Kommentar: Şengal auf dem Weg in die Autonomie
Vier Jahre sind nach dem genozidalen Angriff des IS auf Şengal vergangen. Der Genozid von Şengal zielte darauf ab, eine der ältesten Weltanschauungen, das Ezidentum, zu vernichten.
Vier Jahre sind nach dem genozidalen Angriff des IS auf Şengal vergangen. Der Genozid von Şengal zielte darauf ab, eine der ältesten Weltanschauungen, das Ezidentum, zu vernichten.
In Şengal wurden Tausende Ezid*innen ermordet; Tausende Frauen entführt. Gemeinsam mit den Frauen wurden die Kinder verschleppt. Für diesen Genozid ist nicht allein der sogenannte Islamische Staat (IS) verantwortlich. Auch die südkurdische PDK, welche die Verteidigung von Şengal für sich beanspruchte, ist verantwortlich. Die PDK hatte vor dem Angriff des IS nicht akzeptiert, dass die PKK die Guerilla schickt und man gemeinsam Şengal verteidigen würde. Kurz vor dem Angriff auf Şengal hatten sie sogar noch einige Guerillakämpfer verhaften lassen, die in den Şengal zu dessen Verteidigung aufgebrochen waren. Sie sagten: „Wir brauchen niemanden zur Verteidigung von Şengal.“ Aber sie konnten nicht einmal Hewlêr, geschweige denn Şengal verteidigen. So wie Şengal hat die Guerilla auch Hewlêr verteidigt. Sie haben am sogenannten Tor von Hewlêr, in Maxmûr und Umgebung Widerstand geleistet und den IS zurückgeschlagen. Als die PDK dabei war, Kerkûk wie Hewlêr zu räumen, ging die Guerilla nach Kerkûk und verhinderte den Angriff des IS. Kann man das jetzt vergessen, nachdem der IS zurückgedrängt und besiegt ist? Diejenigen, die dem IS eine Niederlage zugefügt haben, waren ebenfalls die Volksverteidigungskräfte HPG und die Kämpferinnen der YJA-Star, wie auch die Einheiten der YPG und YPJ.
Jetzt sollen diese Guerilla-Kräfte durch eine Allianz aus Türkei und PDK vernichtet werden, obwohl die Haltung der Türkei zum Unabhängigkeitsreferendum und zur Besetzung von Kerkûk bekannt ist. Die Türkei will nicht nur die PDK, sondern auch andere südkurdische Kräfte in ihren Plan einbeziehen. Es heißt, die Patriotische Union Kurdistan (YNK) solle ebenfalls eingebunden werden. Der türkische Staat übt daher Druck auf die YNK aus. Die Guerilla hat gemeinsam mit den YNK-Peschmerga vier Jahre lang gemeinsam die Stellung gegen den IS gehalten. Es ist nicht möglich, die Peschmerga der YNK gegen die Guerilla einzusetzen, und auch die Mehrheit der PDK-Peschmerga ist dazu nicht bereit. Daher will sich die PDK weniger am offenen Krieg beteiligen, sondern leistet der Türkei vor allem nachrichtendienstliche Unterstützung. Sie verschließt die Augen vor der Invasion der türkischen Armee. Sie hat zum Beispiel die Bevölkerung aufgerufen, die Guerilla gegen die türkische Armee nicht zu unterstützen, sondern den Soldaten zu helfen. Daraufhin sollen türkische Soldaten in manchen Dörfern als Gegenleistung Nahrungsmittel verteilt haben.
Was ist der Unterschied zwischen dem Angriff des IS auf Şengal und dem Angriff der Türkei auf die Medya-Verteidigungsgebiete? Der IS wollte an den Ezid*innen einen Völkermord verüben. Die Türkei will Südkurdistan besetzen und die Guerilla, welche die Freiheit aller Kurd*innen einschließlich der Ezid*innen verteidigt, vernichten und an den Kurd*innen einen Genozid verüben. Auch Südkurdistan wird Ziel dieses Angriffs werden. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Angriff des türkischen Staates auf die Medya-Verteidigungsgebiete und dem Angriff des IS auf Şengal. Der türkische Staat hat bereits auf die Kräfte, die Şengal verteidigten, einen Luftangriff verübt und dabei fünf Peschmerga getötet.
