Türkei: Ermittlungen gegen Soldaten wegen Mord an Schutzsuchenden verzögert

Im August sind fünf Schutzsuchende in der Türkei von Soldaten getötet worden. Auf Befehl des Kommandanten der Einheit wurden sie in den Fluss Meriç geworfen und ertranken. Die türkische Justiz verschleppt die Ermittlungen.

Im August ereignete sich ein Verbrechen der türkischen Armee an Schutzsuchenden. 45 Geflüchtete mussten sich auf Anordnung von Soldaten am 24. August am Ufer des Flusses Meriç (Evros) bei Edirne aufstellen. Dann gab eine Person, die als „Kommandant“ angesprochen wurde, den Befehl, die Menschen in Fünfergruppen in den Fluss zu werfen. Dabei starben fünf von ihnen, viele weitere bleiben vermisst. Obwohl der Fall klar ist, werden die Ermittlungen seit zwei Monaten verzögert. Die Täter sind aufgrund der Verweigerungshaltung der Staatsanwaltschaft immer noch nicht identifiziert. Anwält:innen beklagen die Straflosigkeit für das Verbrechen.

Straflosigkeit von Sicherheitskräften „normale Sache“

Die Generalstaatsanwaltschaft von Edirne hat nach dem Vorfall eine Untersuchung eingeleitet, aber es wurden bisher praktisch keine Fortschritte in den Ermittlungen erzielt. Der Verein der freiheitlichen Jurist:innen (ÖHD) vertritt vier der Überlebenden. Rechtsanwalt Ahmet Baran Çelik von der Istanbuler Abteilung des Vereins warnt vor Vertuschung von Beweisen: „Die Politik der Straflosigkeit bei Verbrechen, an denen Sicherheitskräfte beteiligt sind, oder bei solch schweren Fällen, ist eine normale Sache. Bei vielen Verbrechen werden die beteiligten Sicherheitskräfte größtenteils nicht identifiziert.“ Çelik kritisiert, dass sich die Staatsanwaltschaft nicht aktiv darum bemühe, die Überlebenden zu vernehmen: „Dieser Fall wäre sehr einfach für einen Staatsanwalt, der [die Wahrheit über] den Fall aufdecken will.“

Çelik warnt, dass der Fall zügig verfolgt werden müsse - den Verantwortlichen drohten Anklagen wegen Mordes, versuchten Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wenn die Verdächtigen nicht verfolgt und Beweise nicht gesammelt würden, dann könnten diejenigen, die die Schutzsuchenden in den Fluss geworfen haben, einer Strafe entgehen.

„Es handelt sich um ein sehr schweres Verbrechen“, sagt Çelik. „Es muss sofort gehandelt und aufgeklärt werden. Dies ist kein Fall, der verschleppt werden darf. Meine Mandanten sagten in ihren Aussagen, dass sie die an dem Vorfall beteiligten Soldaten identifizieren könnten, wenn sie sie sehen würden. Die Verantwortlichen müssen ausfindig gemacht, identifiziert und anklagt werden."

Der Anwalt warnt davor, dass die Soldaten und der verantwortliche „Kommandant“ aus dem Land fliehen könnten, wenn die Ermittlungen nicht schnell vorangingen. „Die an dem Vorfall beteiligten Soldaten können an andere Orte gehen. Bei der als ‚Kommandant‘ bezeichneten Person handelt es sich um eine Person von Rang, aber Gefreite werden nach sechs Monaten entlassen. Einige könnten sogar schon aus der Armee ausgeschieden sein. Möglicherweise sind sie bereits geflohen, denn wenn sie für das Verbrechen verurteilt würden, dann erhielten sie eine verschärfte lebenslange Haftstrafe“.

Ein langwieriges oder ergebnisloses Gerichtsverfahren könnte das Trauma, das die Schutzsuchenden bereits erlebt haben, noch verschlimmern, so Çelik. Sie könnten in einem anderen Land Asyl beantragen oder aus Angst und Furcht in ihre Heimatländer zurückkehren. So wäre die Ermittlung des Verbrechens bei Verschleppung des Verfahrens ebenfalls kaum noch möglich.