Der bewaffnete Widerstand auf der Grundlage der neuen Guerilla-Doktrin besitzt die Qualität, einen historischen Wendepunkt im kurdischen Freiheitskampf zu schaffen. Während der türkische Staat in den Medya-Verteidigungsgebieten auf hochentwickelte Kriegstechnologie und quantitative Überlegenheit setzt, hat sich die Guerilla durch ihren Umstrukturierungsprozess angepasst und kämpft mit Kreativität und Entschlossenheit erfolgreich gegen die Armee des Nato-Partners Türkei. Darauf kommt auch der internationalistische Guerillakämpfer Baran Nûjiyan im letzten Teil der Interviewreihe „Şervanên Azadiyê“ zu sprechen.
„Der Feind versucht mit aller Kraft in Südkurdistan in Zusammenarbeit mit der KDP seine Besatzungsträume weiterzuführen, seine Grenzen auszuweiten“, sagt Nûjiyan. Vor allem in den Regionen Avaşîn, Zap und Metîna sei weiterhin nicht zu übersehen, dass die türkische Armee versuche, „mit allerlei technischem Aufwand, unzähligen Milizen, die aus umliegenden Ländern in die eigenen Reihen gebracht wurden, und vermehrt unter dem Einsatz von Chemiewaffen“ die Guerilla zu besiegen. Von ernsthaften Erfolgen könne man aber nicht sprechen. „Das zeigt sich vor allem schon im Gebrauch der Chemiewaffen. Der Feind verfällt in Verzweiflung. Der Neuaufbau der Guerilla mit neuen Taktiken und Strategien bremst sämtliche Technik, die der Feind auffährt. Und die Freunde in Zap, Metîna und Avaşîn haben wieder unglaublich große Maßstäbe gesetzt, was Widerstand angeht“, so der Kämpfer.
„Wir sind mit unserer Idee eins und unserer Idee verbunden“, fährt Baran Nûjiyan fort. Gerade in dieser Phase zeige sich dies wieder. Der „Feind“ könne keinen Sieg erringen, da sein Gegenüber die Kraft einer Gesellschaft und der Gesellschaftlichkeit sei, die seit Bestehen der Herrschaftsstrukturen sich immer wieder formiert und reorganisierte und zu Aufständen, großen Kämpfen sowie heldenhaften Einsätzen geführt habe. „Das ist eine historische Linie, in der wir uns befinden“, beschreibt Baran Nûjiyan diesen Zustand. Hier sei besonders wichtig, sich dessen auch bewusst zu sein:
„Das ist natürlich eine Quelle der Kraft und die Legitimation dessen. Das sind eben keine kleinen Interessen, das sind menschliche Grundrechte, um die es geht, Grundbedürfnisse und wirklich der Schritt zu Natürlichkeit. Da ist es eben naheliegend, das mit allen Mitteln zu verteidigen und mit allen Mitteln dafür in den Kampf zu gehen. Und das ist die Kraft, die die Freunde dazu veranlasst gegen sämtliche Formen des Angriffs Widerstand zu entwickeln und unter schwierigsten Umständen auch Taktikten und Strategien zu entwickeln und erfolgreich zu sein. Jeder Schritt, der getan wird – wir sehen es allein in diesem Jahr – am Anfang war es gerade der Widerstand in Gare, der führt dazu, dass an anderen Orten wieder Kraft geschöpft wird. Das beeinflusst sich natürlich auch gegenseitig. In dieser Lage, in der wir uns befinden, ist es natürlich – und darauf wollte ich eigentlich hinaus – nichts Isoliertes, was in den Bergen Kurdistans passiert. Es ist etwas, wo jeder Mensch überall Stellung zu beziehen hat, sei es in Alaska, Südafrika oder Australien. Denn es geht um die Frage: Herrschaft und Unterdrückung oder freiheitliches und gesellschaftliches Leben? Da ist es im Endeffekt gezwungenermaßen, eine Position zu beziehen und es ist eine Frage, die jeden etwas angeht. Das ist kein isoliertes Ereignis, das hier stattfindet.
