Prozess wegen Protest gegen Kündigung eines Solidaritätskontos

Mehrere Personen protestierten im Mai 2015 in der Sparkasse Saarbrücken gegen die Kündigung des Spendenkontos der Initiative „Solidarität mit Rojava“. Im Oktober beginnt der Prozess gegen die Aktivist*innen.

Am Morgen des 19. Mai 2015 protestierten mehrere Personen mit einer Sitzblockade in der Sparkasse Saarbrücken. Diese hatte zuvor das Spendenkonto der Initiative „Solidarität mit Rojava“ gekündigt. Die Kampagne sollte die Bevölkerung von Rojava im Norden Syriens in ihrem Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) unterstützen. Der Protest in der Sparkasse sollte eine gewaltfreie Form des zivilen Ungehorsams darstellen, „mit dem Ziel, am Ort des Geschehens ein politisches Zeichen zu setzen“.

Drei Jahre später wird den Teilnehmer*innen der Protestaktion der Prozess gemacht. Ihnen wird Hausfriedensbruch bei der Sparkasse in Saarbrücken zur Last gelegt. Einer der Aktivisten nennt sich Cihan Agiri, seinen Namen haben wir auf seinen Wunsch hin geändert. Im Gespräch mit ANF erklärt er, warum sie in der Sparkasse in Saarbrücken protestiert haben.

„Während am 3. August 2014 der Islamische Staat (IS) Şengal einnahm und hunderttausende Ezid*innen vernichten wollte, kamen die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie die Guerillakräfte der Volksverteidigungskräfte HPG und Einheiten der Freien Frauen (YJA-Star) zur Hilfe und erkämpften den auf die Şengalberge geflohenen Menschen einen Fluchtkorridor nach Rojava. Kurz darauf belagerte der IS mit Hilfe der Türkei Kobanê. Als im Oktober 2014 der IS in die Stadt Kobanê eindrang, waren es YPG/YPJ-Kämpfer*innen, die über 134 Tage im opferreichen Widerstand das Blatt wendeten und den IS Meter für Meter zurückschlugen. Damit war der Mythos des unbesiegbaren IS gebrochen", erinnert sich Cihan Agiri und erzählt weiter: „Mit der Phase von Şengal stieg auch die weltweite internationale Solidarität mit den Kurd*innen. Viele Initiativen und Kampagnen wurden neben zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Aktionen aus der Zivilgesellschaft gestartet. Im Oktober wurde vom Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) und der interventionistischen Linken (iL) ein Spendenkonto eröffnet. Die Einnahmen sollten der Selbstverwaltung von Rojava übergeben werden.“

Zur Kampagne „Solidarität mit Rojava – Wann wenn nicht jetzt – Wer wenn nicht wir“ erklärt Cihan Agiri: „Unsere Kampagne war erfolgreich. In kürzester Zeit konnten wir über 109.000 Euro verbuchen. Die Menschen waren bereit, unter anderem für die finanzielle Unterstützung im Kampf gegen den IS und für das Überleben der Revolution von Rojava Geld zu spenden."

