Ringen auf syrischem Boden
„Syrien ist zu einem zentralen Austragungsort regionaler Machtkämpfe geworden“, erklärt Çiya Kurd. Seit dem Zerfall des Baath-Regimes versuchen verschiedene internationale und regionale Akteure, ihren Einfluss im Land zu festigen. Auch die Türkei sei Teil dieses Ringens und verfolge laut Çiya Kurd Hegemonialpläne, die unter anderem auf die Kontrolle strategischer Verkehrs- und Handelsrouten sowie militärischer Schlüsselpositionen abzielten.
Israelische Reaktion: Luftangriffe gegen türkische Pläne
Die zunehmende militärische Präsenz Ankaras – auch tief im syrischen Landesinneren – sei insbesondere für Israel ein Alarmsignal. „Israel sieht in der Ausweitung türkischer Einflusszonen, insbesondere durch die Unterstützung islamistischer Gruppen, eine direkte Bedrohung seiner Sicherheit“, so der Politiker.
In diesem Kontext bewertet Çiya Kurd die jüngsten israelischen Luftschläge als klare Botschaft: „Israel will weder eine weitere Ausdehnung des türkischen Einflusses in Syrien noch eine Stärkung islamistischer Gruppierungen in der Region tolerieren.“ Dabei sei die Sorge Israels nicht unbegründet: Die Türkei kooperiere eng mit der sogenannten Übergangsregierung Syriens und unterstütze islamistische Strukturen militärisch, wirtschaftlich und politisch.
Auswirkungen auf Nordostsyrien
Besonders betroffen von den regionalen Spannungen sind die autonomen Gebiete im Nordosten des Landes. Obwohl die Region als vergleichsweise stabil gilt, warnt Çiya Kurd: „Jeder neue Konflikt, jede weitere Destabilisierung in Syrien betrifft auch uns – direkt oder indirekt.“ Der Politiker fordert, dass alle externen Akteure die Souveränität Syriens respektieren und sich nicht zur Durchsetzung eigener Interessen auf dem Rücken der Bevölkerung engagieren.
Internationale Dynamik
Die jüngsten Entwicklungen könnten auch andere Großmächte auf den Plan rufen. Während Russland versucht, seinen schwindenden Einfluss in Syrien zurückzugewinnen, könnte ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine neue Allianzen und regionale Machtverschiebungen bringen. Auch Iran und die USA spielen eine entscheidende Rolle im syrischen Kontext. Laut Çiya Kurd sei Irans Einfluss auf Syrien in den vergangenen Jahren deutlich geschwunden. „Der Iran ist derzeit selbst mit internen und regionalen Krisen beschäftigt. Dennoch versucht Teheran, jede sich bietende Schwäche im Land zu nutzen, um seinen verlorenen Einfluss wiederherzustellen – aus geopolitischer Sicht bleibt Syrien für den Iran strategisch zentral.“
US-Interessen in Syrien
Die USA wiederum hätten laut Çiya Kurd ihre eigene Agenda in Syrien, die sich zunehmend an sicherheitspolitischen und energiepolitischen Interessen orientiere – und dabei auch auf Eindämmung der türkischen und iranischen Einflussnahme abziele. „Einige europäische Staaten stellen sich mittlerweile deutlich gegen eine weitere türkische Expansion – das könnte in Kombination mit der US-Politik ein Gegengewicht schaffen“, meint Çiya Kurd. Dennoch sei es entscheidend, dass internationale Akteure nicht nur eigene Interessen verfolgen, sondern zur Lösung des Syrien-Konflikts beitragen. Çiya Kurd warnt davor, Syrien als Spielfeld globaler Interessen zu missbrauchen. „Das syrische Volk hat ein Recht auf ein souveränes, demokratisches und stabiles Land.“
Position der DAANES: Politischer Dialog statt Stellvertreterkriege
Die nordostsyrische Selbstverwaltung ruft zur Deeskalation auf und setzt sich weiterhin für eine politische Lösung des Syrien-Konflikts ein. „Wir fordern einen breiten nationalen Dialog aller syrischen Kräfte. Nur so lässt sich ein nachhaltiger Frieden erreichen“, betont Çiya Kurd. Er sieht in der Autonomieverwaltung einen konstruktiven Partner für Stabilität und Demokratie in Syrien.
Rückzug als Voraussetzung für Frieden
Für eine Entspannung der Lage nennt Çiya Kurd eine zentrale Bedingung: „Der vollständige Rückzug der Türkei aus Syrien und das Ende der Einmischung in innersyrische Angelegenheiten ist die Voraussetzung für jede politische Lösung.“ Andernfalls drohe eine weitere Eskalation, die nicht nur Syrien, sondern die gesamte Region erfassen könnte.