Seit den Wahlen in der Türkei vom 24. Juni ist etwas mehr als ein Monat vergangen. Vor den Wahlen stellte eine Besetzung von Bradost und Qendîl eines der zentralen Argumente in den Propagandamedien der AKP und Tayyip Erdoğans dar. Natürlich waren diese Angriffe weder außergewöhnlich, noch alleine auf Wahlpropaganda beschränkt.
Die Guerilla hat die Pläne durchkreuzt
Die Operationen sind nur vor dem Hintergrund eines größeren Plans unter Beteiligung der USA, Großbritanniens und der südkurdischen PDK zu verstehen. So wollten die USA, Großbritannien und weitere internationale Mächte die Türkei dafür benutzen, den Druck auf den Iran zu erhöhen. Demgegenüber wurden das Abkommen von Minbic, der Machterhalt Erdoğans und die Ausweitung der besetzten Gebiete in Rojava und Südkurdistan als Gegenleistung mit der Türkei vereinbart. Aber dennoch lief es nicht wie geplant. Die Reaktionen der Bevölkerung Südkurdistans und die seit März stattfindenden wirksamen Guerilla-Aktionen stellten ein Hindernis bei der Durchführung des Plans dar. Weil die Besatzung nicht so funktionierte, wie Erdoğan geplant hatte, konnte auch der andere Teil, die Intervention im Iran, nicht stattfinden.
Erdoğan und die AKP haben im Dezember 2017 mit den Invasionsangriffen auf Bradost begonnen und bereiteten sich im März 2018 ernsthaft auf einen neuen Anlauf vor. In den Monaten März bis April wurde die Region aus Kampfflugzeugen und Kobrahubschraubern 24 Stunden am Tag bombardiert, permanent kreisten Aufklärungsflugzeuge über den Gebieten. Trotzdem konnte die Armee nur fünf Kilometer in die Region vordringen. Auf den Gipfeln Siro, Partîzan und Lêlîkan wurden unter massiven Luft- und Artillerieangriffen mit Sikorsky-Transporthubschraubern Truppen in der Bergregion abgesetzt. Diese Soldaten gerieten von allen Seiten ins Visier der Guerilla. Gegen die genannten vom türkischen Staat besetzten Gipfel wurden bislang etwa 80 Aktionen durchgeführt. Die Guerilla hat Aufnahmen der meisten Aktionen veröffentlicht. Die türkische und internationale Öffentlichkeit hat gesehen, wie die als exzellent bezeichnete türkische Armee scheiterte und in welch aussichtsloser Lage ihre Soldaten dem Tod überlassen wurden.
Mehr als 270 Soldaten gestorben
Bei den Aktionen der Guerilla starben mehr als 270 Soldaten. Es ist bedauerlich, dass die türkischen Medien nicht einmal die Todesnachrichten der Kinder der armen Bevölkerung, die zum Sterben nach Südkurdistan geschickt wurden, brachten. Die Guerilla gab ihre Aktionen Tag für Tag bekannt. Sie zeigte die erbeuteten Waffen und Ausrüstungsgegenstände der Öffentlichkeit. Der türkische Staat verbarg den Tod der Kinder aus der armen Bevölkerung. Wenn Helme der Soldaten und Waffen öffentlich gezeigt wurden, dann wurden Verluste gelegentlich in Randspalten eingeräumt. Das zeigt, dass keinem Soldaten so viel Wert wie einer Waffe beigemessen wird.
Schlag auf Schlag in Bradost
Während der türkische Staat in Lêlîkan, Ali Direj, Partîzan und Avdol Kovi andauernd gut dokumentierte und schwere Schläge einstecken musste, versuchte er die Niederlage durch Erfolgsmeldungen zu verschleiern. „Wir rücken auf Qendîl vor“, hieß es etliche Male in den Schlagzeilen. Auf diese Weise kam Qendîl ganz oben auf die Tagesordnung. Eine Invasion auf Qendîl war Teil des Plans. Es handelt sich um einen entscheidenden Teil des Vorhabens, dass die Besatzung in Bradost begonnen und dann bis Qendîl vorgerückt werden sollte.