Zur Kontosperrung nimmt Cihan wie folgt Stellung: „Im April erhielten wir ein Schreiben von der Sparkasse Saarbrücken. Darin teilte man uns mit, dass das Spendenkonto gesperrt werde. Die Kündigung erfolgte aufgrund der ‚Allgemeinen Geschäftsbedingungen‘, eine inhaltliche Begründung dafür gab es nicht.“ Die wirklichen Gründe erfuhren sie aus der Presse, erklärt er: „Aus Medienveröffentlichungen ließ sich allerdings nachvollziehen, was dahinter steckte: Die Saarbrücker Zeitung titelte ‚... das angegebene Spendenziel ‚humanitäre Hilfe‘ für die Kurden sei zweifelhaft‘ – ‚Es sei außerdem nicht mit den Ethik-Vorschriften der öffentlich-rechtlichen Kasse vereinbar, dass mit dem Geld möglicherweise Waffen gekauft werden‘, hieß es beim Saarländischen Rundfunk. In einer weiteren Veröffentlichung wurden die Hinweise auf das PKK-Verbot und Terrorismusvorwurf klarer: ‚Im Rahmen der nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vorgeschriebenen Überprüfungen auf Geldwäsche und Terrorismus sei man auf das Spendenkonto gestoßen und habe eine Verdachtsanzeige beim Landeskriminalamt gemacht. Zur Kontoschließung sei man verpflichtet, weil die Spenden für PKK-nahe Kämpfer bestimmt seien. Und die PKK sei in Deutschland schließlich verboten‘.“ Empört stellt Cihan fest, dass „Rüstungsgeschäfte, aber auch Aktien von Rüstungskonzernen problemlos über Banken abgewickelt bzw. gehandelt werden können, ohne dass dies von den Banken mit Verweis auf ihre gesetzlichen und moralischen Verpflichtungen (Stichwort: Compliance) infrage gestellt wird. Aber auch bei Spendenkonten hat sich die Sparkasse Saarbrücken bisher nicht mit klaren moralischen Kriterien hervorgetan. Denn sowohl die rechtspopulistische AfD wie auch die neonazistische NPD haben im Saarland jeweils ihr Spendenkonto bei der Sparkasse Saarbrücken.“

Cihan Agiri beendet seine Ausführungen mit folgenden Worten: „Das PKK-Verbot wird als Keule gegen alle Aktivitäten der Kurd*innen oder die mit Kurd*innen zu tun haben, genutzt und alles und jeder unter Generalverdacht gestellt. Dass elf Tage vor dem Kündigungsbescheid der Sparkasse die Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD), die 2014 zusammen mit dem Regionalverbandsdirektor Peter Gillo (SPD) den Vorsitz des Verwaltungsrates inne gehabt hat, die Newrozfeier 2015 von der kurdischen Gemeinde erstmalig im Festsaal des Saarbrücker Rathauses stattfinden ließ, zeigt, dass auch die Solidaritätswelle in der öffentlichen Politik angekommen ist und die Kündigung des Kontos eigentlich nur eine politische Dimension hat. Denn die Oberbürgermeisterin hatte bereits auch zuvor an einer mit 3000 Menschen sehr gut besuchten Solidaritätsveranstaltung für Kobanê in der Saarbrücker Messehalle teilgenommen und dort sogar eine Solidaritätserklärung abgegeben. Sind das alles PKKler? Oder gar Terroristen?

Deutschland steht, wie wir heute wissen, an der Seite von Erdoğan und der völkermordenden Türkei. Wir haben erlebt, dass mit Solidarität sogar Berge versetzt werden können. Damit meine ich, mit den weltweiten Solidaritätsaktionen konnte die ınternationale Staatengemeinschaft zum Handeln gezwungen werden. Kobanê hat es der Menschheit bewiesen. Kobanê ist das Gewissen der Menschlichkeit. Aus diesem Grund lade ich alle dazu ein, an den Verhandlungen gegen die Aktivist*innen teilzunehmen, um öffentlichen Druck auf die Behörden und ihre Gerichte zu machen. Solidarität ist unsere stärkste Waffe!"

Leicht gekürzt dokumentieren wir nachfolgend den Bericht von Lena Weber für den AZADÎ-Infodienst über den Prozess, der am 17. Oktober, um 9.00 Uhr im Amtsgericht Saarbrücken (Franz-Josef-Röder-Straße 13, 66119 Saarbrücken, Saal 1) eröffnet wird:

„Am Morgen des 19. Mai 2015 führten wir mit Genossinnen und den kurdischen Freiheitskampf unterstützenden Aktivist*innen in der Zentrale der Sparkasse Saarbrücken eine Sitzblockade durch. Dies taten wir, um gegen die Kündigung des Spendenkontos der Kampagne ‚Initiative Solidarität mit Rojava‘ zu protestieren. Diese Initiative unterstützt die Bevölkerung der Region Rojava im Norden Syriens in ihrem Kampf gegen den sog. Islamischen Staat (IS). Der Sitzstreik stellte eine gewaltfreie Form des zivilen Ungehorsams dar, mit dem Ziel, am Ort des Geschehens ein politisches Zeichen zu setzen.

