PKK-Prozess: Ali E. in Stuttgart zu drei Jahren verurteilt

Ali E. ist wegen PKK-Mitgliedschaft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Der 72-jährige Kurde weist die Einstufung des Freiheitskampfes als terroristisch zurück.

Der kurdische Aktivist Ali E. ist wegen PKK-Mitgliedschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dem 72-Jährige wird nach §§129a/b StGB zur Last gelegt, sich seit September 2011 bis zu seiner Festnahme im März 2022 in Deutschland als Leiter verschiedener „PKK-Gebiete“ betätigt zu haben. Die für eine strafrechtliche Verfolgung erforderliche Ermächtigung wurde vom Bundesjustizministerium – in Absprache mit dem Bundeskanzleramt sowie dem Bundesinnenministerium und Auswärtigen Amt – generell für die sogenannte Kaderebene am 6. September 2011 erteilt.

Monika Morres vom Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. hatte bereits zu Prozessbeginn im November vergangenen Jahres auf den Widerspruch hingewiesen, „dass die Strafverfolgungsbehörden über einen so langen Zeitraum offenbar Hinweise auf eine angeblich terroristische Betätigung des 71-Jährigen hatten, ihn gewähren ließen, aber dann wegen dieser – unter ihren Augen erfolgten – Aktivitäten wegzusperren und anzuklagen“.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte bei der letzten Verhandlung am vergangenen Dienstag auf eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten plädiert, die Verteidigerin von Ali E., Rechtsanwältin Anna Busl, forderte Freispruch für ihren Mandanten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wie AZADÎ gegenüber ANF mitteilte, wird die Verteidigung Rechtsmittel einlegen.

Ali E. mit Familie vor seiner Verhaftung (YÖP)

Die Verurteilung von Ali E. erfolgte unmittelbar nach dem Wahlsieg von Erdogan in der Türkei und der rasant schnellen Gratulation von Bundeskanzler Scholz mitsamt einer Einladung des Autokraten nach Deutschland. Mit diesem Verfahren wurde der dritte „Terrorismus“-Prozess in diesem Monat beendet. So wurde Özgür A. (49) am 10. Mai vom OLG Koblenz zu einer ungewöhnlich hohen Haftstrafe von fünf Jahren und Abdullah Ö. (59) vom OLG Frankfurt am Main einen Tag später zu viereinhalb Jahren verurteilt.

Unvorstellbar grausame Folterung

Ali E.  wurde nach dem Militärputsch vom September 1980 vom 1. Militärgericht von Adana wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ zu einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren und neun Monaten verurteilt. Während der Haft war er schweren Misshandlungen und Folterungen ausgesetzt. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung war er gezwungen, die Türkei zu verlassen. Er reiste Ende Dezember 1988 ins Bundesgebiet ein und wurde als politisch Verfolgter anerkannt. Seit Juni 2001 verfügt er über die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft.

Im Jahre 2007 hatte die türkische Justiz per Interpol-Fahndung („Red notice“) die deutschen Behörden um Auslieferung von Ali E. ersucht, doch lehnte das Bundesamt für Justiz seinerzeit den Vollzug eines Haftbefehls ab. Während eines Aufenthalts in England wurde der Kurde im März 2011 erneut aufgrund einer internationalen Fahndungsnotierung aus der Türkei in London festgenommen. Wegen ungenügender Beweismittel lehnte auch das dortige Gericht eine Auslieferung ab.

Die Einstufung als terroristisch ist zynisch“

Ali E. hat während des Verhandlungen mehrmals interveniert und in seinem Schlusswort betont, dass dieser Prozess nicht gegen ihn geführt werde, sondern gegen das gesamte kurdische Volk. Er konstatierte, dass das gegen ihn geführte Verfahren politisch motiviert sei, und schilderte die unvorstellbar grausamen Folterungen, die er und tausende andere Gefangene in türkischen Kerkern während der Militärdiktatur Anfang der 1980er Jahre durchlitten hätten – oder daran verstarben. Außerdem sprach er von dem „großen Leid der Mütter“, deren Kinder von staatlichen Kräften verschleppt wurden und nie wieder aufgetaucht sind. Mit der Istanbuler „Initiative der Samstagsmütter“ gingen einige von ihnen bis heute auf die Straße und forderten die sterblichen Überreste ihrer vermissten Angehörigen. Tausende solcher Vorkommnisse habe es in dieser Zeit gegeben. „Die Schmerzen und das Leid nicht zu sehen, die dieses Volk erlebt hat, und zu sagen, der Kampf, der geführt wird, sei als Terrorismus einzustufen, ist nichts anderes als Zynismus. Es ist ein sich Entfernen von den menschlichen Werten und Realitätsverleugnung“, so Ali E. in seinem Schlusswort: „Ich habe niemanden verletzt, bin niemandem zu nahegetreten, habe niemanden bedroht. Ich beantrage meine Freilassung.“