SEK-Einsatz in Wuppertal: Kollateralschäden der Staatsraison

Am Samstag stürmten schwer bewaffnete SEK-Einheiten einen Zug und nahmen einen älteren Herrn und seine Begleiterin fest. Während die Springer-Presse feierte, es sei ein „RAF-Rentner“ festgenommen worden, entpuppte sich die Aktion als Ente.

Am Samstag ereignete sich ein schwerer Polizeiübergriff auf ein Paar in einem Zug bei Wuppertal. Der Zug wurde unter dem Vorwand einer Störung aufgehalten, als Sondereinsatzkommandos der Polizei die Bahn stürmten und einen Mann festnahmen. Gleichzeitig folgten Durchsagen von einem angeblichen Sprengsatz im Zug.

Die Springer-Presse feierte, man habe nun endlich einen der „RAF-Rentner“ ergriffen - eine abschätzige Alliteration mit nach der Auflösung der Stadtguerilla RAF abgetauchten und bis heute nicht gefassten Personen. Nur kurze Zeit später entpuppt sich alles als Medien-Ente. Schwer bewaffnete, vermummte Polizist:innen hatten offenbar eine vollkommen unbescholtene Person überfallen. Dabei handelt es sich um eine Praxis, die an ein Revival des „deutschen Herbstes“ erinnert. Angesichts der praktizierten „Shoot to kill“-Politik, also erst schießen, dann fragen, gegenüber angeblichen RAF-Mitgliedern, die insbesondere in den Jahren des bewaffneten Kampfes immer wieder Unbeteiligten das Leben gekostet hat, kann man auch von Glück reden, dass es diesmal so glimpflich ausgegangen ist. Auch ein Herzinfarkt vor Schreck über den Überfall wurde offensichtlich billigend in Kauf genommen. Dass gleichzeitig die Rede von einem Sprengsatz im Zug war, zeigt die Nervosität, mit der der Einsatz durchgeführt wurde.

Staat versucht Schmach auszuwetzen

Eine Nervosität, mit dem Staat offensichtlich eine Schmach in seiner Staatsraison auswetzen möchte. Die angeblichen Kämpfer:innen der sogenannten dritten Generation der RAF wurden bis heute nicht gefasst. Statt das Kapitel abzuschließen, versucht der Staat immer von neuem hochgefährlichen Repressionsdruck aufzubauen. So bediente er sich Aktenzeichen XY, einem beliebten Werkzeug der Menschenjagd. Bereits vor dem Deutschen Herbst 1977 wurde das Sendeformat berüchtigt für seine Beteiligung an der Hatz auf alles Linke, was sich in der BRD bewegte. Langhaarige wurden als Kriminelle und Drogenabhängige dargestellt und bis heute werden in der Sendung rassistische Stereotype kolportiert.

Aktenzeichen XY: „Endgültige Ausschaltung“ der Untergetauchten mit Publikumshilfe

So kam es nicht von ungefähr, dass die Fahndung nach den „RAF-Rentnern“ von „Aktenzeichen XY“ neu aufgenommen wurde. Bereits der eliminatorischen Tonfall schien aus dem Deutschen Herbst importiert: So hieß es am 6. März, die drei angeblichen RAF-Rentner:innen Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst Volker Staub sollten nun „endgültig ausgeschaltet werden“, dazu sei man aber auf die Hilfe der Zuschauer:innen angewiesen. Einen ähnlichen Ton schlägt der Verdener Oberstaatsanwalt Koray Freudenberg in der Sendung an, wenn er davon spricht, dass „Unterstützer beachten sollten, dass es aufgrund des Verlusts von kognitiven Fähigkeiten bei einer Konfrontation mit der Polizei durchaus zu Todesfällen kommen kann“.

Menschenjagd geht los

Es wurde also erneut zur Menschenjagd geblasen. Ulrike Meinhof hatte noch vor der Gründung der RAF in der Konkret über die Sendung Aktenzeichen XY geschrieben, sie mache deutlich, „inwieweit Kriminelle sich als Hassobjekte in Deutschland eignen und inwieweit Deutsche auf diese faschistische Manier mobilisierbar und gleichzeitig kontrollierbar“ seien. Diese mehr als sechzig Jahre alte These von Ulrike Meinhof sollte sich nun erneut bewahrheiten. Die ausgerufene Menschenjagd zeitigte bisher angeblich mehr als 161 Hinweise, darunter der Fall in Wuppertal, wo offenbar eine Person im Zug vermeintlich als der 69-jährige Ernst-Volker Staub erkannt und der Polizei gemeldet wurde. Nach der telefonischen Denunziation durch einen Mitreisenden wurde am Samstag die Strecke zwischen dem Ruhrgebiet und Köln gesperrt. Mehrere Fernzüge der Deutschen Bahn waren von der Störung betroffen. In wartenden Zügen wurde durchgesagt, es sei ein Sprengsatz gefunden worden. Der Zug, in dem der Betroffene saß, wurde wegen einer angeblichen Störung aufgehalten. Schwer bewaffnete SEK-Einheiten bezogen Augenzeugen zufolge zunächst Stellung am gegenüberliegen Busbahnhof und stürmten anschließend den Zug. Glücklicherweise reagierte das Paar im Zug besonnen und konnte widerstandslos festgenommen werden. Was folgte, war für die Betroffenen sicherlich nur kafkaesk. Aufgrund einer „Ähnlichkeit“, wie es bei der Polizei hieß, dauerte die Feststellung länger, dass es sich dem Betroffenen nicht um den Gesuchten handelte.

Kollateralschäden der Staatsraison

Während also Aktenzeichen XY von der „Traumatisierung“ von Betroffenen durch die angeblichen Geldbeschaffungsmaßnahmen der drei Untergetauchten schwadronierte, traumatisierte das SEK in Wuppertal einen ganzen Zug und man kann von Glück reden, dass es keine Toten gab. Man kann auch nur hoffen, dass die Betroffenen den Schreck, von vermummten Polizisten in einem abgedunkelten Zug überfallen und für „Terroristen“ gehalten zu werden, gesund überstanden haben. Aber das sind offensichtlich Kollateralschäden der Staatsraison.