Die Bevölkerung der Region Rojava wehrte sich zum Zeitpunkt des Sitzstreiks bereits seit Monaten gegen die Angriffe der Terrormiliz IS. Den kurdischen Volksbefreiungskräften ist es zu verdanken, dass tausende Menschen der ethnischen Minderheit der Ezid*innen vor den Angriffen der dschihadistischen Mörderbanden gerettet werden konnten. Die Stadt Kobanê erlangte durch den wochenlangen mutigen Widerstand weltweite Berühmtheit, doch mussten die kurdischen Kräfte dies mit dem Leben vieler Kämpfer*innen teuer bezahlen.

Grundlage des Widerstands gegen die anfängliche Übermacht des IS war die basisdemokratische Revolution in Rojava. Im Rahmen der revolutionären Umwälzungen errichtete die kurdische Bevölkerung inmitten des Krieges in Syrien eine Gesellschaft, die Gleichberechtigung und Frauenrechte stärkte und Menschen die Möglichkeit gab, ihr Leben in einem Ausmaß selbst zu bestimmen, das unter Bashar al-Assad nicht denkbar gewesen wäre. Was die Bevölkerung von Kobane anspornt und eint, ist nicht nur die bloße Verteidigung von Leib und Leben, es ist auch die Perspektive, eine Gesellschaft jenseits von ethnischer und religiöser Feindschaft, abseits von patriarchaler Gewalt und ökonomischer Ausbeutung zu errichten.

Der revolutionäre Befreiungskampf von Rojava wurde nicht nur zum Hoffnungsschimmer für die Kurdinnen und Kurden, eine Selbstverwaltung zu erlangen, sondern eine strahlkräftige alternative politische Organisationsform für den gesamten Nahen und Mittleren Osten.

Über 400 Personen, darunter viele aus Kunst, Journalismus und Kultur, Unterzeichneten einen Aufruf zur Unterstützung der Selbstverteidigungskräfte Rojavas, der im Oktober 2014 gestartet wurde. Gleichzeitig sind Spenden für die Selbstverwaltung in Rojava gesammelt worden – bis Anfang April 2015 kamen über 109.000,– Euro zusammen. Diese Spenden sollten dem Projekt Rojava zur Unterstützung übergeben werden. Sie stellten zwar lediglich einen kleinen Beitrag zum demokratischen Kampf in Rojava dar, aber einen, den die Sparkasse Saarbrücken zu unterbinden gedenkte.

Der Verwaltungsrat der Sparkasse Saarbrücken entschied, das Spendenkonto der Kampagne ohne juristische Grundlage zu kündigen. Als Begründung diente die Einstufung der PKK als „terroristische Organisation“, einer Einstufung, wie sie auch vom türkischen Staat vorgenommen wird. Dabei fordert die autoritäre Regierung der Türkei auch von ihren Partnern, zu denen der deutsche Staat zählt, politische Deckung und Gefolgschaft.

Mit der Protestaktion sollte nicht nur Unterstützung für den Befreiungskampf von Rojava eingefordert, sondern auch die skandalöse Kooperation deutscher Regierungen und Firmen mit dem türkischen Regime, welches inzwischen offen autoritär auftritt, benannt werden.

Wir werden weiterhin offen auftreten mit unserer Forderung, das revolutionäre Projekt Rojava zu einem Teil einer demokratischen Lösung für die vielen Konflikte des Nahen und Mittleren Ostens zu machen. Unser Kampf ist nicht vorbei, und die Unterstützung der Freund*innen und Aktivist*innen, die sich aufgrund der Anzeige der Sparkasse Saarbrücken nun vor Gericht verantworten müssen, ist nur ein kleiner Teil davon.

Nach nunmehr drei Jahren beginnt der Prozess. Eineinhalb Jahre nach der Aktion verschickte die Polizei Saarbrücken an die Aktivist*innen Strafbefehle in der absurden Höhe von 1400 Euro pro Person, gegen die Einspruch eingelegt wurde.

Wir laden alle ein, die solidarisch mit unserem Kampf sind, den Prozess zu begleiten und durch ihre Präsenz ihre Ablehnung der Kriminalisierung der internationalen Solidarität klar zu zeigen.“