Hinter dem IS steht die Türkei. Der IS hat sich aus der al-Qaida im Iraq entwickelt. Die Beziehungen der Türkei zu al-Qaida sind bekannt. Der für seine Unterstützung von al-Qaida im Irak zum Tode verurteilte ehemalige stellvertretende irakische Republikspräsident Tarik Hashimi ist in die Türkei geflohen, nachdem er sich zuerst bei der PDK in Hewlêr versteckte. Auch der Gouverneur von Mosul, der die Stadt dem IS überlassen hatte, floh nach Hewlêr. Es heißt, der IS habe der PDK-Regierung für den Rückzug aus Şengal versprochen, Südkurdistan nicht anzugreifen, sich aber dann nicht daran gehalten. „Der IS hat sich nicht an die Abkommen gehalten“, hieß es. Es ist auch nicht zu vernachlässigen, dass die Türkei gemeinsam mit der PDK gegen die iranisch beeinflusste Maliki-Regierung Position bezogen hat. Auch der IS war de facto Verbündeter auf dieser sunnitischen Achse. Dass die Peschmerga der PDK Şengal ohne Widerstand verlassen haben, ist ebenfalls verdächtig. Während zwölf leicht bewaffnete Guerillakämpfer den IS aufhielten, hätten da Tausende Peschmerga mit schweren Waffen nichts tun können? Die Peschmergas sagten: „Wir haben den Befehl erhalten und uns zurückgezogen.“ Es heißt, Mesûd Barzanîs Kommandant für Şengal sei des Amtes enthoben worden. So will die PDK ihre Verantwortlichkeit für Şengal verbergen und hat einen Sündenbock gefunden. Wie der Völkermord in Şengal möglich war, ist bisher nicht vollständig geklärt. Die Zeit wird es ans Tageslicht bringen. Aber es ist wie die PKK sagt, die Guerilla hat auch die Ehre der PDK gerettet. Sie hat auch die Ehre von Neçirvan Barzanî gerettet, der heute mit den Worten der Türkei gegen die Guerilla hetzt.
In Şengal ist Geschichte geschrieben worden. Das wird niemand vergessen machen können. Aus diesem Grund wird in Şengal nichts mehr sein wie früher. Şengal ist seit ein paar Jahren autonom; die Ezid*innen verwalten sich selbst. Auf der einen Seite will der Irak, auf der anderen Seite die PDK diese autonome Selbstverwaltung auflösen und wie früher die Kontrolle an sich reißen. Aber das ist nicht so einfach. Şengal wird nun von seinen Bewohner*innen selbst verwaltet. Ezidische Kollaborateure der PDK oder des Iraks können Şengal nicht in deren Namen beherrschen. Şengal hat sowohl das moralische als auch das politische Recht, innerhalb der Einheit des Irak autonom zu leben. Şengal wie früher beherrschen zu wollen, stellt eine Respektlosigkeit den bei dem völkermörderischen Angriff Gefallenen und den entführten Frauen gegenüber dar.
Wenn die PDK und der Irak ihre Ehre retten wollen und sie sich damit auseinandersetzen, dass sie Şengal nicht verteidigt haben, wenn sie sich dafür selbst kritisieren, dann müssen sie die Autonomie der Region akzeptieren. Ein autonomes Şengal stärkt sowohl den Irak als auch Südkurdistan. Wer die Autonomie der Ezid*innen unterstützt, der gewinnt sowohl moralisch als auch politisch. Wer Şengal wie früher zentralistisch beherrschen will, wird verlieren. Durch die Autonomie der Ezid*innen gewinnt die ganze Welt. Eigentlich können die UN und die EU als Garanten für die Autonomie der Ezid*innen eine Rolle spielen. Wenn der Irak ein autonomes Êzîdxan unterstützt, ist das für den gesamten Mittleren Osten und für die Welt von Vorteil, denn ein demokratisch-autonomes Şengal trägt zu einer Demokratisierung des Iraks und Südkurdistans bei.
Die Bemühungen der Ezid*innen um Autonomie sind ebenfalls nicht ausreichend. Die Menschen in Şengal können ein autonomes Leben aufbauen und den Irak und die PDK dazu zwingen, dies zu akzeptieren. Durch eine de facto Autonomie kann Legitimität gewonnen werden und der Irak wird gezwungen sein, diese Situation zu legalisieren. Leider erwarten viele Ezid*innen, dass ihnen etwas gegeben wird und verfolgen so eine falsche Politik. Die Aktivitäten der Ezid*innen außerhalb von Êzîdxan sind ebenfalls ungenügend. Die Ezid*innen in Şengal haben viel erreicht. Aber die Bemühungen um einen Status sind nicht ausreichend. In Şengal muss zuallererst eine demokratische Autonomie aufgebaut werden und dann müssen der Irak und die ganze Welt dazu gebracht werden, sie zu akzeptieren. Es ist noch nicht zu spät, denn die Autonomie nützt allen. Vor allem dem Irak und Südkurdistan.
Yeni Özgür Politika