Dieser Plan wurde immer wieder von Innenminister Süleyman Soylu und dem damaligen Premierminister Binali Yıldırım in entsprechenden Erklärungen offen zur Sprache gebracht. Soylu sagte, „Wir stehen zwanzig Kilometer vor Qendîl“ und Yıldırım sprach von elf Militärbasen im „Nordirak“. Diese Erklärungen zeigten die Richtung des Plans an. Qendîl wurde auf die Tagesordnung gesetzt, um die schweren Verluste in Bradost zu verbergen. Mit Erlaubnis des südkurdischen Regierungschefs von der PDK, Neçirvan Barzanî, wurde mit Hilfe des Regierungssprechers Sefin Dizai versucht, die heftigen Verluste zu verschleiern. Korrespondenten der AKP-nahen Presseagentur Anadolu Ajans wurden in eine PDK-Basis auf den Korek-Gipfel im Qendîl-Gebirge geschickt. Von diesem Stützpunkt aus machten sie eine Liveübertragung. Es handelte sich lediglich um den Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen.
Proteste der südkurdischen Bevölkerung gegen Haltung der PDK
Einerseits ließen die wirksamen Aktionen der Guerilla den Besatzungsplan scheitern und fügten dem unter vollständiger Kontrolle Erdoğans stehenden türkischen Militär schwere Verluste zu. Andererseits taten die Proteste der südkurdischen Bevölkerung ebenfalls ihre Wirkung. Nachdem Neçirvan Barzanî Erklärungen abgegeben hatte, in denen er die türkische Invasion legitimierte, ging er noch weiter und tat so, als gebe es diese türkische Besatzung gar nicht. Er erklärte die kurdische Freiheitsbewegung, die für die Befreiung Kurdistans in einem halben Jahrhundert Kampf mehr als 40.000 Gefallene gegeben hat, sogar selbst zu Besatzern. Daraufhin fanden in neun Städten und vielen Dörfern und Siedlungen in Südkurdistan Proteste gegen die Besatzung und die Äußerungen Barzanîs statt.
Die Bevölkerung reagierte auf diese Weise sowohl auf Erdoğans als auch auf Barzanîs Erklärung vom Vortag. Der türkische Staat hat auf politische Parteien, Organisationen und die südkurdische Bevölkerung pausenlos Druck ausgeübt, um sie zu Komplizen zu machen. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte mit der Äußerung „Hewlêr ist mit uns, aber ein Teil von Gorran und YNK ist nicht mit uns.“
Demgegenüber hatte die Gorran-Bewegung erklärt, der kurdische Freiheitskampf sei wesentlicher Bestandteil der Bewegung und werde unterstützt. Damit machte sie ihre Opposition gegenüber der Invasion erneut deutlich und vermittelte Barzanî die Botschaft, dass Kurdistan die Heimat aller kurdischen Organisationen ist. Daraufhin erklärten Menschen aus den betroffenen Gebieten, Intellektuelle, Aktivistinnen und Jugendliche in Interviews mit verschiedenen Fernsehkanälen „die PKK ist in Südkurdistan in ihrem eigenen Land“. Zuletzt hatte auch die Islamische Bewegung eine deutliche Erklärung in diese Richtung abgegeben.
Nach den Wahlen wurde das Thema fallengelassen
Aufgrund dieser Entwicklung verstummten nach den Wahlen die Rufe Erdoğans und der AKP nach einer Übernahme Qendîls. Erklärungen zur Invasion und zum Invasionsplan sind praktisch unmöglich geworden. Sie wurden von der Tagesordnung gestrichen. Seit den Wahlen ist nun etwas mehr als ein Monat vergangen. Die Herren, die Dutzende Male von einer Besatzung gesprochen haben, tun jetzt so als, als hätten sie nie derartiges behauptet und insbesondere Erdoğan und die AKP-Generäle schweigen. Das bedeutet allerdings nicht, dass dieser Besatzungsplan vorbei ist. Er dauert immer noch an. Der Plan Erdoğans und der AKP, den Krieg gegen die Guerilla nach Südkurdistan zu tragen, hat jedoch einen schweren Schlag erlitten. Denn das war ein anderes wichtiges Ziel dieses Plans, den Krieg aus dem Norden und der Türkei vollständig nach Südkurdistan zu verlagern.
Die AKP wird gezwungen sein, den Krieg in Nordkurdistan und der Türkei hinzunehmen. So hat sich die Guerilla in Nordkurdistan und der Türkei ebenfalls mobilisiert und setzt wirksame Aktionen um. Demgegenüber geht der Plan immer noch weiter, weil Erdoğan und sein Besatzerheer massive Vorbereitungen für dessen Fortsetzung treffen. An den Grenzen nach Südkurdistan werden pausenlos militärische Kräfte zusammengezogen und die Berge Südkurdistans werden immer wieder bombardiert.
Die Wut der Menschen in Südkurdistan wächst. Es wird unvermeidlich sein, dass Erdoğan und der türkische Staat auf noch härteren Widerstand stoßen werden, sollten sie ihren Plan fortsetzen.