UN-Berichterstatter:innen fordern Freilassung von Fincancı

Fünf Sonderberichterstatter:innen der UN fordern die Türkei auf, die verhaftete Präsidentin der Ärztekammer, Şebnem Korur Fincancı, unverzüglich freizulassen und Antiterrorgesetze nicht als Mittel der Einschüchterung zu verwenden.

UN-Expert:innen haben heute die Türkei aufgefordert, „die Anwendung von Antiterrorgesetzen zur Einschüchterung von Menschenrechtsverteidiger:innen einzustellen und die kürzlich inhaftierte Şebnem Korur Fincancı, eine anerkannte Gerichtsmedizinerin und Anti-Folter-Expertin, unverzüglich freizulassen“. Fincancı ist Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB) und am 27. Oktober in Ankara verhaftet worden, weil sie sich öffentlich für eine Untersuchung der Vorwürfe hinsichtlich des Einsatzes von chemischen Waffen in Kurdistan ausgesprochen hat.

Vermutlich als Vergeltungsmaßnahme verhaftet“

Die UN-Sonderberichterstatter:innen weisen darauf hin, dass Fincancı an der Entwicklung der Referenzstandards der Vereinten Nationen für die Untersuchung und Dokumentation von Folterfällen (Istanbul-Protokoll) mitgewirkt hat. Sie sei aus ungeklärten Gründen in ihrer Wohnung festgenommen worden, „vermutlich als Vergeltungsmaßnahme für ihre öffentlichen Äußerungen, in denen sie eine Untersuchung des angeblichen Einsatzes chemischer Waffen und der damit verbundenen Todesfälle durch das türkische Militär forderte“.

Ihre Verhaftung scheine „Teil eines bewussten Musters der Anwendung von Anti-Terror-Gesetzen zu sein, um Menschenrechtsverteidiger und -organisationen zu diskreditieren und ihre wichtige Menschenrechts- und medizinische Arbeit zu unterbrechen", so die Expert:innen. „Wir haben viele Fälle dokumentiert, in denen die Anti-Terror-Gesetzgebung und andere strafrechtliche Bestimmungen verwendet wurden, um zivilgesellschaftliche Akteure in der Türkei, darunter auch Dr. Fincancı, unter fadenscheinigen Gründen zu schikanieren, zu verhaften, inhaftieren und zu verurteilen. Solche Angriffe, die darauf abzielen, den sicheren zivilgesellschaftlichen Raum zu verkleinern, untergraben die Rechtsstaatlichkeit und stellen einen Eingriff in die Grundfreiheiten und demokratischen Werte dar. Untersuchungshaft, die über die erste Befragung hinausgeht, ist eine außergewöhnliche Maßnahme, deren weitere Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit von einem Gericht genehmigt werden muss“, erklären die UN-Expert:innen und betonen:

„Die Fähigkeit von Menschenrechtsverteidigern und Medizinern, der Macht die Wahrheit zu sagen, muss geschützt werden. Ihre Rolle bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen ist einer der Eckpfeiler demokratischer Gesellschaften, und die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit sind Rechte, die durch internationale Menschenrechtsgesetze geschützt sind."

Fincancı muss unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden“

Die Expert:innen fordern die türkischen Behörden auf, Fincancı und andere zivilgesellschaftliche Akteure, die aus politisch motivierten Gründen inhaftiert sind, unverzüglich und bedingungslos freizulassen, ihren Zugang zu grundlegenden Garantien zu gewährleisten und ihre geistige und körperliche Unversehrtheit innerhalb und außerhalb der Haft zu schützen.

„Die Türkei ist unter anderem Vertragspartei des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das sie 1988 ratifiziert hat. Diese Ratifizierung verpflichtet die Vertragsstaaten, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Folter und ähnliche Misshandlungen oder Bestrafungen zu verhindern und damit zusammenhängende Straftaten zu untersuchen und zu verfolgen. Die Androhung von Verhaftung und Inhaftierung sowie die Einschüchterung durch die Justiz verursachen ein hohes Maß an Stress und Angst, was einer psychologischen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung gleichkommen könnte, die gegen das Völkerrecht verstößt. Die Türkei ist auch Vertragspartei des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, den sie 2003 ratifiziert hat und der willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen verbietet“, so die UN-Sonderberichterstatter:innen, die sich mit ihren Forderungen direkt an die türkische Regierung gewandt haben.

Die UN-Expert:innen

Bei den UN-Expert:innen, die sich für die Freilassung von Fincancı einsetzen, handelt es sich um Alice Jill Edwards, Sonderberichterstatterin über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Mary Lawlor, Sonderberichterstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidigern; Fionnuala Ní Aoláin, Sonderberichterstatterin für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus; Tlaleng Mofokeng, Sonderberichterstatterin für das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit, und Morris Tidball-Binz, Sonderberichterstatter für außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen.

Die Sonderberichterstatter:innen sind Teil der so genannten Sonderverfahren des Menschenrechtsrates. Sonderverfahren, das größte Gremium unabhängiger Experten im UN-Menschenrechtssystem, ist die allgemeine Bezeichnung für die unabhängigen Untersuchungs- und Überwachungsmechanismen des Rates, die sich entweder mit spezifischen Ländersituationen oder mit thematischen Fragen in allen Teilen der Welt befassen. Die Expert:innen der Sonderverfahren arbeiten auf freiwilliger Basis; sie sind keine UN-Mitarbeiter und erhalten kein Gehalt für ihre Arbeit. Sie sind unabhängig von jeder Regierung oder Organisation und arbeiten in ihrer eigenen Eigenschaft.