Die Situation, die Gerhard Trabert schildert, ist vielerorts hoffnungsvoll, gleichzeitig jedoch auch besorgniserregend. Er zeigte Fotos aus Kobanê, Raqqa, Minbic und Tebqa und berichtete davon, dass in Syrien zwei- bis dreihunderttausend Menschen aufgrund mangelnder Gesundheitsversorgung ihr Leben verloren hätten. 50 Prozent der Kinder seien traumatisiert. Es komme aufgrund des Stresses durch die Kriegssituation zu vermehrten Fehl- und Frühgeburten, aber es gäbe keine Inkubatoren. Seit sechs Monaten versuche er über eine Hilfsorganisation einen modernen Inkubator nach Rojava zu bringen, das internationale Embargo verhindere dies. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) kooperiere nur mit Assad. Material, das für Rojava bestimmt sei, komme so nicht an, das Regime gebe manchmal moderne Apparate an ihren Bestimmungsort weiter, gebe aber dann die Passwörter bewusst nicht heraus, so dass alles unbrauchbar sei.
Drohender Angriff auf Minbic
Auch Medicin Sans Frontiere habe sich aus Minbic zurückgezogen, angeblich sei kein Geld da. Professor Trabert bezweifelt das. Er geht davon aus, die Organisation habe sich zurückgezogen, da sie bei einem geplanten Angriff der Türkei auf Minbic ihre Mitarbeiter nicht in der Region haben wollten.
Er berichtete weiter über den Mangel an Medikamenten für chronisch Kranke, wie zum Beispiel Insulin. Außerdem gebe es in Rojava wie in der gesamten Region bei vielen Menschen einen Gendefekt, die sognannte Mittelmeeranämie, die zu einem Sauerstoffmangel im Blut führe. Daher bräuchten die betroffenen Kinder ständig Bluttransfusionen, diese führen aber wiederum zu einem erhöhten Eisenspiegel, der nur durch ein bestimmtes Medikament wieder abgebaut werden könne und dieses gebe es in Rojava nicht. Die betroffenen Kinder würden daher in fünf bis zehn Jahren sterben, nur weil es dieses Medikament aufgrund des Embargos nicht gebe.
Bewusste politische Entscheidung
Das Außenministerium der Bundesrepublik habe bewusst eine politische Entscheidung getroffen, dass Rojava nicht unterstützt werde, so Jan van Aken, der die Veranstaltung moderierte. In ihren Augen seien die Menschen in Rojava „alle PKK“ und um Erdoğans Forderungen zu erfüllen, unterstütze man das Embargo. Diese mangelnde Unterstützung sei ein Skandal, so Professor Trabert, die Folge sei der Tod vieler Menschen.
Er habe auch viele Flüchtlingslager besucht. Alle seien selbstverwaltet, das basisdemokratische System, das in ganz Rojava funktioniere, würde auch in den Lagern zum Tragen kommen. In seiner langen Tätigkeit als Mediziner in Flüchtlingslagern weltweit habe er noch nie so saubere Lager gesehen.
Richtlinien der Selbstverwaltung
Meike Nack von der Freien Frauenstiftung Rojava berichtete, dass alle Lager auf diese Weise selbstorganisiert arbeiten würden. Es seien Richtlinien entwickelt worden, die jede in Rojava tätige Organisation akzeptieren muss. Dazu gehöre zum Beispiel, dass alle, die dort arbeiten, die gleichen Löhne nach lokalen Standards bekommen, damit keine Ärzte woanders abgezogen würden. Bedingung sei auch die Selbstverwaltung der Flüchtlinge, sowie dass keine Gruppe bevorzugt werde.
Gerhard Trabert zeigte auf der Veranstaltung im Rathaus Altona auch Bilder von zerstörten Krankenhäusern in Städten, die durch den IS besetzt worden waren und durch die YPG/YPJ befreit wurden. Syrien hatte vor dem Krieg ein gutes Gesundheitssystem, der IS habe alle Geräte bewusst zerstört, sich teilweise in Krankhäusern verschanzt, so dass diese fast vollkommen zerstört waren. Die Selbstverwaltung habe aber Unglaubliches geleistet und sehr viel innerhalb von kurzer Zeit wieder aufgebaut, was insbesondere unter den Bedingungen des Embargos eine phantastische Leistung sei. Allerdings fehlten überall moderne Geräte.
Rojava schützen, das Embargo brechen
Die Menschen in der Region fürchteten nun, nachdem sie alles langsam und mühsam wieder aufgebaut hätten, dass die Türkei erneut angreife und alles wieder zunichtemache. Diese Angst sei weit verbreitet.
Das basisdemokratische System in Rojava und Nordsyrien habe bei den Menschen große Hoffnungen geweckt, die sie bei einem erneuten Angriff verlieren würden. Daher müsse der politische Druck erhöht werden, Rojava anzuerkennen, zu schützen und das Embargo zu brechen, so Trabert.