Auf der einen Seite haben wir die kapitalistische Moderne, die mit allen Mitteln versucht sich zu verteidigen – hier meist in der Form des türkischen Staates, aber natürlich auch mit Unterstützung des US-Imperialismus – die mit allen Mitteln ihre Krise managen und auf den Beinen bleiben will, koste es was es wolle. Das zeigt sich auch in der Art und Weise des Kampfes, der Art und Weise des Feindes, der Brutalität wie vorgegangen wird. Sei es in Efrîn in der Besatzung – wo immer man hinschaut, sieht man die Beispiele. Im unbegrenzten Einsatz von Chemiewaffen zeigt sich eben, dass dem Feind alle Mittel recht sind. Auf der anderen Seite kämpfen wir eben für die demokratische Moderne, das heißt für die gesellschaftliche Kraft, die Kraft der Selbstbestimmung. Da kann sich niemand rausreden. Es gilt dazu Position zu beziehen und klar Stellung zu nehmen. Wo ordne ich mich ein? Wie stehe ich dazu?
Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Position zu beziehen und auch aktiv zu werden. Seien es Solidaritätsaktionen in verschiedenen Regionen. Aber vor allem erstmal und das ist wichtig: ein Kennenlernen, diesen Abstand zu verringern, sich bewusst zu machen, worum es geht. Die Philosophie Rêber Apos anzunehmen und verstehen zu lernen, worum es in der Tiefe hier auch geht. Weil es eben nicht nur ein regionaler Konflikt ist oder ein regionaler Kampf, der hier ausgetragen wird. Es geht um die Menschheit und Menschlichkeit an sich. Es ist ein universelles Paradigma, wo es um universelle Menschlichkeit geht. Und es liefert Antwort und Schlüssel und Grundlagen für sämtliche Kämpfe in allerlei Ländern. Und damit eine Auseinandersetzung, eine Diskussion zu führen, mit der Bewegung in Diskussion zu treten, vielfältige Aktionen, die Revolution kennenlernen, auf die Bewegung zugehen.
Es gibt viele Schriften aus der Bewegung, auch deutschsprachige, vor allem viele Tagebücher von Internationalisten, vor allem von solchen, die im Kampf gefallen sind. Das sind alles Wege, den Kampf hier kennenzulernen. Der Punkt ist, die Entscheidung zu treffen, die volle Konsequenz zu ziehen. Und die ist eben sich zu sagen, sein Leben dem Kampf zu widmen. Aus einer europäischen Perspektive klingt das erstmal nach Aufopferung, aber darum geht es gar nicht. Jeder, der diesen Schritt tut und hierherkommt, sieht, dass es vielmehr der Befreiungsaspekt ist – als Mensch sich selbst zu befreien. Es ist eher eine Hilfestellung, die wir entgegennehmen. Aber diese europäische Annäherung lässt einen das falsch verstehen.“
Zum Ende des Gesprächs fasst Baran Nûjiyan in einem Aufruf die vielfältigen Möglichkeiten zusammen, wie eine aufrichtige Haltung zum Krieg in Kurdistan, der jetzt gerade wieder sehr ausgeprägt laufe, aussehen kann: „Wirklich Stellung zu beziehen, sich Informationen zu beschaffen und in Umlauf zu bringen, das Gespräch darüber am Laufen zu halten und genauso die Grundlagen und die Tiefe in Gesprächen auszuführen, verstehen lernen, zu verstehen geben. Das sind wichtige Punkte. Was ich als Internationalist auch persönlich sagen kann, ist der Wunsch, dass wir das anderen Menschen auch zugänglich machen können, dass andere Menschen auch dieses Glück erfahren können. Was eben heißt, innerhalb dieser Bewegung teilzunehmen und eine Rolle zu spielen.“